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Song des Tages: Penny & Sparrow – „Adeline“ (live)


Foto: Promo / Jake Dapper

Kyle Jahnke und Andy Baxter, manch lesendem Auge und hörendem Ohr besser bekannt im US-Indie-Folk-Duo-Verbund Penny & Sparrow, bilden, wie bei Zweiergespannen nicht ganz unüblich, ein regelrechtes musikalisches Yin und Yang, das die Songs der beiden Singer/Songwriter oft genug ebenso verspielt wie authentisch, verträumt und unbeschwert tönen lässt. Das spiegelt sich auch in ihrer Karriere wider, seit sich ihre Wege vor vielen Jahren als Zimmergenossen während ihres Studiums auf der University of Texas in Austin kreuzten – seitdem können Jahnke und Baxter einfach nur noch zusammen.

Und die glückliche Roommates-Fügung hat durchaus Bestand, denn seit ihrem 2013 erschienenen Debütalbum “Tenboom” ging es nicht nur freundschaftlich, sondern auch beruflich in eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft. Unzählige Konzerte, auf denen sie auch gern mal Songs von Simon Garfunkel oder Dolly Parton cover(te)n, sowie fünf Alben und einige EPs später sind sie immer noch Best Buddys und gehen alles Musikalische gemeinsam an.

Nach ihrem sowohl von der Kritik als auch der Hörerschaft wohlwollend aufgenommenen 2019er Studioalbum “Finch” zogen sich Baxter und Jahnke in die Isolation der Quarantäne zurück, um das erste Mal ohne fremde Hilfe selbst einen Langspieler zu schreiben und produzieren – das Ergebnis: ein beinahe kammermusikalisches, intimes Folkwerk namens “Olly Olly”, bereits im Januar erschienen und obendrein gespickt mit musikalischen Akzenten aus den weiten Welten von R&B, Bedroom Pop und Hip Hop.

Den Anfang macht “Adeline”, das mit – im besten Sinne – seichten Gitarren- und Gesangsarrangements daherkommt und das Thema Liebe behandelt – und zwar diese eine Liebe, die so rein ist, dass weder die Vergangenheit, die Zukunft, noch das Jenseits von ihr ablenken können. Wie ein Großteil von “Olly Olly” ist auch “Adeline” ein verträumter, impressionistischer Song, der in der Kraft emotionaler Extreme verwurzelt ist. “Alabama Hint” stellt sich einen Ex-Lover als Geist vor, der partout abgewehrt werden muss. “Need You” behandelt eine ungesunde Beziehung, die schon an eine Art Sucht grenzt und die Erinnerungen in “Lucana” wollen einfach nicht verblassen – Penny & Sparrow verpacken in den zwölf neuen Songs fast den kompletten Zyklus einer Liebe und zeigen zudem auf, dass in selbst jedem negativen Moment auch ein positiver Funke steckt.

Die vielleicht kompliziertesten Beziehungen, mit denen sich das Album befasst, sind jedoch diejenigen, die Kyle Jahnke und Andy Baxter zu sich selbst und ihrer Vergangenheit haben. Das berauschende “GoGoGoGo”, welches ganz auf Akustikgitarren zugunsten der Alt-Pop-Instrumentalisierung verzichtet, schwelgt genau in dieser Ekstase aus “Wir kennen uns in- und auswendig” und “Wir haben alles bisher immer gemeinsam gemacht“. Doch während selbiges “GoGoGoGo” noch die Gemeinsamkeiten behandelt, dreht sich “Voodoo” um genau die eine Sache, bei der man seinen besten Kumpel nicht unbedingt dabei haben möchte: “What if roommates hear us? / Blessed be the fearless / Let ’em bear witness”. “Chayenne” weicht von den ursprünglichen Wurzeln Jahnkes und Baxters wieder deutlich ab und lehnt sich stärker denn je in verträumte Sphären aus Bedroom Pop und R&B an, während schwellende elektronische Klänge und ausgewaschene Melodien den Zuhörer in eine Art Traumgewand hüllen und die R&B-Harmonien den Song zudem wie einen sonnendurchfluteten Raum aus fröhlichen Melodien und ausgeklügelten Textzeilen wirken lassen.

„Olly Olly“ mag zwar nicht unbedingt zu hochtrabenden philosophischen Debatten anstacheln, bietet dafür jedoch feinen “Folk für den perfekten Sonntagmorgen” (Rolling Stone) von den „texanischen Kings of Convenience“. Penny & Sparrow erkunden auf ihrem neusten Werk für sich selbst ein aufregendes neues Terrain und erschließen sich Stück für Stück die vielen Möglichkeiten, die einem die Musik bieten kann.

„Andy und ich sprechen über den Entstehungsprozess dieser Platte wie über eine Art musikalisches ‚Rumspringa‘. Es war eine Gelegenheit, wirklich wir selbst zu werden, uns außerhalb der Rollen zu entwickeln, in die man uns gesteckt hatte – oder in die wir uns selbst gesteckt hatten, weil wir so aufgewachsen waren.“ (Kyle Jahnke)

Rock and Roll.

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Song des Tages: Bryde – „Algorithms (cyber)“


Foto: Promo / Cae Candal Sato

Bryde – das ist vor allem Sarah Howells. Eine Frau und ihre elektrische Gitarre, auf der sie mal wilde, mal zarte Songs spielt. Ihre Musik wechselt dabei von unnachgiebig zu verletzlich innerhalb von Strophe und Refrain, mit Botschaften, die schon melancholisch, aber auch lebensbejahend und trotzig zugleich sind. Fasziniert von der menschlichen Psyche und zwischenmenschlichen Dynamiken, schafft Bryde ehrliche und furchtlos authentische Lieder, die aus guten Gründen als „verworren und entblößend“ gleichzeitig beschrieben wurden.

Und obwohl der Name bislang vor allem auf der Agenda von findigen Indie-Poppe-di-Rock-Eingeweihten aufgetaucht sein dürfte, ist die aus dem walisischen Pembrokeshire stammende und in London beheimatete Musikerin keineswegs eine „Newcomerin“ im klassischen Sinne, denn Howells macht bereits seit gut und gern zwei Jahrzehnten Musik – und das nicht als Beruf, sondern vielmehr als Berufung (was sich nach Phrasenmäherei lesen mag, aber wohl tatsächlich so ist). So schwänzte sie etwa die Uni, um mit ihrer High-School-Rockband auf einem in einen rostigen Transit gequetschten alten Sofa durch das Vereinigte Königreich zu touren. Aufgewachsen im Grunge der Neunziger und Emo der Nullerjahre und kurz vor der Unterschrift eines Plattenvertrags, geriet die Welt der vier eng befreundeten Musiker*innen jedoch arg ins Wanken, als bei Bassistin und Gründungsmitglied Nia Leukämie diagnostiziert wurde. Und es kam noch schlimmer: Nach einem 18-monatigen Kampf gegen die Krankheit starb sie auf tragische Weise und die Band löste sich auf.

Also schlug auch Howells neue Wege ein. Der Verlust ihrer Freundin und ein Umzug von Milford Haven nach Cardiff führten dazu, dass sich ihr Musikgeschmack vom Powerpop ihrer Jugend hin zum introspektiven Emo Folk als Teil des Duos Paper Aeroplanes entwickelte und sie – zumindest vorübergehend – ihre E-Gitarre gegen die akustische Variante tauschte. An der Seite von Bandmate Richard Llewellyn tourte sie ausgiebig durch Großbritannien und Deutschland, verkaufte Venues wie die legendäre Union Chapel oder die Hamburger Prinzenbar aus, spielte auf dem angesagten US-Showcase-Festival SXSW, veröffentlichte drei Alben in Eigenregie und ließ – Krebibilität lässt sich eben nicht kaufen – dennoch ein Majorlabel nach dem anderen abblitzen.

Allen Erfolgen zum Trotz stand jedoch alsbald der nächste Richtungswechsel an. Während einer Bandpause im Jahr 2016 verspürte Sarah Howells das Bedürfnis, Songs abseits von Paper Aeroplanes zu kreieren und sich wieder ihrer E-Gitarre zu widmen – dies war der Beginn ihres Solo-Projekts Bryde, das von der renommierten „Sunday Times“ alsbald mit „wilde Gitarre…sensationell“ angepriesen wurde.  

Mit ihrem 2018 erschienenen Debütalbum „Like An Island„, welchem drei EPs vorangingen, wurde Bryde im selben Jahr für den Welsh Music Prize nominiert, tourte durch Europa und zierte die Bühnen von Festivals wie dem Latitude, Boardmasters, Camden Rocks oder Live at Leeds. Die Songs der Erstlingsplatte erzählten von Emanzipation und vom Lernen, nach einer Trennung wieder allein zu existieren und auf eigenen Füßen zu stehen, während das Musikalische irgendwo zwischen sanftem Dreampop der Marke The xx, dem teils recht spröden Sound von Feists „Metals“ und einem Timbre à la Fiona Apple oszillierte. Obendrein umschiffte die Singer/Songwriterin die gröbsten Schmalz-Klippen ebenso schlicht wie galant mit ihrer entlarvenden Ehrlichkeit.

Es folgte – man ahnt’s wohl bereits – einmal mehr eine Richtungskorrektur, denn dem zweiten, 2020 erschienenen Album „The Volume Of Things“ gingen die explosiven Elemente, die das Debüt in seinen besten Momenten so spannend tönen ließen, fast vollständig ab. Geschrieben und aufgenommen zwischen London sowie den Studios verschiedener Freunde in Berlin und produziert von Thomas Mitchener (Frank Carter & The Rattlesnakes, The Futureheads) wurde das Zweitwerk während der ersten Phase der vermaledeiten Corona-Pandemie veröffentlicht und handelte von der Bombardierung des modernen Lebens, der Lawine von Nachrichten, Mitteilungen, Ratschlägen und Ideen, zu denen wir (zumindest im recht freien Teil der westlichen Welt) jeden Tag Zugang haben, sowie dem Versuch, aus all dem weißen Rauschen einen echten, tieferen Sinn herauszufiltern. Klar, die Amplitude der tönenden Erschütterungen mochte eine andere sein als auf „Like An Island„, das dezent vulkanische Brodeln mochte vermehrt Platz gemacht haben für ein Gefühl der Entschleunigung und des Loslassens, aber eitel Sonnenschein war auch auf „The Volume Of Things“ nie so ganz.

Folgt nun, mit dem kommenden dritten Langspieler „Still„, die beinahe obligatorische nächste Kehrtwende? Überraschenderweise: nein. Vielmehr Setzt Sarah „Bryde“ Howells den auf dem Vorgänger eingeschlagenen Weg in Musik und Gedankenwelt fort, schließt sich bei ersterem, der Musik, der Welle an talentierten Bedroom-Pop-Künstlerinnen an, die – mit Phoebe Bridgers an der Spitze – die Welt außerhalb des eigenen Schlafzimmers mit grandiosen Platten bereichern, während zweiteres, das Thematische, mit so viel- wie alles und nichts sagenden Begrifflichkeiten wie Spiritualität, Liebe, Religion, Heilung und der Macht des Geistes spielt – all das ja Themenkomplexe, denen man auch schon auf den ersten beiden Platten begegnen konnte, und die nun, im Jahr 2022, in mannigfaltiger Hinsicht relevanter denn je scheinen. Auf das introspektiv-entschleunigte Grundgefühl weist bereits das Coverartwork hin, auf den Rest von „Still“ darf man sich einmal mehr gern einlassen.

„So viele Liebeslieder verherrlichen die Idee, sich jemandem an den Hals zu werfen, das Drama und den Schmerz der Liebe. Ich wollte zugeben, dass ich das tue, aber auch anerkennen, dass es viele andere, gesündere Arten gibt, über die Liebe nachzudenken, und dann ein Gespräch darüber beginnen.“ (Sarah „Bryde“ Howells)

Rock and Roll.

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Song des Tages: Adult Mom – „Sober“


Foto: Promo / Daniel Dorsa

Stevie Knipe meldet sich mit ihrem DIY-Soloprojekt Adult Mom zurück und wird in wenigen Tagen „Driver„, ihr erstes neues Album seit der Trennung von ihrem mittlerweile auf Eis liegendem Label Tiny Engines und den Nachfolger zum 2017er Werk „Soft Spots„, veröffentlichen. Mit der Auskopplung „Sober“, welches ebenso wie die bereits im Februar 2020 erschienene Single „Berlin“ auf dem neuen, dritten Album zu hören sein wird, kann man sich bereits jetzt einen ersten Eindruck von den neuen Songs des Indie-Pop-Projekts aus Purchase, New York machen.

Passenderweise konzentriert sich auch „Sober“ auf die Nachwirkungen einer zerbrochenen Beziehung, wobei Knipes Erzählerin sich von jemandem entfernt, den sie schlicht nicht mehr liebt. Ihr Keyboard und ein Drum-Machine-Beat geben zunächst den Ton an, während Knipe die Situation mit unerschrockener Ehrlichkeit und einer Prise schwarzem Humor einschätzt: „The only thing that I’ve done / This month is drink beer and / Masturbate, and ignore / Phone calls from you / What else am I supposed to do?“. Treibende Indie-Rock-Gitarren treten darauf den Song vorwärts, bis Knipe schließlich einen letzten Schlussstrich zieht: „Now I don’t even think of you / When I am sober“. Das Musikvideo zu „Sober“, bei dem Maddie Brewer Regie führte und das von Noah Gallagher animiert wurde, zeigt in ruhigen, lebendigen Bildern, wie jemand schmerzhafte Erinnerungen und ungesunde Trinkgewohnheiten hinter sich lässt und sich auf eine Reise der Selbstfindung begibt, die sich langsam aber sicher in etwas ziemlich Surreales verwandelt. Und passend findet auch musikalisch eine Reise statt: das Stück beginnt als reduzierter Bedroom Pop und wandelt sich dann zum angenehmen Power-Pop-Understatement.

Knipe hat „Driver“ zusammen mit Kyle Pulley (Shamir, Diet Cig, Kississippi) co-produziert, während befreundete Künstler wie Olivia Battell und Allegra Eidinger bei der Arbeit an den zehn Stücken halfen. Das Album, welches „den Soundtrack zu jener queeren Liebeskomödie liefert, von der sie seit 2015 träumte“, wie es in einer Pressemitteilung heißt, folgt auf das 2015er Debüt „Momentary Lapse Of Happily„, das gut drei Jahre zurückliegende Zweitwerk „Soft Spots“ sowie einige EPs, die Stevie Knipe zwischen 2012 und 2014 veröffentlichte. „Driver“, das auf Epitaph erscheint, wird außerdem die erste Langspieler-Veröffentlichung von Adult Mom auf einem anderen Label als Tiny Engines sein, das zusammenbrach, nachdem Stevie Knipe und eine Reihe anderer Unterzeichner*innen die Label-Macher im Jahr 2019 beschuldigten, unter anderem Zahlungen an die unter Vertrag stehenden Künstler*innen zurückzuhalten. Nun wagt Stevie „Adult Mom“ Knipe einen Neustart, und dieses Mal sitzt sie am Steuer.

Rock and Roll.

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Song des Tages: Fenne Lily – „Berlin“


Foto: Nicole Loucaides / Promo

Ein alter Philosophen-Witz lautet: Treffen sich zwei Solipsisten. Ein(e) Solipsist(in) geht davon aus, dass das er oder sie das einzig existierende Ich auf der Welt ist. Philosophisch begründet: Weil man in der eigenen Wahrnehmung über andere Individuen keine begründeten Aussagen treffen kann. Und küchenpsychologisch begründet: Weil man sich ohnehin wie der einzige Mensch auf Erden fühlt. Sogar unter Leuten im Supermarkt. Wenn man aber wirklich allein ist auf der Welt, kann man auch Bananen mit offenem Mund zerkauen. Wie Fenne Lily in ihrem halb schwermütigen, halb slackigen “Solipsism”…

Um 2014 herum, mit gerade mal 17 Jahren, fängt die junge britische, in London geborene Songwriterin an, von ihrer Heimatstadt Dorset nach Bristol zu pendeln – weil da mehr geht und sie irgendwann Support-Slots für etwa Marika Hackman und KT Tunstall übernehmen darf. 2018 veröffentlicht sie ihr Debütalbum „On Hold“ selbst. Selbiges erschien genau zur richtigen Zeit. Warum? Weil für diese Art von Musik im Grunde jede Zeit die absolut richtige ist. Manche mochten sich anfangs wohl ein wenig gewundert haben, wie eine blutjunge Britin mit ihren unscheinbar gezupften, introvertierten Folk-Miniaturen schon vor Veröffentlichung der ersten Platte millionenfache Streams und Klicks aufweisen konnte. Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: weil diese sanft sprudelnden akustischen Trostquellen eine universale Sprache sprechen. Lily schreibt in ihrer emotionalen Zugänglichkeit massentaugliche Songs, die aber unbedingt alleine und in Ruhe gehört werden wollen (Stichwort: Kopfhörermusik). Ihr zweites, vor wenigen Tagen erschienenes Album „BREACH“ kommt also mit einem noch besseren Timing als ohnehin schon, da Isolation und Trostbedürfnis in diesem so seltsamen, so unheilvollen Jahr 2020 Sonderrollen spielen. Und als hätte Lily einen Moment der Vorahnung gehabt, hatte sie sich, noch bevor Corona und Co. uns alle in unsere Schlafzimmer drängte, auf einen Selbstfindungstrip in die eigene Isolation begeben. Zwar hat die junge Songwriterin die elektronischen Akzente des Vorgängers im klingenden Endergebnis durch ein paar dezente, von keinem Geringeren als Noise-Pabst Steve Albini unterstützte Rock-Gesten ersetzt, doch an Empathie und Subtilität ging dabei nichts, aber auch mal so gar nichts verloren.

Dass „BREACH“ jedoch auch Biss hat, beweist schon allein die Single „Alapathy„. Piano und Schlagzeug pulsieren mit einem nervösen, aber bestimmten Momentum, die schrammelige E-Gitarre erfährt ein paar mittelschwere Noise-Zuckungen. Lilys tiefe, verträumte Stimme klingt so warm und wohlmeinend wie immer, doch giftet sie hier – der Titel ist ein Kofferwort aus den Begriffen „apathy“ und „allopathic“ – gleichsam gegen die misslungene Medikation ihrer psychischen Erkrankungen und den sehr westlichen Ansatz, nur die Symptome des Problems zu behandeln und nicht den eigentlichen Grund. Für den Großteil der Platte steht allerdings eher ein Stück wie „Elliott“ stellvertretend, welches mit Streichern und Fahrradklingeln sein folkiges Sehnsuchtsskelett umschmeichelt. „Seicht“, „kitschig“ oder „selbstmitleidig“ könnte der Berufszyniker diese einfachen, melancholischen Kompositionen nennen, die schlichte Schönheit vor musikalische Ambitionen stellen. Doch wer emotional noch nicht völlig grau und abgestorben ist, findet in den Gedanken und Geschichten der 23-Jährigen alters- wie geschlechtsübergreifende Bezugspunkte und einen verständnisvollen Resonanzraum des eigenen juvenilen Seelenlebens.

Ähnlich wie ihre stilistische Kollegin Phoebe Bridgers schmückt Lily die im Kern reduzierten Songs gerne mit üppigeren Arrangements aus (passenderweise veröffentlichen beide mittlerweile beim Label Dead Oceans). Dies geschieht – wohl auch dem Budget sei Dank – merklich opulenter als noch auf „On Hold“, jedoch keinesfalls weniger organisch. Kein Instrument wirkt wie angepappt, die Melodien und Harmonien wachsen natürlich in die Höhe wie Efeu an einer urbanen Hinterhofhauswand. Vor allem „Berlin“ und „Birthday“ türmen sich mit grandiosen klimaktischen Steigerungen auf, lassen ihre Streicher und Gitarren ums Licht konkurrieren. Mit dem bereits erwähnten „Solipsism“ bekommt auch die zweite Plattenhälfte ihren rohen Rocksong: Ein besonders motivierter Bass erzeugt mit Feedback-Rauschen und einer gelegentlich aufblitzenden Orgel einen hypnotischen Groove, der ein wenig an das selige Slackertum oder psychedelischen Britpop erinnert. Lily stellt diese raren Ausbrüche allerdings nicht zur Schau, sondern integriert sie unaufdringlich in den Albumfluss.

„Zu unaufdringlich“, ließe sich hier anbringen, möchte man auf hohem Niveau etwas zum Meckern haben. Fenne Lily schwimmt eher etwas im Strom mit, anstatt sich von den anderen ebenfalls sehr guten Singer/Songwriterinnen ihrer Generation abzuheben, die es auf beiden Seiten des Atlantiks zuhauf gibt (man denke – neben eben Phoebe Bridgers – nur an Laura Marling, Lucy Dacus, Elena Tonra, Adrianne Lenker, Julien Baker oder Angel Olsen). Doch warum sollte man ein Album zwanghaft mit der Außenwelt vergleichen, wenn es sich vor genau dieser hermetisch abriegeln möchte? Dem Talent sei’s gedankt, dass die talentierte Indie-Künstlerin mit „BREACH“ für genau jenes Rückzugsgefühl ein knapp 40-minütiges Luftloch reißt. Hier kann sie sich mit der jugendwunden Vergangenheitsabrechnung „I Used To Hate My Body But Now I Just Hate You“ ein Bad der Selbstreinigung eingießen, während ein fragil-puristisches Folk-Meisterstück wie „Someone Else’s Trees“ auch die Seelen aller anderen pflastert.

Fenne Lily vermag also weiterhin zwischen Nabelschau und Selbstreflexion pendelnde Herz-auf-der-Zunge-Songs für ein weitläufiges Publikum zu schreiben, die sich im richtigen Moment anfühlen, als hätte man sie ganz für sich allein. Ein solcher lärmgeschützter Hort der Schwermut und Intimität ist auch außerhalb von globalen Krisen und Pandemien pures Klanggold wert – und das nicht nur für alle musikverliebten Philosophen. Bedroom Pop klingt typischerweise eher minimalistisch und reduziert – wer hat schließlich schon noch genug Platz für fünfzig Instrumente im Schlafzimmer. Die Songs auf „BREACH“ haben hingegen spätestens beim zweiten Hören erstaunlich viel Herz und Tiefgang. 

„Listen to the siren call, it’s crying
Bleeding on a foreign floor, slow dying

It’s not hard to be alone anymore
Though I’m sleeping with my key in the door

Run until your lungs are sore, ash flying
You’re looking like you want it more but you’re lying

And it’s not hard to be alone anymore
Though you’re waking to a day you ignore

And it’s not hard to be alone anymore
It’s not hard to be alone anymore
It’s not hard to be alone anymore
It’s not hard to be alone anymore
It’s not hard to be alone anymore
It’s not hard to be alone anymore

Listen to the siren call, it’s crying“

Rock and Roll.

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