„Look up here, I’m in heaven
I’ve got scars that can’t be seen
I’ve got drama, can’t be stolen
Everybody knows me now
Look up here, man, I’m in danger
I’ve got nothing left to lose
I’m so high, it makes my brain whirl
Dropped my cellphone down below
Ain’t that just like me?!
By the time I got to New York
I was living like a king
Then I used up all my money
I was looking for your ass
This way or no way
You know I’ll be free
Just like that bluebird
Now, ain’t that just like me?
Oh, I’ll be free
Just like that bluebird
Oh, I’ll be free
Ain’t that just like me?“
(„Lazarus“ vom Album „Blackstar“)
Als ich heute früh in die Küche komme, fragt mich meine Freundin: „Du, kann es sein, dass David Bowie gestorben ist?“ Ich stocke kurz, stutze, denn mir steckt der Tod von Motörheads Lemmy Kilmister noch immer ein wenig in den Knochen. „Nee“, entgegne ich, „der hat doch noch vor drei Tagen ein neues Album rausgebracht. Muss wohl ’ne Falschmeldung sein, oder du hast da irgendetwas falsch verstanden. Dem geht’s schon gut.“ Der letzte Satz war wohl mehr an mich selbst als an meine Freundin gerichtet. Trotzdem klappe ich schnell mein MacBook auf, checke das erstbeste Nachrichtenportal. Da die Eilmeldung: „David Bowie ist tot.“ Mir läuft ein Schauer beunruhigend eiskalt den Rücken herunter. Darauf wechsle ich zu Facebook, zu Twitter. Innerhalb von Minuten hat sich da bereits alles mit R.I.P.-seligen Beileidsbekundungen gefüllt, kaum etwas anderes scheint der Welt an diesem frühen Montagmorgen (mitteleuropäischer Zeit) wichtig. Links zu Lieblingssongs machen die Runde, Persönliches wie Ausführliches und Offensichtliches. Die digitale Welt nimmt Anteil, steht für viele lange Atemzüge unter Schock.
Überhaupt: „David Bowie ist tot.“ – wie irrwitzig, wie unrealistisch sich dieser Satz liest, wie unwahr er klingt. Als würde eine Gazette titeln: „Gott ist tot.“ Alles möglich zwar – es kommt nur auf den Standpunkt an -, dennoch darf man berechtigte Zweifel hegen. Und der fannah-popmusikalisch Geschulte darf gern Blasphemie unterstellen.
Warum? Weil David Bowie im Grunde immer schon da war. Seit den späten Sechzigern, als er im Swingin‘ London seine ersten (Folk-)Gehversuche unternahm. Und: ja, alles, was darauf folgte, ist popkulturelle Geschichte. Er war Major Tom (der Klassiker „Space Oddity“ von 1969), war die Glamrock-Kunstfigur Ziggy Stardust, war der koksende Soulvampir, der als „Thin White Duke“ bekannt wurde, ging Ende der Siebziger für kurze Zeit nach Westberlin, um im Stadtteil Schöneberg in einer WG mit einem gewissen Iggy Pop zu wohnen und während dieser Zeit in den nahe gelegenen Hansa-Studios mit der Album-Trilogie aus „Low„, „Heroes
“ und „Lodger
“ Meilensteine aufzunehmen (und mit „Helden“ einen seiner Klassiker sogar auf deutsch zu intonieren), widmete sich in den Achtzigern mehr dem New Wave und der widerspenstig-abseitigen Seite des Pop („Let’s Dance
„), nur um in den Neunzigern erneut eine Transformation zu durchleben – die zum Elder Statesman, der mahnend über allem schwebte und schützend seine künstlerische Hand über jene Adjutanten legte, die seiner inspirierenden Ader nachhingen (und das waren nicht wenige). Alben veröffentlichte der 1947 als David Robert Jones im Londoner Stadtteil Brixton zur Welt gekommene Kosmopolit bis 2003 beinahe stetig im Zweijahrestakt, bis „Reality
“ in ebenjenem Jahr sollten es ganze Dreiundzwanzig werden. Und als ob das noch nicht genug wäre, spielte das kulturell höchst wandelbare Chamäleon noch gute Rollen in einem Dutzend Filme, von welchen vor allem „The Man Who Fell From Earth“, „Labyrinth“, „Christinane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder „The Prestige“ in Erinnerung bleiben werden (ebenso wie Gastrollen in „Twin Peaks“).
Dann jedoch kam 2004, als Bowie nach einem Auftritt beim „Hurricane“-Festival im norddeutschen Scheeßel mit Verdacht auf Herzinfarkt in ein Hamburger Krankenhaus eingeliefert und dort notoperiert wurde. Die 14 Termine – und damit auch jener beim „Hurricane“-Schwersternfestival „Southside“, wo ich ihn live gesehen hätte – wurden abgesagt, und David Bowie sollte – von einem kurzen Gastauftritt an der Seite von Norah Jones bei einer New Yorker Charity-Veranstaltung 2006 – von da an nie wieder auf einer Bühne auftreten. Mehr noch: ebenjener Künstler, der fast vier Dekaden lang die Pop- und Rockmusik mit all ihren Facetten geprägt hatte, zog sich von da an fast gänzlich ins Private, in seine vier Wände nach New York City zurück.
Umso überraschender kam Bowie 2013 – und damit ganze zehn Jahre nach „Reality“ – mit einem neuen Album, „The Next Day„, ums Eck, auf dem er unerwartet konventionell die Vergangenheit feiert. Trotzdem war es schön zu hören, dass der Mann auch nach (s)einer langen Pause sein Gespür fürs Musikalische nicht gänzlich verloren hatte. Mit dem am vergangenen Freitag, den 8. Januar – Bowies 69. Geburtstag – veröffentlichten 25. Studiowerk „Blackstar
“ ging der visionäre Musiker mit seinem Stammproduzenten Toni Visconti sogar noch ein paar Schritte weiter, heuerte einige der besten Jazzmusiker New York Citys an und nahm Stücke wie das großartige „Lazarus“ auf – irgendwie Jazz, irgendwie Fusion, viel Improvisation. Man durfte nur erwarten, dass man ein Album wie dieses nicht (mehr) von Bowie erwartet hätte. Aber so war er eben.
War? Ja, leider. Am gestrigen 10. Januar erlag Bowie – zwei Tage (Lemmy lässt schön grüßen) nach seinem 69. Geburtstag, zwei Tage nach Veröffentlichung von „Blackstar“ – in New York (s)einem Krebsleiden, dessen Diagnose er 2014 bekam. Will heißen: er wusste, dass sein 25. Studiowerk sein ganz persönliches Abschiedsgeschenk an die Musikwelt werden würde, und arbeite mit diesem Wissen an seinen letzten Songs. Mit dieser Ahnung dröhnt „Blackstar“ noch um Einiges dunkler, abgründiger, verheißungsvoll nach Lebewohl.
Erst vor wenigen Tagen hatte ich mit meinem Vater eine kurze Unterhaltung darüber, dass all seine – und auch einige von meinen – musikalischen Heroen, die man gefühlt schon immer um sich wusste, wohl in absehbarer Zeit das Zeitliche segnen werden, und wie eigenartig sich dieses Gefühl im Grunde anfühlt. Und obwohl weder mein Vater noch ich große Bowie-Fans waren, so fühlt sich die Nachricht vom Tod David Bowies exakt so an: eigenartig. Denn ohne David Bowie wäre die Musikwelt – egal, ob im Pop-, im Rock-, im Elektro-, im Jazz-, Soul-, Blues- oder Wasweißichauchimmerbereich – heute nicht die, die sie ist. Und nicht nur Musiker, auch Modemacher, Filmemacher (Bowies Sohn aus erster Ehe, Duncan Jones, ist selbst Regisseur) oder Maler ließen sich über die Jahrzehnte von ihm inspirieren. Er kollaborierte über all die Jahre mit zig Künstlern und Bands aus verschiedensten Genres (Queen, Pet Shop Boys, Iggy Pop, Nine Inch Nails, Placebo, Massive Attack, Lou Reed, TV On The Radio, Arcade Fire…), und jeder, den er mit einem seiner raren Gastauftritte die Ehre erwies, konnte sich a) glücklich schätzen und b) kein schlechtes Wort über den gebildeten gebürtigen Briten und Wahl-New-Yorker verlieren. Denn selbst für all jene, die im Laufe seiner Karriere nicht zu Fans mutierten, war Bowie etwas Besonderes, ein Chamäleon, das mit seinen einerseits visionären wie ebenso absolut zeitgeistigen Ideen allen Freaks und Intellektuellen, allen Abgehobenen wie Auf-dem-Boden-gebliebenen eine Stimme verlieh. David Bowie war der Außenseiter im inneren Zirkel, der Mann, der zur Erde fiel, und am Ende doch wohl ganz in sich ruhte. Die menschliche Seite an Bowie mag nur allzu sterblich gewesen sein, eine Legende, der man nie so ganz habhaft werden konnte, jedoch war der Mann bereits zu Lebzeiten. Und genau das ist es doch, was Popmusik so schön, so interessant macht: der kleine Rest Mysterium am Ende des Kaffeesatzes… Mach’s gut, Thin White Duke.
„This is Major Tom to Ground Control
I’m stepping through the door
And I’m floating in a most peculiar way
And the stars look very different today… for here.“
(„Space Oddity“ vom gleichnamigen Album)
(Obwohl ich heute im Laufe des Tages vor allem die tolle Queen-Kollaboration „Under Pressure“ und den Danny-Lohner-Mix von „Bring Me The Disco King“ im Kopf hatte…)
Rock and Roll.