Na da hör‘ her! The Distillers haben ein Live-Album titels „Live In Lockdown“ veröffentlicht, welches ab sofort digital erhältlich ist. Die insgesamt neun Songs, die während eines Livestreams gegen Ende des vergangenen Lockdown-Jahres aufgenommen wurden, werden am 21. November 2021 über Rise Records auch auf Vinyl erscheinen.
Zwölf Jahre nach ihrer Auflösung kündigte die Band 2018 etwas überraschend ihr Comeback an, dem das Punk-Rock-Quartett einige Live-Auftritte in den US of A sowie der Single „Man vs. Magnet / Blood In Gutters“ die ersten neuen Songs nach immerhin 14 Jahren Sendepause folgen ließ. The Distillers gründeten sich 1998 um Frontfrau Body Dalle im kalifornischen Los Angeles und lösten sich 2006 auf, nachdem sowohl Schlagzeuger Andy Granelli als auch Bassist Ryan Sinn die Band verlassen hatten. In jenen acht Jahren veröffentlichte die Band drei Alben und erlangte mit diesen (sowie eventuell dem Fakt, dass ihre Frontfrau bis 2020 mit Queens Of The Stone Age-Vorsteher Josh Homme liiert war) weltweit Kultstatus. Brody Dalle und Gitarrist Tony Bevilacqua gründeten nach Auflösung der Distillers mit Spinnerette eine neue Band, welche jedoch recht kurzlebig geriet. Brody Dalle ist seitdem auch als Solo-Künstlerin aktiv und veröffentlichte im Jahr 2014 mit „Diploid Love“ bislang ein Album unter eigenem Namen.
Nachdem The Distillers, die aktuell auch am Nachfolger zum 2003 erschienen jüngsten Langspieler „Coral Fang“ arbeiten, ursprünglich 2020 die ersten Europa-Shows nach ihrem Comeback spielten wollten, bestätigte die Band um Frontfrau Brody Dalle erst vor kurzem die neuen Tour-Termine für 2022. Da „Live In Lockdown“ im vergangenen Dezember aufgezeichnet wurde, mutet das Video zum Repertoire-Klassiker „City Of Angels“, welches den Vierer zwischen Weihnachtsbäumen, Kunstschnee, Schneemännern und Zipfelmützen zeigt, aktuell, Mitte Juli, zwar etwas eigenartig an, nichtsdestotrotz kann man sich damit bestens davon überzeugen, dass Brody Dalle und ihre Männer auch nach über einer Dekade Funkstille recht wenig von ihrer punkrockenden Energie verloren haben…
— The Distillers live —
02.06.22 Berlin, Zitadelle 06.06.22 Hamburg, Fabrik 10.06.22 UK-Donington, Download Festival 12.06.22 AT-Nickelsdorf, Nova Rock Festival 14.06.22 NL-Amsterdam, Melkweg 15.06.22 NL-Amsterdam, Melkweg 18.06.22 BE-Antwerpen, Trix 19.06.22 LU-Luxemburg, Den Atelier
Am internationalen Weltfrauentag (an alle Machos da draußen: selbiger wird am 8. März begangen) machten auch in diesem Jahr so einige Memes und Symbolbilder in den sozialen Netzwerken die Runde, in denen auf die weiterhin ungleichen Machtverhältnisse der verschiedenen Geschlechter aufmerksam gemacht wurde. Gern geteilt wurde dabei die lange Liste all jener Dinge, die sich Frauen für die Gleichberechtigung wünschen würden, unter anderem Chancengleichheit im Berufsleben und die Bekämpfung der Gender Pay Gap. Auf der anderen Seite stand die eine Sache, die Frauen stattdessen – bestenfalls und doch sehr oft – am Weltfrauentag bekommen: Rosen. Wie passend also, dass die Punkrocker von MARCH kurzerhand einen ganzen Strauß der altmodischen Kavaliersgeste abzufackeln gedenken. Auf dem Cover ihres zweiten Albums “Set Loose”, welches passenderweise am 20. März erschien, züngeln die Flammen zwar erst an einigen Knospen, doch in den elf Songs macht sich einiges an revolutionärem Lauffeuer-Potential breit. Ein Pulverfass mit deutlichem Hardcore-Einschlag, das es in sich hat. Punknputtel is slightly pissed.
„Die Platte ist ein Mantra, das eigene Feuer rauszulassen. Jeder hat dieses Glühen, das großartige Dinge in Gang setzen kann, wenn wir ihm freien Lauf lassen – das uns aber auch von innen ausbrennen kann, wenn nicht.“ (Fleur van Zuilen)
Im Opener “On High Heat” stürmt das 2013 gegründete niederländisch-belgische Quartett noch ohne Rücksicht auf Verluste nach vorn, bis Frontfrau Fleur van Zuilen, deren shoutendes Reibeisen-Gesangsorgan mit Leichtigkeit zwischen Screamo und cleanem Chorus zu wechseln versteht, im Refrain mit tiefsinniger Melodik konstatiert: “Two days is all I need to burn this to the ground”. Das möchte man auch gar nicht anzweifeln, denn was van Zuilen hier an Energie vom Stapel lässt, kommt der puren Live-Ekstase, mit der MARCH neben den Größen der Riot-Grrrl-Bewegung keineswegs verblassen, schon ziemlich nahe. Glücklicherweise verliert auch der Nachfolger zum 2016er Werk „Stay Put“ (welches im Rückspiegel doch recht brav tönte) nicht an Strahlkraft, was vor allem an der bewussten Portionierung der Ausbrüche liegen mag. Melodischere Distillers-Momente, wie etwa in “Challenger”, das fast entspannt zwischen Hellacopters und AC/DC soliert und Brody Dalle vor dem inneren Auge in den Proberaum der Runaways schiebt, stehen gleichberechtigt neben polternden Motörhead-Kniefall-Krachern wie “Born A Snake” oder den Sleaze-Chören von “She’s A Hurricane”. Anstelle also bei kompromissloser Knüppelei im Stile der Clowns – siehe “Fear Of Roses” – zu bleiben, profitiert die Struktur ungemein von all den unverschämt eingängigen Mitgröhl-Hooks, den dynamischen Melodiepfützen und den sich bedacht auftürmenden Instrumentalwände dazwischen.
Aber vor allem geht es dem Vierergespann aus dem niederländischen Breda, zu dem noch Gitarrist Hermance Van Dijk, Bassist Jeroen Meeus und Schlagzeuger Thomas Frankhuijzen gehören, um etwas. So ist “Challenger” an van Zuilens Lieblingsfilm “Death Proof” angelehnt, in dem sich eine Gruppe von Frauen mit kalter Schnauze an einem fiesen Macho-Arschloch rächt. “Fear Of Roses” widmet sich den Ängsten und Möglichkeiten jedes Einzelnen, “She’s A Hurricane” metaphorisiert mit dramaturgischer Finesse den zurückschlagenden Ausbruch einer Frau als Naturgewalt und “Start Again” besinnt sich auf klassische Systemkritik. Auch der Boden dieses knirschenden Pulverfasses wurde also mit den feinsten Mitteln verleimt – da dürfte die anstehende Detonation sogar die Wände der isoliertesten Punker-Quarantänestationen ins Wanken bringen. Bis MARCH, wie das Gros ihrer Musiker-Leidensgenossen auch, irgendwann endlich wieder auf Tour gehen dürfen, bleibt “Set Loose” (zu welchem man hier ein Track-By-Track-Interview findet) zwar ein Album, das das Rock’n’Roll-Rad nicht neu erfinden mag, jedoch ein feines Pflaster für die geschundene Punkerseele bildet. Angetrieben von der Wut auf das patriarchale System verpacken Fleur van Zuilen und Co. ihren dennoch optimistisch tönenden Crossover dabei etwas weiträumiger als Schwestern im Geiste wie die Petrol Girls oder War On Women und verfügen dabei über einen gelungenen 33-Minuten-Mix aus feministisch geprägten Botschaften und launiger Punk-Salven-Riffmeisterschaft.
Woher diese Vergleiche mit Distillers-Vorsteherin Brody Dalle und Konsorten kommen, macht vor allem „Reaper’s Delight“ deutlich. Klar, das mit Stoner Rock flirtende Riff bricht auf „Set Loose“ ein wenig aus dem erwarteten Korsett aus und erinnert an etwas milder gestimmte Cancer Bats, und doch steckt ordentlich Wucht in dem Brecher, dessen Geisterbahn-Musikvideo, obwohl bereits im Januar veröffentlich, kaum besser zu Halloween passen könnte…
Mein erster Gedanke: Die gruselige dürre Horror-Uschi vom Dachboden des ersten „[REC]“-Streifens (und hiermit sei bitte explizit das spanische Original gemeint!) hat’s nach draußen geschafft und im sonnigen L.A. eine tieftönende Glamrock-Band gegründet…
Ist natürlich Quatsch. Dennoch mag einen die groß gewachsene, mit „schlaksig“ noch mild umschriebene Statur von Frontdame Arrow De Wilde gut und gern das Fürchten lehren. Und die Musik, die die Tochter von Star- und Szene-Musikfotografin Autumn De Wilde (die in der Vergangenheit unter anderem Größen von Beck, Fiona Apple, die White Stripes, Wilco, die Raconteurs bis hin zu Elliott Smith vor die Linse bekam) mit ihrer Band Starcrawler auf dem selbstbetitelten, im vergangenen Jahr erschienenen Debütwerk durch die Lautsprecherboxen jagt? Klingt, „als hätten die Cramps mit Joan Jett im Schlepptau die B-52’s im Proberaum überfallen“ (meint etwa der „Musikexpress„). Oder wie ein zwischen somnambul und Sonnenstich pendelnder Mix aus Ozzy Osbourne, den Runways, Misfits, Yeah Yeah Yeahs und Patti Smith. Klar wäre das Quartett aus dem Los-Angeles-Viertel Echo Park, wo Arrow De Wilde ihre drei milchbübigen Mitstreiter einst auf dem Schulpausenhof rekrutierte, gern so manisch, bissig und gefährlich wie einst Iggy Pop und seine Stooges, oder meinetwegen – um auch ein weibliches Role Model ins Feld zu führen – wie Brody Dalle und ihre seligen Distillers. Dafür baden die zehn Glam’n’Punk’n’Roll-Songs des Debütalbums, welches übrigens von einem gewissen Ryan Adams mit reichlich fachmännischem Retro-Chic produziert wurde, jedoch zu genüsslich im Pop. Da können de Wilde und Band-Nesthäkchen-Gitarrist Henry Cash noch so sehr ihre Liebe zu Oralsex und der Stadt der Engel besingen, pausbäckigen Hass ausspeien, juvenile Tränen vergießen und verkünden: „I don’t wanna be anything but me. I don’t wanna be cause I will do what I want.“ Da kann man noch so viele prominente Fans und Fürsprecher von Dave Grohl (Foo Fighters) über Shirley Manson (Garbage) bis hin zu Elton John vorweisen und auf der Bühne manische an das „Der Exorzist“-Mädchen (oder eben „[REC]“) gemahnende Posen und Verrenkungen aufs Parkett legen. Es bleibt düster scheppernder Pop. Der jedoch? Unterhält.
Normalerweise erwartet man bei musikalischen Duos einen Sound, der im weitesten Sinne als bluesbasierter Rock durchgeht – The White Stripes, The Black Keys, Two Gallants oder Royal Blood mach(t)en es vor, und auch andere Zweiergespanne wie The Dresden Dolls, Japandroids, The Kills oder Blood Red Shoes haben bereits unter Beweis gestellt, dass man auch ohne die „klassische“ Kombo aus GitarreSchlagzeugBass ordentlich für (Bühnen)Radau sorgen kann. Dass mit zwei Instrumenten aber aber auch kratzig-druckvoller Punkrock a la The Distillers, L7 oder auch Against Me! und Propagandhi möglich ist, beweisen Mobina Galore aus dem kanadischen Winnipeg.
Winnipeg… Winnipeg… War da nicht mal was? Genau. Zumindest auf lyrischer Ebene ist die 660.000-Einwohner-Stadt unweit der US-Grenze seit dem Weakerthans-Song „One Great City!“ längst unsterblich. Dass der Verfasser dieser wenig schmeichelhaften Zeilen, John K. Samson, seines Zeichens bis 1996 Teil von Winnipegs Vorzeige-Punkern Propagandhi (nicht, dass es da allzu viele gäbe) und später Frontmann der Weakerthans, seine Heimatstadt für einen recht deprimierenden Ort halten dürfte, bleibt kein Geheimnis:
„Late afternoon, another day is nearly done A darker grey is breaking through a lighter one A thousand sharpened elbows in the underground That hollow hurried sound of feet on polished floor And in the dollar store the clerk is closing up And counting loonies trying not to say I hate Winnipeg“
Ganz ähnlich dürfte es auch Gitarristin/Sängerin Jenna Priestner und Schlagzeugerin Marcia Hanson gegangen sein, als sie sich vor sieben Jahren dazu entschlossen, fortan möglich lautstark gegen die kanadische Eintönigkeit anzuspielen. Mobina Galore waren geboren, die bald schon eine erste, mit massig Garagen-Spirit zusammengeschusterte EP (die „Skeletons EP„) sowie 2014 den Debüt-Langspieler „Cities Away“ aufs kopfschüttelhungrige Punkrock-Publikum losließen. Die Musik? Melodisch, wütend, meist schnell, kraftvoll, tritt ordentlich Ärsche. Die Texte? Erzählen vom Älterwerden („You’re Not 23 Anymore“, „2002“) und der tollen, blöden Liebe („Restless Nights“). Typische, mit Spuren von Emo durchzogene Adoleszenz-Lyrik eben, die zwar keine Preis für allzu hoch angesetzte Kreativität erhalten will, dafür aber ihre Topoi aus dem Leben greift. (Und mal ehrlich: besonders schlaue Texte hatten Größen wie die Rolling Stones oder Led Zeppelin ja auch nie.)
„I didn’t think that it would cut so deep…“ (aus „Ready To Let Go“)
Genau diesen Weg greift das im Februar erschiene zweite Album „Feeling Disconnected“ nun auf – und denkt den Erstling musikalisch weiter. Entstanden sind dabei zehn Stücke, die, jedes für sich, eine in schwarzen Lack getauchte Kerze für die Schutzheilige Brody Dalle anzünden und sich erneut allesamt dem schnellen Punkrock zuschreiben lassen, jedoch auch klare Hardcore-Einflüsse offenlegen. Trotz einiger Rhythmuswechsel klingen hierbei alle Songs nach einer Menge Moshpit-Potential. Klar, einige Grundelemente wiederholen sich in nahezu jedem Lied auf „Feeling Disconnected“ – insbesondere die rotzige „Fuck off!“-Aggressivität in der Stimme von Sängerin Jenna Priestner und auch der Doppelgesang mit Marcia Hanson fallen hier auf. Durch diese Homogenität im Songwriting bleibt das Album – bis auf wenige Ausnahmen – wenig abwechslungsreich, geht aber auf Grund der sehr eingängigen Hooks und simplen Melodien schnell ins Ohr. Gefällt einem dieser Musikstil, der durchaus auch Parallelen zu Against Me! (mit denen Mobina Galore auch bereits auf Tournee waren), No Use For A Name, Lagwagon, Bad Religion oder den Petrol Girls aufweist, kann man an den neuen, trotzig in die Saiten geschreddert und mit mental geballter Faust ins Mikrofon gebrüllten Coming-of-Age-Hardcorepunkrüplern aus dem Hause Mobina Galore schnell Gefallen finden. Feine kurzweilige Punkrock-Songs, die für sich selbst sprechen.
Hörproben gefällig? Hier gibt’s die Musikvideos zu „Skeletons“ und „Bad Love Song“ (vom Erstling „Cities Away“)…
…sowie zu „Spend My Day“ und „Suffer“ (vom aktuellen Album „Feeling Disconnected“):
Via Bandcamp kann man sich alle bisherigen EPs und Alben von Mobina Galore zu Gemüte führen:
Damit ihr nicht vollkommen den Überblick über alle hörens- und sehenswerten Neuerscheinungen der letzten Woche(n) verliert, hat ANEWFRIEND hier wieder einige der Video- und Songneuerscheinungen der letzten Tage für euch aufgelesen…
Conor Oberst – Hundreds Of Ways
Glaubt man dem eigenen (digitalen) Plattenschrank, so war es in letzter Zeit ruhig um Conor Oberst. Dabei war das einstige „Wunderkind des Folk“ keinesfalls untätig, immerhin hat Oberst neben seiner seit mehr als 15 Jahren betriebenen Stammband Bright Eyes auch Soloaktivitäten oder die Alt. Country-„Supergroup“ Monsters Of Folk, zu welcher auch My Morning Jacket-Frontmann Jim James, Singer/Songwriter M. Ward oder Langzeitproduzentenkumpel Mike Mogis zählen, fest im Auge. Zudem reaktivierte er im vergangenen Jahr seine Post-Hardcore-Indierocker Desaparecidos, um mit ihnen ein paar – freilich politisch höchst relevante – Singles zu veröffentlichen und karitative Konzerte zu spielen.
Nun jedoch soll es wieder Zeit für ein neues Soloalbum sein. „Upside Down Mountain“, der Nachfolger zum 2008 erschienenen selbstbetitelten Plattenalleingang, wird am 20. Mai via Nonesuch Records veröffentlicht, wurde vom auf archaisch große Folk-Traditionen spezialisierten Musikerbuddy Jonathan Wilson produziert und wird wohl den ein oder anderen Gastauftritt, wie den des schwedischen Folk-Schwesternpaares First Aid Kit, die sich damit wohl bei Oberst für dessen Gastspiel auf ihrem zwei Jahre zurückliegenden Album „The Lion’s Roar“ revanchieren, bereithalten. Schon jetzt gibt es mit „Hundreds Of Ways“ einen ersten Vorgeschmack aufs kommende Conor Oberst-Werk, und der weist mit seinen ebenso introspektiven wie melancholischen und weitsichtigen Textzeilen, seiner country’esken Stimmung und Obersts markanter Stimme durchaus Dylan’sche Qualitäten auf…
„What a thing to be a witness to the sunshine / What a dream to just be walking on the ground / What a time to live among the ash and remnants of our love / That came before and I’m still looking for that now…“
The Notwist – Kong
Wesentlich weniger Geduld müssen alle Freunde der deutschen Elektronik-Frickel-Indierocker The Notwist aufbringen, immerhin erscheint deren neues Album „Close To The Glass“ bereits in wenigen Tagen. Bevor Platte Nummer sieben ab dem 21. Februar in Gänze in die Regale wandert, stellt die international geschätzte Band aus dem beschaulichen oberbayrischen Weilheim, deren Album in den USA vom feinen Indie-Label Sub Pop Records vertrieben wird, mit „Kong“ einen der heimlichen Hits auf „Close To The Glass“ vor und schickt das Stück samt einem Animationsvideo von Regisseur Yu Sato ins Rennen. Das macht auch durchaus Sinn, erzählt der Song doch die Geschichte eines Superhelden namens „Kong“, der eine Familie aus dem Ausnahmezustand rettet und auf ein autobiografisches Erlebnis von Notwist-Sänger Markus Achter anspielt, der als Kind viele Comics las und sich während eines regnerischen Tages in Weilheim – als Hochwasser die Stadt bedrohte – vorstellte, dass ein Superheld kommen und ihn und seine Familie aus den bedrohlichen Fluten retten würde…
(Wer den Song als Live-Version hören mag, der kann sich hier einen Mitschnitt von „Kong“, den die Band während eines Konzerts in Düsseldorf im Kotober 2012 zum Besten gab, ansehen…)
Marcus Wiebusch – Konfetti
Das hat aber gedauert, Herr Wiebusch! Immerhin ein Jahr Zeit hat sich der hauptberufliche Kettcar-Bandchef und (zu einem Drittel) Labeleigentümer des geschätzten Grand Hotel van Cleef nach der Veröffentlichung seines Drei-Song-Solo-EP „Hinfort ! Feindliche Macht“ gelassen, um mit dem längst versprochenen Soloalbum in die Pötte zu kommen. Dass nun sowohl das Cover als auch die Tracklist und ein Veröffentlichungsdatum (der 18. April) vom Marcus Wiebusch-Debüt „Konfetti“ stehen, ist umso erfreulicher. Und falls auch nur ein Teil der elf Stücke so großartig gerät wie „Nur einmal rächen“, im vergangenen Jahr bereits Bestandteil der EP, nun freilich auch auf dem Debüt vertreten und außerdem eine meiner persönlichen Lieblingssongs 2013, dann steht uns ein wahrlich famoses Album von einem der sympathischsten und gewieftesten bundesdeutschen Musik-Lyriker ins Haus…
„Wenn ich abends einschlafe oder morgens aufwache / Ein gutes, cooles Leben wird die beste Rache / Eure Welt programmieren, meine leichteste Sache / Ein gutes, cooles Leben ist die beste Rache….“
Brody Dalle – Meet The Foetus / Oh The Joy
Rückblick 2003: Marcus Wiebuschs Hauptband Kettcar hatte damals unlängst ihr vielgelobtes und seitdem – sowohl in Punkto „Referenzwerk“ als auch als „Meilenstein“ – oft zitiertes Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“ in Label-Eigenregie in die Plattenregale gebracht, und auch aus den US of A vernahm man ein gewaltiges Brausen und Grollen. „All my friends are murder / Hey, all my bones no marrows in / All these fiends want teenage meat / All my friends are murderers“ zischte die damals 24-jährige Brody Dalle in „Drain The Blood„, der Leadsingle des dritten Albums „Coral Fang“ ihrer damaligen Band The Distillers, höchst pissed’n’angry in Mikro. Auch heute noch verursachen der Song und seine zehn Albumkumpane energetische Punkrock-Fallstricke in den Magengruben all jener, denen das Album in bester Rancid-Tradition (mit Tim Amstrong, dem Frontmann der kalifornischen Punktocker, war Dalle übrigens bis 2003 für ganze sechs Jahre verheiratet) damals in die Karten der adoleszenten Wirren spielte. Dann jedoch machten die Distillers unvermittelt Schluss, Dalle bandelte mit Queens Of The Stone Age-Mastermind Josh Homme an, heiratete ihn 2007 und zog sich als zweifache Mutter weitestgehend aus dem Musikgeschäft zurück – Windeln und Fläschchen statt Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Und obwohl der erneute Versuch der gebürtigen Australierin, im Jahr 2009 mit dem selbstbetitelten Debüt ihrer neuen Band Spinnerette an die alte Klasse anzuknüpfen, eher Alternative Rock-mäßig mau ausfiel, beweist etwa Caspers Textreferenz im Song „230409“ („Du warst nie Brody Dalle / Und ich war nie dein Wes Eisold“ – vom Album „XOXO“), dass die Dame auch heute noch als Inbegriff der „Bonnie & Clyde“-mäßig abgefuckten Erotik des Punkrock gilt…
Nun also wagt die mittlerweile 35-jährige Brody Dalle, die auch optisch kaum noch etwas mit dem kaputten Twentysomething-Ich ihrer Selbst gemein hat (blonde Mähne statt buntem Mohawk), einen erneuten Anlauf im Musikgeschäft. „Meet The Foetus / Oh The Joy“, der erste Song ihres kommenden Soloalbums, das von QOTSA-Intimus Alain Johannes produziert wurde, lässt dabei freilich all die Bissigkeit der Distillers vermissen und erinnert mit seinem verrockten Hall und den derben Riffs eher an Achtziger-Jahre-Darkwave-Heroen wie Bauhaus oder – natürlich – die Queens Of The Stone Age. Kein großes Ding also, und man hofft, dass Dalle mit dem Rest des Albums mehr überzeugen kann als mit diesen ersten fünf Minuten. Ein kleines Ausrufezeichen kommt jedoch aus dem Hintergrund, immerhin lotste die ehemals „sexiest woman in punkrock“ keine Geringeren als Emily Kokal (Warpaint) und Shirley Manson (Garbage) für die Backing Vocals ins Studio…
Karen O – The Moon Song
Ein nicht eben unähnlicher Ruf eilt auch Karen O voraus. Seit dem elf Jahre zurückliegenden Debütalbum ihrer Band, den Yeah Yeah Yeahs, gilt die 35-jährige New Yorkerin als feministische Stil-Ikone, die mit ihren Outfits mal Trends setzt, mal aneckt und mit ihrer Musik kaum bis keinerlei Anbiederei oder Kompromisse an den Zeitgeist zulässt, sondern diesen schlichtweg selbst mitdefiniert. Dass dieser Weg durchaus von Erfolg gekrönt sein kann, zeigen einerseits die vielfachen Grammy-Nominerungen des Yeah Yeah Yeahs, andererseits jedoch auch, dass Karen O für „The Moon Song“, ihren Beitrag zum – im Übrigen sehr zu empfehlenden – neuen Film „Her“ von Kultregisseur Spike Jonze, nun für den Oscar als „bestes Titelstück“ nominiert wurde.
Wer das bezaubernde „The Moon Song“, im Film selbst von den beiden Hauptdarstellern Joaquin Phoenix und Scarlett Johansson gesungen, noch nicht kennt, der sollte dies schleunigst nachholen. In dieser Version gab Karen O den Song gemeinsam mit Regisseur Spike Jonze und Produktdesigner KK Barrett bei der Online-Radioshow von KCRW „Morning Becomes Electric“ zum Besten:
Außerdem nahm Karen O „The Moon Song“ noch im Duett mit Vampire Weekend-Frontmann Ezra Koenig auf – in eben der Variante, die der Sängerin im Grunde von Anfang an vorschwebte: „It’s wild because ‚The Moon Song‘ was written and recorded in the most humble of circumstances; at my dining room table, a few paces away from the couch I read the script for Her for the first time“, wie Karen O dem Rolling Stone erzählte. „I was really excited at the prospect of getting to record it with a male vocalist. Ezra was super cool and open, he slipped into character like a champ and damn he’s got the goods.“
The National – I Need My Girl + Live from the Sydney Opera House
Und allwöchentlich grüßen The National… Nachdem die US-Band in der vergangenen Woche noch zum Cover-Contest ihres Songs aufrief (das Rennen machte am Ende übrigens jene Multiinstrumental-Version von Kai Keefe), präsentierten die Mannen um Frontstimme Matt Berninger am Freitag – und damit passend zur Feier des Valentinstags – das Musikvideo zur Ballade „I Need My Girl“, in welchem die Kamera vor einem komplett in schwarz getauchten Hintergrund um zum Tanz aufgestellte Paare kreist, die sich vertraut in die Augen blicken und aneinander schmiegen. Romantik pur – und das von den wohl größten Indierock-Melancholikern unserer Zeit…
Und als ob das noch nicht genug wäre, bietet die Band all denen, die es bis dato noch nicht zu einer Show von The National geschafft haben (so wie ich, leider) oder diese intensiven Eindrücke noch einmal Revue passieren lassen wollen, den kompletten zweitstündigen Auftritt im ebenso berühmten wie ehrwürdigen Opernhaus von Sydney, Australien, welcher jüngst am 8. Februar stattfand und bei dem The National ganze 26 Songs zum Besten gab, im Stream an:
Man führe sich einmal folgendes – natürlich rein fiktives – Verwandtschaftsverhältnis vor Aug‘ und Ohr: Uneheliche Tochter des ewig guten Punkgewissens Patti Smith und Billy Bragg, dem stets mit einer Gitarre bewaffneten Sozialmahner Englands, Nichte von The Clash-Ikone Joe Strummer, Schwester vom kumpeligen Punkrock-Sympathikus Frank Turner. Dabei klingt sie wie Ex-Distillers-Röhre Brody Dalle, bevor diese sich entschloss, das tägliche Rotz-und-Blut-Rock’n’Roll-Leben gegen jenes gemeinsame mit Queens Of The Stone Age-Frontmann Josh Homme zu tauschen und fortan die Kinder zu hüten. Oder wahlweise wie Courtney Love (auf eine gute Art und Weise!). Ganz klar: Louise Distras ist ein Kind der Neunziger!
Foto: Mike Distras
Dabei ist die Mittzwanzigerin aus dem englischen Wakefield ebenso mit Nirvana wie mit üblichen musikalischen Verdächtigen jener Zeit – man denke nur an selige „Nu Metal“-Tage á la Korn oder Deftones zurück – aufgewachsen, und entdeckte danach, Album für Album, Bands wie Hole, Screaming Trees, Butthole Surfers, Mudhoney, Pearl Jam, Alice In Chains, Silverchair, Black Flag, die Sex Pistols oder The Clash für sich. Distras war angefixt! Bald schon schrieb sie eigene Stücke über ihr Leben und ihre Alltagsbeobachtungen, über Recht und Unrecht, über persönliche Gefühle und soziale Missstände. Im Alter von 14 Jahren spielte sie ihre erste Show, schloss sich mal hier, mal da diversen Bands an, zog mit 22 Jahren nach London und entschloss sich dort, fortan im Alleingang aufzutreten. Für ihren weiteren Weg machte sie sich die Vorzüge des weltweiten Netzes zunutze und veröffentlichte 2011 zwei erste Solo-EPs mit Demos im Internet. Und die blieben keineswegs unbemerkt! Doch das beständig steigende Interesse an ihrer Person und jedem neuen Stück dürfte wohl keineswegs nur in der puren Qualität von Songs wie „The Hand You Hold“ begründet liegen, sondern auch und vor allem, dass Louise Distras seit 2010 nicht müde wird, sich in Großbritannien und dem europäischen Festland einen Namen als junge Künstlerin „zum Anfassen“ zu machen – als eine, die gleichsam Herz und Hirn auf jede noch so winzige und verrauchte Kellerclubbühne bringt. Als eine, die eben nicht den schnellen Aufzug hinauf zu den Einweg-Verwertungsmechanismen der großen Plattenfirmen nehmen möchte. Dass England eben solche Künstlerinnen fernab von Castingeinerlei á la „X Factor“ bitter nötig hat, zeigte in der Vergangenheit bereits das gesteigerte Interesse an Musikerinnen wie Kate Nash. Und auch Louise Distras verdiente sich bereits Lob von Tageszeitungen wie dem Guardian, während das ein oder andere erste Stück auf BBC Radio 1 landesweit gespielt wurde. Dabei steht ihre erste kleine Sternstunde noch vor der Tür: Das gemeinsam mit Produzent Steve Whale (Ex-The Business) in den Londoner Perry Vale Studios aufgenommene Debütalbum „Songs From The Factory Floor“ erscheint am 30. September.
Was man in Zukunft von Louise Distras erwarten darf? Vor allem wohl eine Musikerin, die „den Mund aufmacht“, markigen Worten wie „never let the hand you hold, hold you down“ (aus dem nicht zufällig am 8. März 2012, dem internationalen Weltfrauentag, veröffentlichten Song „The Hand You Hold“) auch Taten folgen lässt. Denn unter Distras‘ vermeintlich harter, von den typischen Punkrock-Tattoos überzogener Haut, schlägt ein Herz, dass nicht anders kann, als für Ideale zu kämpfen. Und so schlägt sich die wahlweise als „weiblicher Joe Strummer des 21. Jahrhunderts“ (Shattered Glass Media) oder als „neues Gesicht des Akustikpunk im UK“ (Street Sounds Magazine) bezeichnete Künstlerin Nacht für Nacht in Vans oder auf Sofas in den Backstagebereichen kleiner Clubs um die Ohren. Und will am Ende doch nur eins: Spielen. Für sich, für andere, für „DIY“-Ideale. Und um damit die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Klingt altmodisch? Ist es auch! Doch solange dabei tolle Songs und hehre Absichten herauskommen, sind Patti Smith, Joe Strummer, Frank Turner, Brody Dalle oder Courtney Love sicher stolz auf sie. Und Billy Bragg? Mit dem durfte sich Louise Distras sogar schon eine Bühne teilen…
Hier gibt’s die 4-Track-EP „Shades Of Hate“ auf die Ohren, welche ihr euch auf Louise Distras‘ Homepage auch – im Tausch gegen eine E-Mail-Adresse – aktuell (noch) herunterladen könnt – natürlich punkrockig kostenlos…
Wer’s visuell mag, bekommt hier die Videos zu den Songs „The Hand You Hold“…
(Wer muss hier noch an die Distillers denken? Egal, verdammter Hit, das Ganze! Und einer von ANEWFRIENDs Songs des Jahres…)
…dem bereits zwei Jahre alten Kleinstadt-Abgesang „Blue On Black“…
…und dem Anfang 2013 veröffentlichten, gemeinsam mit Oi!-Punk-Ikone Jenny Woo eingesungenen Stück „Stand Strong Together“: