
Zeichnung: Oli Hilbring
Rock and Roll.
Fast sechs Jahrzehnte saß er bei den Rolling Stones am Schlagzeug. Zwei Monate nach seinem 80. Geburtstag ist Charlie Watts – trotz des stolzen Alters etwas überraschend – heute gestorben.
Gerade erst hatte sich der taktgebende Elder Statesman des Rock’n’Roll gedanklich mit dem Ruhestand beschäftigt. „Ich weiß nicht, was die anderen denken, aber mich würde es nicht stören, wenn die Rolling Stones sagen würden, dass es das jetzt war“, sagte der Schlagzeuger anlässlich seines 80. Geburtstags im Juni diesen Jahres dem englischen „Guardian“. Allerdings, so räumte er ein, wisse er gar nicht, was er machen würde, wenn wirklich alles zu Ende sei.
So abrupt hatte sich der Schlagzeuger sein Ende bei den Rolling Stones jedoch keineswegs vorgestellt: Am 24. August 2021 ist Charlie Watts in einem Londoner Krankenhaus im Kreis seiner Familie gestorben. „Charlie war ein geschätzter Ehemann, Vater und Großvater und als Mitglied der Rolling Stones auch einer der größten Schlagzeuger seiner Generation“, teilte ein Sprecher mit.
Fast sechszig Jahre gab er bei einer der größten, erfolgreichsten und populärsten Bands der Musikgeschichte den Takt vor, war wohlmöglich sogar ihr Motor. Freilich mag dies recht hypothetisch sein, trotzdem lässt sich ohne einen Funken britischem Understatement behaupten, dass es die Rolling Stones ohne ihn wahrscheinlich schon längst nicht mehr gegeben hätte, schließlich gelang es ihm mit diplomatischem Fingerspitzengefühl im Laufe der Jahrzehnte immer wieder, die aufbrausenden Streithähne Mick Jagger und Keith Richards zur Räson zu bringen.
Charles Robert „Charlie“ Watts erblickte am 2. Juni 1941 in Kingsbury das Licht der Welt, einem heutigen Stadtteil im Norden Londons. Der Sohn eines Lastwagenfahrers studierte, nachdem er schon früh seine Liebe zu Jazz und Blues entdeckte und sich aus einem alten Banjo sein erstes Schlagzeug bastelte, zunächst Kunst und Grafik und stieg in seiner Freizeit als Drummer in Alexis Korners Band Blues Incorporated ein. Ebendort spielten auch ein gewisser Michael Philip „Mick“ Jagger und der 1969 verstorbene Gitarrist Brian Jones, die 1962 die Rolling Stones mitgründeten. Nur ein Jahr später schmiss Watts seinen Job als Grafiker, als Keith Richards ihn unbedingt als Schlagzeuger in der Band haben wollte. Die Entscheidung machte sich bezahlt – musikalisch wie finanziell. Die Stones hätten eben das Glück und das Geld gehabt, viel Zeit im Studio verbringen zu können, sagte er dem britischen „Telegraph“ ein halbes Jahrhundert später – und sie hätten daher viel ausprobieren können. Nach anfänglichen Erfolgen mit Coverversionen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten erlangte die Band mit Hits aus der Feder von Mick Jagger und Keith Richards wie „(I Can’t Get No) Satisfaction„, „Get Off Of My Cloud“ oder „Paint It, Black“ sowie Alben wie „Aftermath“ oder „Exile On Main St.“ weltweiten Ruhm. Der Rest? Ist längst Rockgeschichte.
Watts mag zwar nach Jagger und Richards das dienstälteste Mitglied der Rolling Stones gewesen sein, war dabei jedoch der oft unterschätze Mann im Hintergrund, der „Stoiker hinter Keith und Mick„, der seinen Bandkollegen mit reichlich cooler Eleganz, britischem Understatement und knochentrockenen Beats die großen Bühnen überließ. „Charlie Watts gibt mir die Freiheit, auf der Bühne fliegen zu können“, meinte der ungleich exzentrischere Gitarrist Keith Richards einmal.
Watts galt als wortkarg und solide, seine Alkohol- und Drogensucht hatte der einst starke Raucher schon in den 1980er-Jahren überwunden. Während viele Rockstars – und mitunter auch seine Bandkollegen – eher durch einen unsteten Lebenswandel Schlagzeilen machten, war der Drummer seit 1964 glücklich mit Shirley Ann Shepherd verheiratet. Die beiden lebten zurückgezogen auf dem Land, wo Watts Vollblutaraber züchtete.
Charlie Watts stand für all das, was nicht zum ursprünglichen, wahlweise wilden und rüpelhaften Image der Rolling Stones passte. Er bevorzugte Anzüge und liebte Jazz – ironischerweise genau jene Musikrichtung, gegen die die Stones am Anfang ihrer Karriere aufbegehrt hatten. Wenn er nicht mit Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood auf Tour oder (zuletzt immer seltener) im Studio war, spielte er Schlagzeug in seiner eigenen Jazz-Band. Dort fühlte er sich wohler als im Scheinwerferlicht (das er demnach lieber Jagger und Richards überließ), minutenlange Standing Ovations waren ihm unangenehm.
Gemeinsam mit den Stones zog Charlie Watts 1989 in die „Rock ’n‘ Roll Hall of Fame“ ein, das Magazin „Rolling Stone“ (das sich seinerzeit wohl nicht ohne Grund nach seiner Band benannte) wählte ihn schon vor einigen Jahren auf seiner Liste der „besten Schlagzeuger aller Zeiten“ auf Platz zwölf. 2004 erhielt er die Diagnose Kehlkopfkrebs, besiegte die Krankheit aber mit zwei Operationen, um schon im Jahr darauf wieder mit den Stones auf Welttournee zu gehen.
Nachdem er sich in diesem Jahr einer Operation unterziehen musste, hatte Charlie Watts seine Teilnahme an der für kommenden September geplanten US-Tour der Rolling Stones abgesagt. Seinerzeit hieß es, Watts habe eine medizinische Behandlung hinter sich (zu dessen Hintergrund der Sprecher keinerlei Angaben machte), weshalb es „unwahrscheinlich“ sei, dass er für diese Konzerte zur Verfügung stehe. Nun hat der Taktgeber, die „Herzmaschine„ der dienstältesten Rockband der Welt seine irdischen Drumsticks für immer zur Seite gelegt… Mach’s gut, Charlie Watts!
(Hier findet man etwa einen Nachruf des deutschen „Rolling Stone“, hier einen vom „Musikexpress“…)
Rock and Roll.
Foto: Promo / Mark Seliger
Ja, die Stones haben es tatsächlich geschafft, zwischen all den „letzten Tourneen“ (Diesmal aber wirklich! Na gut, eine noch!) mal wieder ein Album einzuspielen – das erste seit „A Bigger Bang„, welches 2005 – also vor über einer Dekade – erschien. Und: ja, es ist ein Blues-Album, welches zum ersten Mal keine Eigenkomposition aus dem Hause Jagger/Richards enthält.
Wer’s böse meint, der könnte behaupten, dass „Blue & Lonesome„, welches in schlappen drei Tagen in den Londoner British Grove Studios (welche wiederum einem gewissen Mark Knopfler gehören) entstand, vier alte Säcke (plus Gastmusiker wie Eric Clapton) beim Besten und Einzigen porträtiert, was sie noch wirklich gut können: den knarzig-windgegerbten Rhythm’n’Blues abliefern. Denn in der Tat verstehen sich Mick Jagger, Keith Richards und ihre beiden verlässlichen Zulieferer Charlie Watts und Ronnie Wood seit jeher am besten aufs Neuinterpretierten von Rhythmen, welche auch schon verehrte Größen wie Howlin‘ Wolf, Willie Dixon oder Jimmy Reed vor langer, langer Zeit abgeliefert und in Stein (sic!) gemeißelt haben. Klar, irgendwann in den Achtzigern haben auch die Rolling Stones versucht, sich dem Zeitgeist und einer breiteren Masse etwas anzubiedern. Haben ihren Sound verändert, aufgepopt, flacher – und damit vergänglicher – gestaltet. Doch diesen Zeitgeist haben Jagger, Richards und Co. längst nicht mehr nötig – die Herren, zu drei Vierteln längst jenseits der Siebzig, sind Zeitgeist. Und (nicht nur) für Jagger ist Blues auch irgendwie Pop – wenn man den Begriff Populärmusik etwas weiter fasst: „Als diese Aufnahmen herausgekommen sind“, sagte Jagger dem „Rolling Stone“ in Hinblick auf die Alben von Jimmy Reed und Co., „waren sie auf gewisse Weise Popmusik fürs Publikum.“
Dass ihre Zielgruppe weniger die stream- und klicksüchtige Digital-Natives-Masse ist als vielmehr ebenso graues Haupthaar trägt wie Schlagzeuger Watts (um Jagger und Richards scheint der Tod eh ’nen Bogen zu machen), kommt den Stones dabei nur zugute. Eine Livealbum der 2013er Hyde-Park-Show? Gekauft. Die x-te Best Of, freilich „remastered“ und diesmal komplettest komplett und „erstmalig“ mit Pi, Pa und Po? Her damit! Die Aufzeichnung des ersten Kuba-Gastspiels der britischen Band im März diesen Jahres in Bild und Ton
? Die greise Zuhörerschar greift verlässlich zu. Das wird auch bei „Blue & Lonesome“, dem 23. (Großbritannien) beziehungsweise 25. (USA) Studioalbum der seit den frühen Sechzigern aktiven Band, kaum anders sein. Zu einhelligem Legendenstatus haben es die Rolling Stones eh längst geschafft, am Sockel rüttelt da nichts und niemand mehr.
Was man jedoch dabei leicht übersieht: die zwölf „neuen“ Stücke, welche bei Sessions zu einem neuen Album mit tatsächlich eigenen Songs entstanden (laut Jagger hätte das Coveralbum gemeinsam mit dem neuen Werk erscheinen sollen, jedoch war sich das Kreativduo Jagger/Richards wohl jedoch mal wieder uneins über die einzuschlagende Richtung), sind tatsächlich gut geraten. Mick Jagger ist noch immer einer der besten Mundharmonikaspieler überhaupt, good ol‘ Keef ist zwar mit 72 Lenzen ein alter, ledern dreinblickender Sack, aber noch immer eine Granate an den Saiten, welche er seit jeher so schön spröde und beseelt anschlägt wie kaum ein anderer Gitarrist jemals. In den besten der 43 Minuten erinnern die Stones gar an selige „Exile On Main St.“-Zeiten – nur eben als gesittete Elder Statesmen und somit ohne den dionysischen Rausch der Siebziger. Klar, eine urige, reine Bluesband waren die Stones nie, zu groß war ihre Hingabe zu Rock’n’Roll, zum Soul – und zur ekstatischen Messe im Stadionrund (womit auch stets gut Geld zu scheffeln war). Aber wenn eine Band ein irgendwie aus der Zeit gefallenes Album wie „Blue & Lonesome“, welches einem Standards als den „neuen heißen Scheiß“ zu verkaufen versucht, machen darf, dann doch bitte die Rolling Stones, denen nach elf Jahren Album-Pause ein schöner Knicks vor den eigenen Idolen gelingt.
Hier gibt’s das Musikvideo zu „Ride ‚Em On Down“, für welches die Stones Hollywood-Schauspielerin Kirsten Stewart („Twilight“) gewinnen konnten…
…sowie das zur ersten Auskopplung „Hate To See You Go“:
Rock and Roll.
The Rolling Stones – Hyde Park Live (2013)
Es soll ja Bands geben, die – längst, überhaupt und sowieso – über jeglichen Zweifel erhaben sind. Die Beatles sind eine davon, die Rolling Stones eine andere. Natürlich mag manch scharfzügiger Kritiker nun notorisch die Hand des Einwands erheben und herumkritteln, dass auch diese Gruppen lediglich aus leidlich inspirierten Kopisten bestanden. Aber mal ehrlich: Wenn man hier schon Steine des Anstosses setzt und John and Paul (also: Lennon und McCartney) und Mick n’Keef (also: Jagger und Richards) als mäßig begabte Rhythm-and-Blues-Diebe tituliert, was bitteschön hält eben jene Nörgler dann noch davon ab, sich nach Sekunden des Lauschens von Beispielen der heutigen popmusikalischen Szene die Trommelfelle ein für alle Mal taub zu pusten? Nein, selbst bei Wahrung von größtmöglicher Objektivität (insofern so etwas in künstlerischen Gefilden je existiert haben sollte) muss man neidlos feststellen, dass – von allen Bands und Künstlern des 20. Jahrhunderts – wohl eben diese „Big Two“ die Zeit überdauern werden. Väter spielen Alben wie „Exile On Main Street“ oder „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band
“ vertrauensvoll ihren Kindern vor. Großväter lauschen mit ihren Enkel Klassikern wie den unvermeidlichen „(I Can’t Get No) Satisfaction“ oder „Yesterday“, und erzählen mit stolzgeschwellter Brust und einem Funkeln in den Augen von den fernen, großartigen Tagen ihrer Jugend. Bach? Beethoven? Beatles! Stones! Doch wo Erstere sich 1970 trennten und spätestens zehn Jahre darauf mit dem gewaltsamen Tod ihres – freilich inoffiziellen – kreativen Masterminds John Lennon alle Reunion-Pläne ad acta legten, spielen die Rolling Stones noch heute. Freilich nagt selbst an Mick Jagger, Keith Richards, Ronnie Wood und Charlie Watts der stete Zahl von Zeit und Alter, aber deshalb verstummen? Keinen Bock darauf, ehrlich!
Und wieder meldet sich der stete Kritiker: Was bitte haben die Stones denn noch zum musikalischen Kanon des 21. Jahrhunderts beizutragen? Ist es nicht so, dass dieser „Altherrenverein des Rock’n’Roll“ seit gefühlten drei Jahrzehnten alle paar Jahre eine Welttournee ankündigt, von der flux behauptet wird, dies sei „nun definitiv ihre allerletzte Abschiedstournee aller Zeiten“? Ist es nicht so, dass das rockende Greisenquartett mittlerweile in privater Dysharmonie ausschließlich getrennte Wege geht und nur noch für den großen Bühnenreibach, der ihnen das sündhaft teure Lotterleben finanzieren soll, zusammen findet? Ist es nicht so, dass „Mick’n’Keef“ seit dem letzten, 2005 erschienenen Studioalbum „A Bigger Bang“ kein einziges gemeinsames Werk mehr zustande gebracht haben, und sich nun wieder ausschließlich auf das Veröffentlichen von „Greatest-Hits“-Zusammenstellungen beschränkt haben? Ist es nicht so, dass man Songs wie „(I Can’t Get No) Satisfaction“, „Angie“ oder „Jumpin‘ Jack Flash“ aufgrund ihres möglicherweise belastenden „Heavy Rotation“-Status‘ mittlerweile in eine Reihe mit akustischen Folterwerkzeugen wie „We Will Rock You“, „We Are The Champions“ oder „Smoke On The Water“ stellen könnte? Nun, zunächst einmal mag hinter all diesen oberflächlichen Vorwürfen ein Fünkchen Wahrheit stecken… Doch um einfach Mick Jaggers Revoluzzer-Alter-Ego aus „Street Fighting Man“ zu zitieren: „Well, then what can a poor boy do / Except to sing for a rock ’n‘ roll band?“ – diese Herren spielen seit den frühen Sechzigern (Jagger, Richards und Watts) beziehungsweise Siebzigern (Wood) zusammen, sie können gar nicht(s) ander(e)s. Sex, drugs and Rock ’n‘ Roll? Sind sie, durch und durch. Nicht umsonst ranken sich um wohl keine andere Rockband so viele Mythen, Geschichten und Gerüchte (okay: fairerweise seien an dieser Stelle noch The Who und Led Zeppelin erwähnt). Nicht umsonst gilt Mick Jagger trotz keineswegs blendendem Aussehen – nebst Jim Morrison – bis heute als Personifizierung des männlichen Rockstars. Lässt Keith Richards‘ Rauschmittelkonsumhistorie zwar Romane wie Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas“ wie das Tagebuch einer Klosterschülerin erscheinen, doch bricht sich „Ol‘ Keef“ anderseits beim Klettern auf eine Südseepalme fast das Genick. Erkrankt 2004 ausgerechnet der – verhältnismäßig – am gesündesten lebende Charlie Watts an Kehlkopfkrebs. Sieht man den alten Schwerenöter Ronnie Wood nie ohne die obligatorische Kippe im Mundwinkel und die deutlich jüngere Begleitung im Arm (mittlerweile ist er in dritter Ehe mit der 31 Jahre jüngeren Theaterproduzentin Sally Humphreys verheiratet). Die Rolling Stones – die fleischgewordene Vier-Mann-Show aus Rock’n’Blues’n’Pop. Ein Orkan aus Mythen, Rhythmen und Erfolgen, der vor mehr als fünf Jahrzehnten – von England aus – begann, um die Welt zu kreiseln. Jahreszeiten, Regierungen und Trends kommen und gehen – die Stones spielen. Und so viel auch dran sein mag am seit jeher schwierigen Spannungsverhältnis von „Mick’n’Keef“, so sehr darf man vermuten, dass Jagger auch noch in den kommenden Jahren seine bekannte große Klappe über die Bühne tragen wird, während Richards in gewohnter Lässigkeit die Riffs raushaut und Watts und Wood bedächtig grinsend für’s musikalische Grundgerüst sorgen – neues Studioalbum hin oder her, Hits sind auf alle Zeit vorhanden. Und über allem strahlt dieser blutrote Mund mit ausgestreckter Zunge… Bis dass der Tod sie scheidet.
Wer nach der im vergangenen November anlässlich des fünfzigjährigen Bandjubiläums veröffentlichten „Greatest-Hits“-Zusammenstellung „Grrr!“ (eine Diskussion über die Sinnhaftig- wie Sinnlosigkeit würde speziell bei den Rolling Stones wohl den Rahmen sprengen) ein weiteres aktuelles Medium der Stones’schen Relevanz benötigt, dem sei das jüngste Live-Album „Hyde Park Live“ ans Herz gelegt. Dieses wurde während der beiden Konzerte der Band am 6. und 13. Juli diesen Jahres im – klar! – Londoner Hyde Park mitgeschnitten und nur wenige Tage darauf – am 22. Juli – exklusiv im iTunes Store zum digitalen Verkauf angeboten (bis zum 19. August!). Und obwohl vor allem Liveauftritte nach mehr oder minder fünfzig gemeinsamen Jahren für diese Band so routiniert ablaufen wie kaum etwas sonst, spricht allein die Tracklist, unter deren neunzehn Stücken sich übrigens lediglich sieben Überscheidungen zum 2008 veröffentlichten Livealbum „Shine A Light
“ finden, bereits für sich:
TRACKLISTING
1. Start Me Up
2. It’s Only Rock ‘N’ Roll
3. Tumbling Dice
4. Emotional Rescue
5. Street Fighting Man
6. Ruby Tuesday
7. Doom And Gloom
8. Paint It Black
9. Honky Tonk Women
10. You Got The Silver
11. Before They Make Me Run
12. Miss You
13. Midnight Rambler
14. Gimme Shelter
15. Jumpin‘ Jack Flash
16. Sympathy For The Devil
17. Brown Sugar
18. You Can’t Always Get What You Want
19. (I Can’t Get No) Satisfaction
Außerdem traten die Rolling Stones – man glaube es kaum – 44 Jahre nach ihrem ersten Auftritt im ehrwürdigen Londoner Hyde Park, als die Band am 5. Juli 1969 – und damit nur zwei Tage, nachdem der damalige Leadgitarrist Brian Jones in (s)einem Swimmingpool ertrank – ein kostenloses Konzert gab, wieder an gleicher Stätte auf. Natürlich weiß der kundige Stones-Hörer bereits im Voraus, was einen erwartet: Hits, Hits, Hits – garniert mit ein paar Blues-Mätzchen seitens Richards oder ein paar launigen Ansagen seitens Jagger. Anders als bei vielen anderen Auftritten der unlängst absolvierten, 18 Konzerte kurzen „50 & Counting“-Tournee durch Nordamerika und Europa hält sich der knapp zweistündige Zusammenschnitt der beiden London-Konzerte mit prominenten Gastauftritten zurück, lediglich das langjährige Bandmitglied Mick Taylor ist beim zwölfminütigen „Midnight Rambler“ zu hören. Bei anderen Auftritten begrüßten Jagger & Co. unter anderem Bruce Springsteen, Lady Gaga, Dave Grohl, die Black Keys, Gwen Stefani, Eric Clapton, Florence Welch (Florence and the Machine), Mary J. Blige, Tom Waits, Sheryl Crow oder Taylor Swift auf der Bühne – wer lässt sich bei einer Einladung zum Duett mit den „Dinosauriern des Rock’n’Roll“ schon zweimal bitten?
Alles in allem ist „Hyde Park Live“ ein launiger Streifzug durch die Bandhistorie der Rolling Stones, welche hier von 1965 („Satisfaction“) bis zum im vergangenen Jahr veröffentlichten „Doom and Gloom“ reicht. Einige werden gähnen, Kenner wie Fans freuen sich über dieses beinahe auf direktem digitalen Wege veröffentlichte Konzert, dem mit viel Glück vielleicht irgendwann – und zwischen drei neuen „Greatest-Hits“-Zusammenschmissen – noch ein Studioalbum folgen wird. Und Mick, Keef, Ronnie und Charlie? Die sind über jeden Zweifel erhaben – längst, für alle Zeit und sowieso. It’s only rock ’n‘ roll but I like it…
Wer also das Konzert als legalen digitalen Mitschnitt aufgreifen möchte, der sollte sich zeitnah in den iTunes Store begeben, denn das Konzert wird dort nur noch bis zum 19. August zu finden sein…
Hier gibt es eine kleine Einstimmung auf die geschichtsträchtige Rolling Stones-Show:
Rock and Roll.
Und wo wir gerade bei der nimmermüden, praktisch unkaputtbaren Altherrenabteilung des Rock n’Roll sind: was macht man, wenn Jonas Åkerlund anruft und nachfragt, ob man denn nicht Lust habe, im neuen, von ihm gedrehten Rolling Stones-Video mitzuspielen?
Da hat sich auch Åkerlunds schwedische Landsfrau, die Schauspielerin Noomi Rapace, welche unter anderem durch ihre Rolle der Lisbeth Salander in Stieg Larssons Krimi-Reihe „Millenium“ internationale Bekanntheit erlangte, nicht zweimal bitten lassen. Und dass der Regisseur, welcher seit Jahrzehnten für Künstler wie Madonna, The Smashing Pumpkins, U2, Beyoncé, Rammstein oder Lady Gaga groß aufgezogene Kleinkunst im Videoformat schafft und mit „Spun“, „Horsemen“ oder „Small Apartments“ auch einige abendfüllende Hollywoodproduktionen vorzuweisen hat, nicht eben semiprofessionelle visuelle Brötchen backen würde, darf einem auch klar sein.
Unabhängig von den idealen Ausgangskomponenten ist das Video zu „Doom And Gloom“ überaus sehenswert geraten und steht – beinahe – auf einer Stufe mit „Anybody Seen My Baby?“, dem wohl bislang besten Clip der Rolling Stones aus dem Jahr 1997, in welchem eine damals noch vergleichsweise unbekannte Dame namens Angelina Jolie als Stripperin durch die Straßen New Yorks irrt, während Cool Keith zigarettenrauchend und gitarrenspielend über den Dächern der Millionenmetropole thront.
Doch Mick’n’Keef & Co. würden sich all das nicht geben, sich gemeinsam in einem Tonstudio und vor der Kamera sehen lassen, gäbe es dafür nicht einen Anlass: zum diesjährigen 50. Bandjubiläum veröffentlichen die Rolling Stones (Durchschnittsalter: satte 68 Jahre) mit „Grrr!“ immerhin die 28. (!) Compilation, welche sich nur lohnt, da hier zum eventuell ersten Mal beinahe alle relevanten Songs der Band (wieso vergisst man jedoch immer „Memory Motel“, „As Tears Go By“ oder „Play With Fire“?!?) sowie die beiden neuen, gelungenen Songs „Doom And Gloom“ und „One More Shot“ auf drei CDs enthalten sind. Und: Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und Charlie Watts bereiten sich in Paris gerade auf die wohl wieder „letzte und ultimative“ Welttournee vor, Termine sollen in Kürze folgen. It’s only show business, but we like it – diese „grauen Panther des Rock and Roll“ kriegt wohl nur der Teufel höchstpersönlich klein (oder eine Palme)…
Hier Åkerlunds sehenswertes Video zu „Doom And Gloom“, in welchem Rapace gleich mehrere Rollen übernommen hat…
…und das ebenso tolle Video zu „Anybody Seen My Baby?“ (der Song stammt vom Album „Bridges To Babylon„):
Rock and Roll.
Stones In Exile (2010)
Ein Sommer voller Rock n’roll-Hedonismus im Zeichen von Sodom und Gomorra unter der Sonne des Mittelmeers…
Aufgrund der hohen Steuerbelastung in ihrer englischen Heimat verlegten die Bandmitglieder der Rolling Stones ihre Wohnsitze Anfang der Siebziger ins deutlich günstigere Frankreich, in welchem man jedoch alsbald Anpassungsprobleme – seien es nun die ungewohnte Milchqualität (und Milch braucht der Engländer bekanntlich für seinen „Fünf-Uhr-Tee“!) oder die fremde Sprache – und den ‚Homesick-Blues‘, besonders Seitens des Schlagzeugers Charlie Watts und des Bassisten Bill Wyman, bekam. Nichtsdestotrotz lebte die damals schon „größte Band der Welt“ ein weiterhin fettes Leben im sonnigen Süden: Sänger Mick Jagger heiratete Hals über Kopf seine erste Ehefrau Bianca, der neu zur Band gestoßene zweite Gitarrist Mick Taylor empfand staunenden Auges alles als ein einzig großes, luxuriöses Abenteuer, Leadgitarrist Keith Richards lebte nach dem Slogan „Wir gegen die Welt – fickt euch!“ zusammen mit Model Anita Pallenberg und Kind in der angemieteten Nobelvilla Nellcôte in Villefrance-sur-Mer an der Côte d’Azur und ließ es sich gut gehen. Klar, wenn man Marseille mit seinen illegalen Verlockungen auf der einen, Italien und die dortige Mafia auf der anderen Seite hat, lässt sich der Rock-and-Roll-Lifestyle der alten Heimat ohne größere Probleme auf die neue, zeitweilige übertragen…
Als 1971 die Aufnahmen zum Nachfolger von „Sticky Fingers“ (No. 1 sowohl in den britischen als auch in den US-amerikanischen Charts) beginnen sollten, man jedoch – auch nach langer Suche – kein geeignetes Studio in Südfrankreich fand, richtete die Band sich mit Produzent Jimmy Miller – auch aus Bequemlichkeit – eines im Keller von Richards Villa ein. Und siehe da: wohl nie waren die Rolling Stones kreativer und produktiver – klar, schließlich hockte man bei Sonne und allerlei legalen und illegalen Substanzen auf einem Haufen (die Behausung von Watts etwa lag circa sieben Autostunden entfernt) und konnte dem Anderen – so seltsam sich das auch lesen mag – wohl am ehesten dadurch entfliehen, indem man gemeinsam Musik machte, besonders nachts und im Normalfall auch in zwölfstündigen Endlossessions. Und glaubt man den Schilderungen von Augenzeugen, so muss es ein wahres Bild für die Götter der Unterwelt gewesen sein: Alkohol und alle erdenklichen Drogen gingen praktisch nie zur Neige, immer waren Menschen anwesend, Freunde wie Fremde – und sie waren überall, ebenso wie Manager, Köche, Bedienstete, Junkies. Nicht umsonst fallen Begriffe wie „La dolce vita“ oder „Fellini“. In all der gelebten Rock n’Roll-Dekadenz waren Kinder anwesend, während Drogen vernichtet, innere Dämonen geboren und ausgetrieben und nicht selten acht Musiker gleichzeitig – neben der Rumpfband aus Jagger, Richards, Watts, Wyman und Taylor waren auch Saxofonisten und zahlreiche Gastmusiker wie Dr. John oder Billy Preston anwesend – sinn- wie sinnfreie Rocksongs für die Ewigkeit auf zahllose Bänder bannten. Als der Sommer vorübergegangen und nicht wenige Instrumente scheinbar unbemerkt entwendet waren, und die örtliche Polizei anfing, gegen die Band wegen Drogenbesitzes zu ermitteln, hätte man wohl kaum einen besseren Zeitpunkt erwischen können, um sich nach Los Angeles zu verziehen und das Doppelalbum in den dortigen Sunset Sound Recorders Studios fertigzustellen.
„Exile On Main St.“ mag kein „Hit-Monster“ sein (obwohl etwa mit dem Glückspiel-Song „Tumbling Dice“ mindestens einer der Stones-Evergreens enthalten ist), stellt jedoch aufgrund der Gesamtatmosphäre eines der dichtesten, rohsten, kreativsten und besten Alben im Gesamtkatalog der Rolling Stones dar. Schon damals spaltete das 13. Studioalbum der britischen Band, welche in diesem Jahr ihr 50jähriges Jubiläum feiert, Fans wie Kritiker, hat jedoch auch nach 40 Jahren erstaunlich wenig Patina angesetzt und wurde vom „Rolling Stone“ (sic!) – nicht eben zu Unrecht – auf Platz sieben der „500 besten Alben aller Zeiten“ gesetzt.
In Stephen Kijaks einstündiger Dokumentation „Stones In Exile“ kommen neben Augenzeugen wie der Band selbst, die sich bezüglich ihrer musikalischen Wurzeln und Interessen, welche gestern wie heute bei Richards und Watts klar tief im Blues des US-amerikanischen Südens, bei Jagger jedoch – welch‘ Wunder – eher im Pop liegen, äußern, Anita Pallenberg oder Produzent Jimmy Miller, auch Don Was (Musiker und Produzent), Caleb Followill (Kings Of Leon), Will.I.Am (Black Eyed Peas), Jack White (The White Stripes, The Dead Weather…), Sheryl Crow, Regisseur Martin Scorsese und Charakterschauspieler Benicio Del Toro zu Wort. Wer also einen passenden Einstieg in den nicht eben kleinen Stones’schen Musikkosmos und/oder mehr über die Entstehungsgeschichte zu „Exile On Main St.“ erfahren möchte, dem sei diese Dokumentation, die auch viele ikonographische Fotos der Aufnahmesessions enthält, wärmstens empfohlen.
Wer noch mehr Einblicke gewinnen möchte, dem seien darüber hinaus die 2010 erschiene, remasterte Doppel-CD-Edition des Albums, welche zehn bis dato unveröffentlichte Stücke enthält, oder das Box-Set „Ladies & Gentlemen
„, welches neben der Dokumentation auch den Konzertfilm „Ladies & Gentleman…The Rolling Stones“ sowie Bonus-Material und einige Fan-Gimmicks (Reproduktion des Original-Filmposters, Reproduktion des Fanschals, der auf der Filmpremiere verteilt wurde, zwei Frames aus der 35mm-Filmkopie) enthält, nahe gelegt – wird nämlich hier und da für vergleichsweise kleines Geld „rausgehauen“ (ich selbst habe die Box für gerade einmal die Hälfte des eigentlichen Preises in einem holländischen Elektrodiscounter auftreiben können)…
Hier der Trailer zur Dokumentation…
…und das bereits oben erwähnte Stück „Tumbling Dice“, welches von „Exile On Main St.“ stammt:
Rock and Roll.