
Manch ein Binger, so mache Bingerin hat vielleicht schon davon gehört: Im Abspann der britischen Netflix-Mini-Serie „Behind Her Eyes“ ertönte unlängst eine fast schon magische, beschwörerische Version des Nina Simone-Klassikers „Don’t Let Me Be Misunderstood“. Die Stimme dahinter stammt von Eliza Shaddad, Kind einer sudanesischen Astrophysikerin und eines schottischen Diplomaten, in sieben verschiedenen Ländern aufgewachsen. Entsprechend „globalisiert“ wirkt ihr Sound, der sich gefühlt das Beste aus nahezu allen musikalischen Welten zusammenklaubt. Da verwundert es kaum, dass sich „The Woman You Want„, ihr zweites Studioalbum, abermals auf keine bestimmtes Genre festlegen lassen will.
Und wenn man so mag, dann hat man es hier mit einem weiteren „klassischen“ Lockdown-Werk zu tun, denn eigentlich wollte Eliza Shaddad den Nachfolger ihres 2018er Debüts „Future“ mit Band aufnehmen. Ja: eigentlich. Corona. Pustekuchen. Stattdessen entstanden die neun neuen Stücke in Zusammenarbeit mit Ehemann und Produzent BJ Jackson zwischen schalldämmenden Matratzen im Schlafzimmer im heimischen Cornwall. Dass man bei gezwungener Nähe – so schön diese in mancher Minute auch sein mag – nicht konstant auf Wolke sieben schweben kann, haben die meisten im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren. Und wer genau(er) hinhört, für den werden Lagerkoller und Corona-Blues auch auf Shaddads neuem Album spürbar: Beides steckt in der Enttäuschung von „The Man I Admire“ und „The Woman You Want„, in der Genervtheit von „Fine & Peachy„, aber vermutlich auch in „Blossom“ und „Heaven„, die Mut machen und den Frühling herbeisehnen. Während sich ersteres auf ihre sudanesische Herkunft bezieht (bevor die Sharia im Sudan eingeführt wurde, erlebte das Land von den Sechziger- bis in die Achtzigerjahre hinein eine echte Blütezeit, die heute als das goldene Zeitalter des sudanesischen Pop gilt) und zu psychedelisch angehauchtem Folk das Hörerherz erwärmt, bemüht letzteres die gitarrenlastigere Seite dieser Platte und erinnert an so vielfältige Künstler*innen wie Alanis Morissette und R.E.M. – die Neunziger lassen lieb grüßen. Ein fast schon beiläufiger Pop/Rock-Sound mit ausreichend Kante, um den Biss des Songs zu transportieren, dazu die ausdrucksstarke Stimme und kleine, aber feine Variationen tragen den Song. Die streicherdekorierte Verlust-Ode „In The Morning (Gradmother Song)„, welche ihrer an Demenz verstorbenen Großmutter gewidmet ist, entpuppt sich als konträre Schwester und wirkt beinahe wie von einem anderen Planeten. Eliza Shaddad, die sich vor einigen Jahren noch als Straßenmusikerin in London durchschlug, während sie Jazz und Philosophie studierte, bemüht sich um balladeskes Drama und Art Pop-Ansätze. Die reduzierte Instrumentierung rückt ihre außerordentliche, vielschichtige Stimme in den Mittelpunkt. Und wer sich nicht hütet, der findet sich schnell in einem Sog der Emotionen wieder.
„Fine & Peachy“ hingegen bemüht zu herrlich angeissten Zeilen wie „Fuck you, just tell me what you wanted to say / Instead of screaming at my head for days“ verschmitzte Indie-Anklänge, tänzelt durchaus leichtfüßig mit einem Hauch von Folk im Unterboden, dazu mit etwas Pop-Appeal obenauf – Sheryl Crow und Lukas Nelson winken von fern. Das schleppende, ein wenig niedergeschlagene „Now You’re Alone“ bemüht erdrückende Melancholie, flirtet mit Selbstaufgabe und lässt das ausladende Arrangement sehnsüchtige Töne anschlagen – die Künstlerin selbst nennt’s „Ethereal Grunge“. Im dreampoppigen „Waiting Game“ weht Shaddads Sound eine Prise Kate Bush und Austra im die Ohren, aber auch Island scheint im opulenten Crescendo gefühlt nicht so weit weg. Kunterbunt, angenehm experimentell, irgendwie eingängig und strukturell doch herrlich unnahbar – ein gewiss unerwartetes, faszinierendes Herzstück dieser Platte.
„“Es war wirklich sehr intensiv, ein ziemliches Auf und Ab der Gefühle. Ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr immer zusammen zu sein, war zwar großartig, weil wir einander bedingungslos vertrauen und alle Zeit der Welt hatten, Dinge auszuprobieren. Aber gefühlsmäßig war es nicht immer leicht.” (Eliza Shaddad über die Albumaufnahmen)
Im ersten Moment mag einen „The Woman You Want“ wohlmöglich etwas überwältigen, weil hier einfach so viele verschiedene Faktoren, Klänge und Genres gefühlt nahtlos ineinander übergehen, sich gelegentlich sogar pointiert vermischen. Und gerade das macht Eliza Shaddads neues Album zu einem gelungenen. Kleine, kurzweilige Indie-Perlen treffen auf dramatische Gesten, nackte, emotionale Ehrlichkeit auf bodenständigen Folk-Rock-Pop (don’t you dare call it „altbacken“!) mit dem richtigen Hang zu kleineren, starken Experimenten. Wie eine kleinformatige Schlafzimmer-Produktion wirkt das Ganze keineswegs, vielmehr wie ein akustischer Schritt zurück ins Leben. So oder so überzeugt Eliza Shaddad auch mit ihrem zweiten Album und sollte längst viel mehr als ’nur‘ ein weiterer Geheimtipp sein – Netflix-Features hin oder her.
Rock and Roll.