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Das Album der Woche


Mumford & Sons – Babel (2012)

-erschienen bei Island/Cooperative Music/Universal-

Nein, „klein“ ist diese Band wahrlich nicht mehr. Wie könnte sie auch? Bereits das Debütalbum führte das Vierergespann Anfang Zwanzig heraus aus den Pubs und kleinen Klubs, in denen sie Anfangs noch für ein paar Pints, Verpflegung, eine Schlafmöglichkeit und Spritgeld spielten, und hinaus zu den großen Hallen, den Stadien, den Headliner-Slots namenhafter Festivals, zu gemeinsamen Auftritten mit ihren Idolen wie Bob Dylan oder Bruce Springsteen, vor nicht all zu langer Zeit sogar ins Weiße Haus, um dem US-amerikanischen Präsidenten und seiner Gattin auf deren Wunsch ein privates Ständchen zu spielen. Bereits das Debütalbum verkaufte sich in Zeiten, in denen die Plattenindustrie stetig über sinkende Absätze und „Untergebene“ ohne ausreichend Identifikationspotential lamentiert (beides hausgemachte Probleme, fürwahr), weltweit über acht Millionen Mal und konnte Gelegenheits-und-wenn-dann-Radio-Hörer, Indierocker, Reformhausjünger, Bildungsbürger und Althippies auf sich vereinigen. Sie tragen Bärte und Klamotten, mit denen sie aussehen wie der wirre feuchte Traum eines jeden Mark Twain- oder Charles Dickens-Fetischisten, und trotzdem lässt sich die Crème de la Crème Hollywoods mit stolzgeschwellter Brust auf die Gästelisten ihrer Konzerte setzen (kürzlich durfte der Frontmann sogar die aus Filmen wie „Drive“ bekannte Schauspielerin Cary Mulligan ehelichen). Obwohl, oder gerade weil, Marcus Mumford, Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane so Rock and Roll sind wie das sonntägliche Kaffeekränzchen bei Oma, sind sie die Band der Stunde. Und „Traditionalismus“ heißt der Grund, aus welchem sich Presse wie Hörerschaft ebenso sehr auf „Babel“, den Nachfolger zu „Sigh No More“, stürzen (werden).


Doch wie kam das alles? Nun, ein Selbstläufer war all der sagenhafte Erfolg selbst für Mumford & Sons nicht. Die 2007 im Westen Londons gegründete Band profitierte freilich von der damals in ihrem Umfeld florierenden Folkszene, der unter anderem auch Johnny Flynn, Noah & The Whale oder Laura Marling angehörten. Mit letztgenannter Dame teilte Sänger Marcus Mumford zu dieser Zeit das Bett, zusammen mit seiner musikalischen Freunden Winston Marshall, Ben Lovett und Ted Dwane bildete er die Backing Band von Marling und sammelte so erste Erfahrungen auf größeren Bühnen (tagsüber bespielte er sonst etwa die Bürgersteige der Londoner Kings Road). Bald schon nahm das nun schlicht Mumford & Sons betitelte Quartett eine erste EP, welche auf Konzerten vertrieben wurde, auf. Ihre sehnsuchtsvollen Songs, gepaart mit wahrhaft energiegeladenen Live-Darbietungen und Melodien, in denen sich so ziemlich jeder Zuhörer wiederfinden konnte, riefen alsbald Radiostationen und Labels auf den Plan. Die Band ergatterte 2008 einen Auftritt beim renommierten Glastonbury Festival, unterschrieb bei Island Records (welches Künstler von John Cale über Keane und Bon Jovi, bis hin zu Justin Bieber beheimatet) und veröffentlichte im Oktober 2009 ihr Debütalbum „Sigh No More„. Wahren Ochsentouren über den kompletten Globus ist es zu verdanken, dass sich erstmals seit Coldplay eine britische Band ernsthaft auch auf dem – nicht eben unwichtigen – US-amerikanischen Musikmarkt durch- und festsetzen kann (das Album erreicht sowohl in den USA als auch in England Platz 2 der Charts, in Deutschland lediglich Platz 29).
Wobei: sieht – und vor allem hört! – man genauer hin, so ist dieser Fakt wenig verwunderlich. Trotz ihrer britischen Herkunft (Sänger Marcus Mumford wurde zwar in Kalifornien geboren, wuchs jedoch in England auf) sind sie kosmopolitische Vertreter einer kompletten Generation junger Folkmusiker, denen neben der bereits genannten Laura Marling auch Vertreter wie die Fleet Foxes oder Grizzly Bear (um nur einmal zwei zu nennen) zuzurechnen sind, und welche sich, ihrer Jugend zum Trotz, freimütig „alter“ Ideale, Traditionen und Vorbilder bedienen, ohne gleich Gefahr laufen zu müssen, als frühzeitig vergreiste Traditionalisten gebrandmarkt zu werden. Mumford & Sons sind – ganz im Gegensatz etwa zu ihren (noch) im Bruderzwist dahingeschiedenen Landmännern von Oasis – bescheiden, gebildet (der Albumtitel etwa ist einem Stück von Shakespeare entliehen), bodenständig und höflich. Die Band verknüpft geschickt Live-Qualitäten wie die der Pogues mit einem Instrumentarium, welches amerikanischer kaum sein könnte: Akustikgitarren, Upright Bass, Akkordeon, Banjo, Fusstrommel. Dazu Harmoniegesänge á la Simon & Garfunkel. Fertig ist die Mixtur, der weder Hörer dies- noch jenseits des Atlantiks widerstehen können und die von weiten Reisen genauso zu erzählen vermag wie vom Heimkommen. Lagerfeuerromantik, Kerzenmeere, Aufbruchsstimmung. All das machte Songs wie „Little Lion Man“, „The Cave“ oder „White Blank Page“ vom Debütalbum über Jahre hinweg zu treuen Begleitern durch Sommer und Winter, und irgendwann zu guten Freunden.
(Wer mehr dazu erfahren mag und verstehen möchte, warum Mumford & Sons und die USA so treffend zusammenpassen und sich die Band so gut und nahtlos in die dortige hippie’eske Musikszene einfügt, dem sei an dieser Stelle die kürzlich auf den Markt gebrachte etwa einstündige Dokumentation „Big Easy Express“ von Regisseur Emmett Malloy ans Herz gelegt, welche die Band 2011 zusammen mit Old Crow Medicine Show und Edward Sharpe and the Magnetic Zeroes in einem Zug auf der Konzertreise von Kalifornien nach New Orleans begleitet.)


Nun, drei Jahre nach der Erstling, bringen Mumford & Sons „Babel“ auf den Markt. Und wo sich viele Bands bereits mit ihrem Zweitwerk in allzu künstlerischen Spagatübungen versteigen oder erste Auflösungserscheinungen an den Tag legen, machen Marcus Mumford & Co. einfach da weiter, wo sie aufgehört haben. Und bedenkt man einmal, dass nicht wenige der zwölf Songs in den letzten Jahren auf Tournee entstanden sind und somit bereits gut 30 Monate und tausende Kilometer auf dem Buckel haben, ist dies kaum verwunderlich. Das Quartett ist in den gemeinsamen fünf Jahren zusammengewachsen und gut eingespielt. Und genauso klingen die Lieder nun auch.
Bereits „I Will Wait“, die erste Single, beinhaltet alle bandtypischen Trademarks: Akustikgitarrenunterbau, temporeiche Begleitung im Bandkonstrukt, Harmoniegesang, ein Finale Grande und Mumfords sehnsuchtsvolle Textzeilen („Raise my hands, paint my spirit gold / Bow my head, keep my heart slow / ‚Cos I will wait, I will wait for you“). Überhaupt: die Texte. Zwar verweigert sich Mumford standhaft näheren Erläuterungen, jedoch lässt „Babel“ – schon der Titel ist da vielsagend – noch mehr Religiösität einfließen als noch sein Vorgänger. Der Sänger, dessen Eltern Anhänger des evangelikalen Vineyard Movements sind, bedient sich immer wieder dem ewig währenden Kampf zwischen Gott und dem Teufel, von Licht und Schatten, von Liebe und (Selbst)Aufgabe, von Stärke und Schwäche. Viele Lieder scheinen ruhiger, geerdeter, wagen jedoch gegen Ende große Ausbrüche – exemplarisch hierfür sind etwa „Broken Crown“ und „Below My Feet“ am Ende des Albums zu nennen, zwei Songs, welchen durch Bläsersätze und Backgroundchöre zu wahrhaft cineastischer Größe verholfen wird. Bei „Ghosts That We Knew“ sieht man schon jetzt sich tausende Feuerzeuge und Handykameras gen Konzerthimmel richten, „Lover Of The Light“ klingt bereits beim ersten Hören weitestgehend so vertraut, dass man glaubt, die Band habe einen ihrer „alten“ Gassenhauer heimlich mit auf’s zweite Album gepackt und bietet einige tolle, wenn auch kurze, instrumentale und stimmlich-euphorische Ausbrüche. „Reminder“ ist ein simples, kurzes Liebeslied, das vom Piano getragene „Hopeless Wanderer“ holt sich seine Dynamik von einer E-Gitarre am Ende. Die letzten Zeilen des regulären Albumabschlusses „Not With Haste“ (die Deluxe Version bietet drei zusätzliche Songs, wie etwa da gemeinsam mit Jerry Douglas dargebotene Simon & Garfunkel-Cover „The Boxer“) darf man getrost als eines von Mumfords Kredos betrachten: „And I will love with urgency, but not with haste“.
Wie bereits erwähnt sind auf dem Zweitwerk Neuerungen im Klangkosmos der Band im Detail suchen: etwa die nicht eben selten – jedoch stets überlegt – eingesetzten Bläsersätze, welche nicht eben dramaturgiearme Abschnitte noch zusätzlich erhöhen. Und auch das Banjo von Winston Marshall hat eine größere Rolle zugewiesen bekommen (bei welcher die Jungs aufpassen müssen, es nicht zu überreizen). Hier ein paar Höhen, da ein paar Tiefen mehr, dazu mehr aus einem Guss und stets für die bald wieder durch die „Gentlemen of the Road“ zu bespielenden Konzertbühnen rund um den Globus ausgelegt – das ist „Babel“, ein weltoffener Trostspender in verwirrenden Zeiten. All jene, die sich bereits in „Sigh No More“ kuschelig einrichten konnten, werden auch mit dessen Nachfolger schnell warm werden. Der Winter steht ja bereits vor der Tür.

 

Hier das Video zur aktuellen Single „I Will Wait“…

 

…sowie zu „Little Lion Man“…

 

…dem in Indien aufgenommenen „The Cave“…

 

…und „Winter Winds“ vom Debütalbum „Sigh No More“…

 

…plus der Trailer zur empfohlenen Dokumentation „Big Easy Express“:

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
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