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Der Jahresrückblick – Teil 1


„High Fidelity“ lässt lieb grüßen, denn der Pop ist bekanntlich seit jeher besessen von Listen. Ob Verkaufscharts, Streamingzahlen oder höchst subjektive Kritiker*innen-Rankings – ständig weder Plattenregale uns -sammlungen, wird die Veröffentlichungsflut in Listenform gebracht, wird Altes in Listenform neu gewichtet. Zum Jahresende ist es besonders heftig, denn natürlich dürfen, sollen, müssen überall die besten Alben und Songs der vergangenen zwölf Monate gekürt werden. 

Vor dem Blick auf die Deutschen Charts scheue (nicht nur) ich auch sonst schon zurück, da sich dieses Land seit jeher durch (s)einen notorisch schlechten Geschmack auszeichnet und Fremdscham-Alarm jedes Mal aufs Neue garantiert ist. Und leider bilden die erfolgreichsten Titel des Jahres 2022 da – Bestätigung, hier kommt sie – keine Ausnahme: Das nervtötend ohrwurmige Vollpfosten-Lied „Layla“ von DJ Robin & Schürze belegt den ersten Platz der Single-Charts – neun Wochen hielt sich der dumpftumbe Ballermann-Hit, der ein Skandälchen auslöste, jedoch besser keinerlei Erwähnung verdient gehabt hätte, an der Chartspitze, mehr als 143 Millionen Mal wurde er gestreamt. Bei den Alben dann ebenfalls keine Überraschung: Mit „Zeit“ führen die Teutonen-Böller-und-Ballermänner von Rammstein erwartungsgemäß die Liste an – und zwar mit deutlichem Abstand. 340.000 Mal hat sich das elfte Nummer-Eins-Album der Berliner Band um das personifizierte rrrrrrrrollende „R“, Till Lindemann, insgesamt verkauft. Wie erwartbar, wie öde. Und irgendwie ja auch ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft…

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Christian Lee Hutson – Quitters

In den zurückliegenden Monaten durfte man ein ums andere Mal kopfschüttelnd seinen Glauben an die Menschheit verlieren: Kriege, Krisen, Klimawandel und damit einhergehende Umweltkatastrophen, Inflation, dazu die – hoffentlich – letzten Ausläufer einer weltweiten Pandemie, gesellschaftliche Spaltungen, politischer Stillstand (oder gar der ein oder andere Rechtsruck) wohin man schaute. Gesellschaftliche Unruhen im Iran, weil irgendwelche gottverdammten Männer unter religiösen Deckmänteln an ihrem formvollendet sinnfreien Regelwerk der Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden festhalten wollen? Eine aus so vielen, so falschen Gründen aus dem heißen Wüstenboden hochgezogene und mit unvorstellbar viel Blutgeld durchgeführte Winter-Fußball-WM in Katar? Ja, auch 2022 fanden Tagesschau und Co. meist statt, wenn der Sprecher (oder die Sprecherin) einem einen „Guten Abend“ wünschte und darauf mit vielerlei Schlagzeilen bewies, dass es eben kein guter war. Dass die Musikwelt in diesem Jahr Größen wie Mark Lanegan, Taylor Hawkins (Foo Fighters), Meat Loaf, Jerry Lee Lewis, Andy Fletcher (Depesche Mode), Christine McVie (Fleetwood Mac), Loretta Lynn, Betty Davis oder Mimi Parker (Low) verlor, macht das Ganze keineswegs besser. Dass 2022 Konzerte und Festivals endlich wieder in halbwegs „normalem“ Rahmen stattfinden konnten, jedoch schon – wenngleich es der Live-Branche jedoch alles andere als gut geht und vor allem kleinere, unbekanntere Künstler*innen und Bands sich in der Post-Corona-Zeit mit immer neuen Schwierigkeiten konfrontiert sehen (wen es interessiert, dem sei ein recht ausführlicher Artikel mit dem Titel „Kuh auf dem Eis“ hierüber in der aktuellen Ausgabe der „VISIONS“ – Nummer 358 von 01/2023 – ans Herz gelegt). Ja, das noch aktuelle Jahr war rückblickend sowohl gesellschaftlich als auch fürs menschliche wie planetare Zeugnis kein tolles – musikalisch darf zum Glück das komplette Gegenteil behauptet werden.

Wie also sieht und wertet die schreiberische Zunft als Albumjahr 2022? Nun, beim deutschen „Rolling Stone“ landen Tom Liwas „Eine andere Zeit“, „And In The Darkness, Hearts Aglow“ von Weyes Blood sowie „Ytilaer“ von Bill Callahan auf dem Treppchen, beim erfahrungsgemäß hype- und pop-affinen „Musikexpress“ sieht man Kendrick Lamars „Mr. Morale & The Big Steppers“, „DIE NERVEN“ von Die Nerven und „Motomami“ von Rosalía vorn, bei der „VISIONS“ wiederum „DIE NERVEN“ von Die Nerven, „Eyes Of Oblivion“ von den Hellacopters sowie „Wet Leg“ von Wet Leg. International führt „Renaissance“, das siebente Studioalbum von Beyoncé, das Kritiker-Ranking an. Und bei ANEWFRIEND? Ich greife mal vorweg und verrate, dass es zwar ein kleinwenig Konsens, jedoch recht wenig Überschneidungen mit alledem bei mir gibt und meine persönliche Bestenliste der Qualität wegen auf eine amtliche Top 25 erweitert wurde…

Foto: Promo / Michael Delaney

Dass die vergangenen Monate die notwendige Untermalung fanden, lag auch an „Quitters„, dem vierten Langspieler von Christian Lee Hutson. Was mich rückblickend etwas erstaunt, ist, dass der im April erschienene Nachfolger zum 2020er „Beginners“ zwar seinerzeit von den einschlägigen kritischen Stimmen wohlwollend goutiert, in den jeweiligen Jahresendabrechnungen jedoch kaum berücksichtigt wurde. An den durch und durch großartigen 13 Songs des Albums kann’s kaum gelegen haben, denn näher an das Schaffen eines Elliott Smith ist lange, lange Zeit niemand herangekommen – und das ist vor allem aus meiner digitalen Feder als recht großes Kompliment zu verstehen. Zudem mischen einmal mehr keine Geringeren als Phoebe Bridgers und Conor Oberst mit. Heraus kommt eine Dreiviertelstunde musikalischer Zerstreuung und Realitätsflucht, die auch bei der Vielzahl an Konkurrenz im Jahr 2022 völlig zurecht auf meiner Eins landet. A singular ode to melancholy.

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2.  Nullmillimeter – Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd

Nullmillimeter sind eine von so einigen tollen musikalischen Neuentdeckungen des zurückliegenden Musikjahres. Und knallen dem geneigten Hörer (oder eben der geneigten Hörerin) mit „Wer die Wahrheit sagt, der braucht ein schnelles Pferd“ mal eben ein derart faszinierendes Debüt vor die Lauscher, dass man sich im Wirbel kaum entscheiden mag, was hier toller ist. Das großartige Coverartwork mit dem auf einem Poller festgerittenen Pony? Der Albumtitel, in welchem wortwörtlich ebensoviel Wahrheit steckt wie in all den klugen Textzeilen? Die Stimme von Sängerin Naëma Faika, die der bundesdeutschen Musiklandschaft – tatsächlich, tatsächlich – gerade noch gefehlt hat? Die bockstarke Band hinter ihr, die manch eine(r) in der Vergangenheit bereits als Teile der Begleitbands von Kid Kopphausen, Staring Girl, Jochen Distelmeyer, Tom Liwa, Olli Schulz oder Gisbert zu Knyphausen zu hören bekam? Dass letztgenannter hier bei einer Coverversion eines Songs aus dem Solo-Schaffen von Pearl Jam-Frontstimme Eddie Vedder mitmischt? Dass sich diese Nummer dann noch ganz organisch in den Albumfluss einfügt und man sich immer wieder kopfüber in die Platte schmeißen möchte, die so voller Schmerz, so voll herrlicher Melancholie, aber vor allem so voller Leben steckt? Ach, herrje – man weiß es nicht. Man will’s auch gar nicht wissen, denn im Zweifel aller Zweifel ist’s all das. Doppelt. Dreifach. Gleichzeitig. Und es ist einfach so toll, dass man lediglich kritisieren mag, dass dem Album kein Booklet beiliegt.

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3.  Pianos Become The Teeth – Drift

Es gibt Bands, Alben und Songs, die einen vom ersten Moment an mit ihrer Atmosphäre und ihrer wunderbaren Unmittelbarkeit einfangen und so schnell auch nicht mehr loslassen. Pianos Become The Teeth wurden für mich anno 2014 mit ihrem dritten Langspieler „Keep You“ zu einer solchen Band (und schafften es damals auch völlig zurecht aufs Treppchen der „Alben des Jahres„). Ihr vorheriges Post-Hardcore-Brülloutfit war (und ist) mir im Gros herzlich schnuppe, aber mit ihrem einschneidenden Wechsel hin zu melancholischem Emo-Indie und mit den ersten Tönen des „Keep You“-Openers „Ripple Water Shine“ war ich unwillkürlich schockverliebt. Nach dem auf hohem Niveau stagnierenden 2018er Album „Wait For Love“ besitzt „Drift“ nun wieder diesen „Ripple Water Shine“-Effekt, denn das Album ist schlichtweg schonungslos emotional – in Ton und Wort. Dicht gewebte, hallende Rhythmen, melancholische Melodien und wenige, gut dosierte laute Momente. Dazu singt Kyle Durfey seine persönlichen Texte, die vom Leben und oft von dessen Schwere handeln. In „Pair“ etwa davon, wie Durfeys Frau Lou (die in vier Stücken namentlich genannt wird) und er lange auf ihren Nachwuchs warten mussten. Wie es sich für richtig gute Alben gehört, wechselt die Lieblingssongs von Zeit zu Zeit, neben der Übernummer „Genevieve“ sticht etwa das repetitive, an Radiohead erinnerte „Easy“ hervor. So oder so liefert die Band aus Baltimore, Maryland einmal mehr zehn wundervolle Tearjerker, zu denen es sich vortrefflich die Fäuste gen Firmament ballen lässt.

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4.  Frank Turner – FTHC

Apropos „liefern“, apropos „Fäuste gen Firmament“: Beides trifft natürlich auch auf Frank Turner zu, denn der britische Punkrock-Barde scheint Schlaf so nötig zu haben wie ein Uhu eine Badekappe. Nicht nur hat der 41-jährige Musiker bereits über 2.700 Shows unter eigenem Namen gespielt (etwa 140 allein in diesem Jahr, zudem fand mit den „Lost Evenings“ gar ein eigenes Festival in Berlin statt), er trägt das Herz auch am richtigen Fleck und liefert im Zwei- bis Drei-Jahres-Turnus auch verlässlich Alben ab, zu deren Songs man nur allzu gern die geballte Patschehand gen Himmel strecken und ein bierseliges „Aye, mate!“ ausstoßen möchte. Daran ändern die 14 Nummern (beziehungsweise 20 in der Deluxe Edition) von „FTHC„, seinem nunmehr neunten Studioalbum, mal so rein gar nix. Und so vielseitig, so frisch klang der nimmermüde Turner schon lange nicht mehr. Frank und frei – Sie wissen schon… Und wem bei „A Wave Across A Bay“, seinem Tribute an den zu früh verstorbenen Frightened Rabbit-Buddy Scott Hutchison, nicht das Herz holterdipolter gen Schlüppi rutscht, der hat statt pochendem Muskel nur einen ollen Betonklotz in der Brust sitzen…

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5.  Dreamtigers – Ellapsis

Nerds wissen es freilich längst: Die meisten Fachsimpeleien über Musik stützen sich manches Mal schon sehr auf eine Art von Genre-Taxonomie, bei welcher sowohl Kritiker als auch Fans Songs und Alben in verschiedene Bestandteile zerlegen und die Anatomie der verwendeten Formen in erkennbare Strukturen unterteilen. Doch was für die einen nützlich erscheinen mag, um dem lesenden Gegenüber Empfehlungen zu geben, dürfte all jene, die sich eben nicht knietief im musikalen Nerdtum bewegen, schnell abschrecken. Ein recht gutes Beispiel, dass man bei Empfehlungen lange wie kurze Wege gehen kann, ist „Ellapsis“, das zweite Album von Dreamtigers, einem Bandprojekt, das sich aus Mitgliedern der Melodic-Hardcore-Helden Defeater und den Post-Rock-Größen Caspian zusammensetzt. Denn auf dem Langspieler, dessen Titel ein erfundener Begriff für eine Krankheit, die durch den Lauf der Zeit hervorgerufen wird, ist, passiert eine ganze Menge, und vieles davon scheint unvereinbar zu sein. Das erste, das Unmittelbarste, was man wahrnimmt, ist die beständig zwischen fragilem und mächtigem Momentum pendelnde Instrumentierung. Die Gitarren werden durch eine ganze Reihe von Effektpedalen gejagt, dazu kommen ein unscharf ins Rund tönender Bass und souveräne Drums. Einen Moment lang könnte man meinen, es handele sich um ein eher konventionelles Post-Rock-Album – bis der Jake Woodruffs Gesang einsetzt, der auch in einer Alt-Country-Band nicht fehl am Platz wäre. Überhaupt lassen sich die Stücke stilistisch nur schwerlich festlegen, denn während des gesamten Albums schimmern verschiedene Nuancen durch, die wie Lichtstrahlen durch einen Kristall fallen: Folk-Songs brechen in Post-Rock-Höhepunkte aus, Indie-Rock-Hooks huschen durch Shoegaze-Atmosphären, wobei Gesang und Songwriting stets unbehelligt von dem akustischen Wirbelsturm aus Effektpedalen und treibenden Schlagzeugmustern um sie herum bleiben. Fast könnte man meinen, dass die Songs so sehr auf akustische Soloauftritte zugeschnitten zu sein scheinen, dass die üppigen, hymnisch empor steigenden Arrangements, welche mit ihrer Dringlichkeit und latent aggressiven Energie ein ums andere Mal an Defekter erinnern, fast trotzig klingen. Dennoch kommt man der Sogwirkung dieses Albums als Ganzes (ganz ähnlich wie bereits beim kaum weniger tollen 2014er Vorgänger „Wishing Well„) nicht wirklich nahe. Denn wie auch immer man das Zusammenspiel zwischen Instrumentalem und Gesang beschreiben mag, was bei dieser Platte wirklich heraussticht, sind all die Meditationen über das Verfliegen der Zeit und wie die Band aus Massachusetts hier selbst die flüchtigsten Momente ewig erscheinen lässt. Selbst die längeren Songs von „Ellapsis“ fühlen so kurz an wie die kürzeren, während die kurzen den längsten ebenbürtig erscheinen, und das Album als Ganzes hallt weit über seine lediglich dreißig Minuten Laufzeit hinaus. Angefangen beim Opener „Six Rivers“ umspülen einen die Stücke wie ans Ufer schlagende Wellen, die mit den Gezeiten verebben und fließen. Wenn der Albumabschluss „Stolen Moments“ schließlich sein Ende findet, fühlt es sich beinahe so an, als ob der Schlusschor schon ewig hinter dem Universum her gesummt wäre.

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6.  Pale – The Night, The Dawn And What Remains

Pale melden sich ein allerletztes Mal zurück – einerseits ja wunderbar, wären die Gründe für das unerwartete Comeback keine so traurigen. Umso schöner, dass die Aachener Indie-Rock-Band mit „The Night, The Dawn And What Remains“ umso trotziger sowohl ihre Freundschaft und den gemeinsamen Weg als auch das Leben feiert. Macht’s gut, Jungs – und danke für diese wundervolle Ehrenrunde! #träneimknopfloch

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7.  Muff Potter – Bei aller Liebe

Und wo wir gerade bei Comebacks wären, sind Muff Potter in diesem Jahr freilich nicht allzu weit, denn: Alle kommen sie wieder, irgendwann und irgendwie. Das traf 2022 selbst auf ABBA zu, die 2021 mit „Voyage“ zunächst die ersten neuen Songs seit fast vierzig Jahren präsentierten, um im Jahr darauf ausverkaufte Hologramm-Konzerte in London zu „spielen“- getreu dem schwedischen Erfolgsmotto „Entdecke die Möglichkeiten“. Und auch in der Rockmusik konnte man zuletzt vermehrt das Gefühl bekommen, selbige bestehe nur noch aus Reunions einst erfolgreicher Bands, die in Ermangelung neuer Ideen versuchen, mit den alten noch einmal abzukassieren. Dann wiederum gibt es Truppen wie eben Muff Potter, denen es mit ihrem Albumcomeback nach schlappen 13 Jahren Pause gelingt, selbst eingefleischte Per-se-Skeptiker umzudrehen, weil man „Bei aller Liebe“ bei allem frischen Ideenreichtum die Zeit anhört, die seit dem Abschied mit „Gute Aussicht“ vergangen ist. Die Platte zeugt davon, dass das Leben eben auch ohne gemeinsame Band weitergeht, und es töricht wäre, all die Erfahrungen beiseite zu lassen, die man in der Zwischenzeit zwangsläufig macht. Und deshalb steht hier Blumfeld-artiges wie „Ein gestohlener Tag“ neben Instant-Hits wie „Flitter & Tand“ oder einem 72 Sekunden kurzen Punkausbruch wie „Privat“. Verschränken sich in Thorsten „Nagel“ Nagelschmidts Texten seine schriftstellerische Arbeit (sic!) mit dem Punk-Fan, den es auch mal einfach braucht. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man Muff Potter – bei aller Liebe – keineswegs zugetraut hätte, noch einmal so viel zu sagen zu haben und sich musikalisch so offen zu zeigen – mit Kurzweil wie mit Tiefgang. Andererseits ist’s natürlich umso schöner, wenn die eigenen Erwartungen übertroffen werden und man eine lange Zeit auf kreativem Eis liegende Herzensband neu für sich entdeckt.

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8.  Cat Power – Covers

Dass Chan „Cat Power“ Marshall für ihre Coverversionen bekannt ist, dürfte sich mittlerweile auch bis zu den allerletzten Hütern des guten Musikgeschmacks herumgesprochen haben, immerhin hat die 50-jährige US-Musikerin im Laufe ihrer annähernd dreißigjährigen Kariere bislang zwei verdammt formidable Coversong-Alben veröffentlicht, auf denen sie von unbekannteren Bob Dylan-Nummern über Blues’n’Soul-Stücken bis hin zu abgeschmackten Evergreens wie „(I Can’t Getroffen No) Satisfaction“ jedem Song derart ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stempel aufdrücken konnte, dass es eine wahre Schau war. Nach „The Covers Record“ (2000) und „Jukebox“ (2008) macht Cat Power nun mit „Covers“ das Trio voll und liefert erneut formvollendet-exquisites Coverhandwerk – ganz egal, ob die Originale von von Nick Cave and the Bad Seeds („I Had A Dream, Joe“), Lana Del Rey („White Mustang“), den Replacements („Here Comes A Regular“) oder Billie Holiday („I’ll Be Seeing You“) stammen. Ja, die Frau kann mit ihrer so wunderbar rauen, so unendlich tiefen Stimme kaum etwas falsch und sich so ziemlich jede Fremdkomposition zueigen machen.

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9.  Tristan Brusch – Am Rest

Wie bereits in der dazugehörigen Rezension erwähnt, bin ich bei Tristan Bruschs dritten Album „Am Rest“ etwas late to the party, immerhin erschien die Platte bereits im Oktober 2021. Dennoch verpassen alle jene, die diese Musik gewordene Trübsalsfeierlichkeit ganz außen vor lassen, so einiges bei diesen Oden an das Ende der Dinge und an die Akzeptanz des Verlusts. Ja, im Grunde könnte es kaum bessere Stücke geben, um jenen so intensiv graumeliert schimmernden Tagen einen passenden Soundtrack zu liefern. Sucht wer die passenden Gegenstücke zu Max Raabes „Wer hat hier schlechte Laune“ (welches, wenn ihr mich fragt, übrigens als weltbeste Warteschleifenmusik für alle Kundendiesnthotlines taugen würde)? Nun, hier habt ihr sie – dargeboten von einem begnadeten Liedermacher, der alle nach billigem Tetrapack-Weißwein und zu vielen Marlboro-Kippen müffelnden, mieslaunigen Chansoniers ins piefige Bundesdeutsche überträgt.

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10. Betterov – Olympia

Freilich war die Vielzahl an Erwartungen, die an den Debüt-Langspieler von Manuel „Betterov“ Bittorf geknüpft waren, ebenso groß wie die Vorfreude auf neue Songs des gebürtigen Thüringers und Wahl-Berliners. Umso schöner, dass „Olympia“ diese Hürde beinahe mühelos nimmt und elf Songs präsentiert, denen man den Produzenten ebenso anhört wie die Platten, die beim Schreiben wohlmöglich im Hintergrund liefen. So mausert sich Betterov vom Newcomer-Geheimtipp zum amtlichen Senkrechtstarter, der völlig zurecht einen Platz in meinen persönlichen-Jahres-Top-Ten einfährt. Olympia-Norm? Vollends erfüllt.

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…auf den weiteren Plätzen:

Husten – Aus allen Nähten mehr…

Casper – Alles war schön und nichts tat weh

Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows mehr…

William Fitzsimmons – Covers, Vol. 1

Caracara – New Preoccupations mehr…

Eddie Vedder – Earthling mehr…

Black Country, New Road – Ants From Up There

Gang Of Youths – Angel In Realtime.

Spanish Love Songs – Brave Faces Etc. mehr…

Faber – Orpheum (Live)

Die Nerven – DIE NERVEN

Ghost – Impera

Proper. – The Great American Novel mehr…

Rocky Votolato – Wild Roots mehr…

The Afghan Whigs – How Do You Burn?

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Pale – The Night, The Dawn And What Remains (2022)

-erschienen bei Grand Hotel van Cleef/The Orchard/Indigo-

Eine halbwegs passende Klammer für ein paar Zeilen über Musik zu finden, stellt für so ziemlich jeden mittelbegabten Schreiber oft genug eine verdammte Krux dar. Bei einem Album wie diesem jedoch fällt der Aufhänger leicht – und zugleich wiegt er schwer, bleischwer. Denn „The Night, The Dawn And What Remains“ markiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den endgültigen Abschied von Pale. Klar, neue Songs, dazu unverhoffte, weil ausgegrabene und neu arrangierte Stücke aus der absoluten Frühphase der Aachener Herzensindierockband dürften unter „normalen“ Umständen eigentlich ausreichend Gründe zum inneren Sackhüpfen bedeuten. Doch wie sang bereits John Lennon in „Beautiful Boy (Darling Boy)“ einst so trefflich: “ Life is what happens to you / While you’re busy making other plans.“ Wie es meistens so ist, wenn das Leben und seine unvorhersehbaren Wellen nach oben, unten und kopfüber mit einem eine wilde Achterbahnfahrt unternehmen: Es liegt in einem dunklen Schicksalsschlag begründet, dass Pale sich noch einmal musikalisch wiederfanden. Sogar einem doppelten.

Denn längst war Schluss, eigentlich schon im Jahr 2009. Im Spätsommer 2012, nach sechs Alben und immerhin zwanzig gemeinsamen Jahren, schmiss die Band eine letzte große, Konzert gewordene Abschiedsparty auf der heimischen Burg Wilhelmstein – mit einer Coverversion des Oasis-Gassenhauers „Don’t Look Back In Anger“ als finaler Zugabe (bei der auch die Kilians und ein gewisser Thees Uhlmann mit auf der Bühne standen). Schöner und emotionaler (ein Konzertbesucher gibt wenig später zu Protokoll, dass er „alte Männer weinen gesehen“ habe) – und irgendwie auch passender – konnte es definitiv nicht mehr werden, daher gingen alle Bandmitglieder fortan ihrer Wege. Bis das olle Leben sich einige Jahre später von seiner besonders arschlochigen Seite zeigt: Im November 2019 erhalten sowohl Gitarrist Christian Dang-anh als auch Schlagzeuger Stephan Kochs von ihren Ärzten Diagnosen, die keinen Spielraum bieten. Es ist sehr ernst. Über den Schock der Vergänglichkeit findet das Quartett tolle Erinnerungen und damit die gemeinsame Liebe zur Musik wieder. Bassist Philipp Breuer, eigentlich 1996 bereits ausgestiegen, schleppt das allererste Demo aus den frühen Neunzigern an und schlägt vor: „Da könnte man doch nochmal ran!“ – es soll der erste Funke sein, das Leben als Band ein letztes gottverdammtes Mal zu feiern. Schlagzeuger Stephan Kochs muss jedoch umgehend passen, sein Kampf ums Überleben lässt die Pläne nicht zu. Und Christian Dang-anh ist an den letzten Songs zwar noch beteiligt (und auch auf dem neuen Album zu hören), erliegt jedoch im Mai 2021 dem Krebs.

Uff. Einmal tief schlucken und die Gänsehaut Gänsehaut sein lassen. Denn es gibt auch etwas Schönes: die Musik. Denn trotz und wegen alledem erscheint nun „The Night, The Dawn And What Remains“ (passenderweise, ebenso wie das bislang letzte, 2006 veröffentlichte „Brother. Sister. Bores!„, beim von Thees Uhlmann mitbegründeten Grand Hotel Van Cleef) – und bringt einen gleichermaßen zum Tanzen, Hüpfen und Schwelgen, denn The Pale Four, wie sich die Aachener selbst bezeichnen, klingen frisch wie vor zwei Dekaden zu Zeiten eines „How To Survive Chance„. Während dem sich langsam auftürmenden, störrisch-euphorischen Opener „Wherever You Will Go“ noch die Worte fehlen, packt bereits „Tonight (We Can Be Everything)“ mit seiner Mixtur aus Indie Rock und leichtem Emo-Scheitel beide Arme an die Hüften und positioniert einen dieser melodieverliebten Pale-Refrains im Nacken, den man glücklicherweise nur schwer wieder los wird. Das knackige und zugleich opulent arrangierte „New York“ holt mit Thorsten Skringers Saxofon (das später noch einmal in „Still You Feel“ zu hören ist) und Glöckchen zur großen Pop-Geste aus, die ebenso auf den Tomte’schen Song selben Titels schielt wie zu Bruce Springsteen und seiner E Street Band. Einen Widerspruch stellt das keineswegs dar, denn auch im hymnischen Schönklang waren Pale immer schon zu Hause. Dementsprechend kommt auch „All The Good Good Things“ als einer dieser feinen, ebenso treibenden wie forsch-fluffigen Aufbruchsstimmungssongs ums Eck, wie die Aachener Band sie kurz nach der Jahrtausendwende nahezu reihenweise aus den Ärmeln schüttelte.

Die Perlen des mit knapp 33 Minuten zwar recht knackig-kurzen, jedoch keinesfalls an Highlights armen Albums sind freilich schnell ausgemacht: Zum einen „Bigger Than Life“, der berührende Abschied von Christian Dang-anh, welcher hier die A-Seite beschließt. Typischerweise greifen Pale nicht zur traurigen Ballade, sondern zu einem vor hibbelig flirrenden Gitarren, Klavier und Bläsern pulsierenden, berührenden Popsong, der das Leben mitsamt all seiner Facetten feiert, die Wehmut herunterschluckt und mit trotzigem Optimismus von der Reise ins Unbekannte erzählt: „You go where nobody knows“, singt Holger Kochs. Und man selbst merkt, wie die Gänsehaut eine wohlige Träne ins Knopfloch treibt. Zum anderen das daran anschließende „Man Of 20 Lives“, ein Stück von Holger für Stephan, quasi vom jüngeren für den älteren der Kochs-Brüder. Überhaupt: Holger Kochs‘ Stimme klingt nicht nur hier noch immer fantastisch und ganz und gar nicht, als würde sich hier jemand unverhofft aus der Indierocker-Rente zurückmelden. Kaum weniger toll geraten auch „500 Songs“, bei dem Pale stimmliche Unterstützung von Saskia Pasing bekommen und dessen Gesangmelodie stellenweise frappierend an Thees Uhlmanns „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ erinnert, oder die fast schon obligatorische Klavierballade „Wake Up!“.

Diese Platte wirkt (und wirkt nach!), auch weil die zehn Indie-Perlen vor Gefasstheit, Gelassenheit und auch vor Freude nur so sprühen – „Don’t Look Back In Anger“ eben. Da passt es perfekt, dass der positive Rausschmeißer „Someday You Will Know“ (übrigens mit Steve Norman von Spandau Ballet am Saxofon) die Geschichte der Band in wenigen Strophen herunterbricht und final nochmals zu nassen Wangen animiert: „It’s the last song of a band / That already played its final show / But we were in this together“. Und nun fühlt der Schreiber sich dazu bewegt, diese im Grunde ja recht abgestandenen Worte zu entstauben, die er sonst im kreativen Regal lassen würde, eben weil sie hier trefflich passen: Musik verbindet. Auf ewig. Und Pale, die mit dieser Ehrenrunde titels „The Night, The Dawn And What Remains“ hier einen paar letzte Oden auf das Leben, auf die Freundschaft abliefern und damit ihr musikalisches Vermächtnis noch einmal unverhofft abrunden, werden nach einer allerletzten Show im kommenden Jahr verdammt nochmal fehlen… Ein freudiger Jammer, das Ganze.

„Pale waren nie eine Band, die übermäßig vielen etwas bedeutet hat. Aber denen, die Pale etwas bedeutet haben, haben sie richtig viel bedeutet. Und jetzt noch etwas mehr.“ (aus dem Pressetext)

Rock and Roll.

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Song(s) des Tages: PALE – „Bigger Than Life“ / „Man Of 20 Lives“


Das kam unerwartet: PALE, 2009 aufgelöst und zuletzt 2012 noch einmal für eine Abschiedsrevue auf der Bühne, werden Ende 2022 unverhofft ein letztes Album veröffentlichen. „The Night, The Dawn And What Remains“ ist dabei nicht nur der überraschende Nachfolger zum 2006 erschienenen „Brother.Sister.Bores!„, sondern wurde buchstäblich vom Leben geschrieben. Und wie wir wissen, sind die Geschichten, die das Leben schreibt, meist die schönsten. Aber eben oft genug auch die traurigsten…

Der 25. November 2019 ist der Tag, an dem sich alles ändert. Bei Gitarrist und Sänger Christian Dang-Anh wird ein Hirntumor entdeckt. Am selben Tag erhält Stephan Kochs, Schlagzeuger der Band und Bruder von Sänger Holger, ebenfalls eine Diagnose, die ihn dazu zwingt, sein komplettes Leben umzukrempeln, wenn er leben möchte.

Trotz aller Fassungslosigkeit und Sorge in dieser Zeit führen die zwei so eng beieinander liegenden Schicksalseinschläge dazu, dass die verschiedenen Bandmitglieder, die zwischen 1993 und 2009 bei PALE spielten, wieder den Kontakt zueinander suchen. Schnell entsteht die Idee, noch einmal gemeinsam Musik zu machen. Nicht, damit sie jemand jemals hört, sondern um gemeinsam nochmal die Zeit aufleben zu lassen, in der man gemeinsam so lebendig und endlos war. Nur Stephan Kochs muss aus gesundheitlichen Gründen bereits früh entscheiden, seinen Platz am Schlagzeug nicht mehr einzunehmen.

Trotz der intensiven Krebstherapien schreibt, spielt und singt Christian Dang-Anh auf neuen Songs, die gemeinsam mit nie da gewesener Leichtigkeit entstehen. Vielleicht würde man ja sogar noch mal einen Song gemeinsam veröffentlichen können, vielleicht noch einmal zusammen auf Tour gehen? Doch die Endlichkeit wird schmerzhaft bewusst, als Dang-Anh im Mai 2021 mit nur 45 Jahren den Kampf gegen die Krankheit verliert.

Die verbliebenen PALE-Mitglieder Holger Kochs, Jonas Gervink, Philipp Breuer und Jürgen Hilgers entscheiden sich dazu, die noch gemeinsam begonnenen Aufnahmen abzuschließen. Insgesamt stecken über zwei Jahre Arbeit und Liebe in den Songs, welche bereits in dem Bewusstsein entstanden, dass es die letzten sind, die sie jemals zusammen schreiben werden. Am 25. November 2022 – wie der (freilich nicht existierende) Zufall es will auf den Tag genau drei Jahre nach den beiden Diagnosen – wird das fünfte offizielle – und definitiv letzte – Album der Aachener Band erscheinen: „The Night, The Dawn And What Remains“, welches ab sofort über Grand Hotel van Cleef auf Vinyl, CD sowie als Bundle vorbestellt werden kann, ist eine Feier des Lebens und dessen, was war.

„Bigger Than Life“ und „Man Of 20 Lives“, die ersten beiden Vorgeschmäcker daraus, sind Christian Dang-Anh und Stephan Kochs gewidmet. Das soul-poppige „Bigger Than Life“ ist als berührender Abschied an Dang-Anh zu verstehen und gleichzeitig ein „Versprechen, seine Erinnerung für immer zu wahren“. Keine traurige Ballade, sondern ein vor Gitarren, Klavieren und Bläsern pulsierender kleiner Hit. Mit klassischem Indie Rock in „Man Of 20 Lives“ wendet sich Texter und Sänger Holger Kochs an seinen älteren Bruder: Es ist ein „Danke an den, der immer voran geht, mit dem man aneinandergerät und trotzdem immer liebt. Für den, der überlebt hat.“ Es sind zwei Musik gewordene Denkmäler, für Freundschaft und Liebe. Und obwohl die verbliebenen Bandmitglieder in Aussicht stellen, dass man für „Anfang 2023“ sogar noch ein (allerallerletztes?) Konzert plane, stellt der Pressetext als formvollendetes Schlussstatement noch einmal klar: „Das ist keine Reunion, das ist die verdiente Ehrenrunde.“

Hier gibt’s das Video zu den ersten beiden Songs des PALE’schen Abschiedsalbums. Es empfiehlt sich, selbige mit Kopfhörern, Vollbild und sieben Minuten Zeit zu genießen.

Rock and Roll.

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