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Auf dem Radar: Bartees Strange


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Bartees Leon Cox, Jr. stand mitten im Publikum eines The National-Konzerts in Washington, D.C., als ihm plötzlich auffiel, wie sehr er auffiel. Der im englischen Ipswich geborene Rapper, Sänger und Multiinstrumentalist hatte als Sohn eines Militärangehörigen und einer Opernsängerin den größten Teil seines Lebens damit verbracht, eine musikalische Community zu finden, in die er hinein passte – von seiner Teenager-Zeit in der Emo-Szene Oklahomas über ein halbes Jahrzehnt in der hippen Folk-Punk-Szene Brooklyns bis hin zur „Flucht“ in die US-Hauptstadt, wo er – mal allein, mal mit befreundeten Künstlern – schreibt, aufnimmt und Musik produziert, wenn er nicht gerade seinem Broterwerbstagesjob bei einem gemeinnützigen Umweltverband nachgeht (Greta Thunberg lässt lieb grüßen). In all dieser Zeit war es Bartees‘ Lieblingsband The National, die ihm mit ihren Songs einen Soundtrack lieferte, zu dem er sich selbst suchen und oft genug finden konnte – und doch fühlte er sich bei ebenjenem Konzert im Jahr 2019 plötzlich so seltsam fehl am Platz…

a2944346038_16Fünfzehn Jahre zuvor hatte Matt Berninger, Frontmann von The National, genau dieses Gefühl beschrieben: “I’m a birthday candle in a circle of black girls”, sang er, wie so oft mit herrlich ironischen Fallböden, im Song „All The Wine„. Damals lebte Berninger selbst in einem mit Starbucks und Co. noch nicht übermäßig gentrifizierten Teil Brooklyns und fühlte sich wohl ähnlich fehlplatziert. Da passt es gut, dass sich Bartees Strange, so Bartees Leon Cox, Jr.’s Künstlername, unter anderem diesen Song vom dritten The National-Album „Alligator“ auf seiner Debüt-EP „Say Goodbye To Pretty Boy“ vornimmt. Auch insgesamt mag die Handvoll neu interpretierter The National-Songs von den Erlebnissen an jenem Abend inspiriert worden sein, jedoch waren die Rollen in diesem Fall vertauscht: „Es hat mich schockiert, wie wenig Schwarze sich im Publikum befanden“, schrieb Bartees kürzlich und reflektierte damit das Konzert, das er besuchte. „Und wie sehr sich dieses Genre [Indie Rock] gegen die Beiträge Schwarzer zu verwehren scheint.“

Auf der „Say Goodbye To Pretty Boy EP“ versucht Strange, diese Geschichte umzukehren und seine eigene Stimme in fünf The National-Songs einzubringen, um sie als aufstrebender Künstler, langjähriger Fan und schwarzer Mann neu zu interpretieren. So stellt jeder Ton in gewisser Weise eine Art Rückgewinnung dar, von den klanglichen Elementen, die Indie Rock und R&B vermengen, bis hin zum Cover, das die Farben der panafrikanischen Flagge und einen kreisförmigen schwarzen Aufkleber zeigt, welcher an den Rändern zerrissen ist: „Sie versuchen, diesen schwarzen Punkt von der Oberfläche abzureißen, aber er ist immer noch da“, so Strange. „Der Kampf gegen die Auslöschung war ein großer Teil meiner Reise als Künstler. Dieser schwarze Punkt steht für den Versuch, die Beiträge der Schwarzen zu Genres wie der Indie-Rockmusik herunterzuspielen.“

https---cdn.evbuc.com-images-92181769-223934004541-1-original.20200212-151258Dieser „Kampf“ scheint auch auf der EP über allem zu stehen. Bartees Stranges Mittel: sich die Songs aus der Feder von Matt Berninger sowie den beiden Brüderpaaren Aaron und Bryce Dessner sowie Scott und Bryan Devendorf ein stückweit zu seinen eigenen zu machen, ihnen neue Facetten zu verleihen. Die anschwellenden Streicher und das Fingerpicking von „About Today“ werden gegen eine Radiohead’eske Soundkulisse inklusive Synthesizer und einer pulsierenden Drum-Machine eingetauscht, wobei Stranges Stimme durch die karge Landschaft schwebt, die von zwei ehemals Liebenden hinterlassen wurde. Dem Refrain von „Lemonworld“ fügt Strange wahre Klangexplosionen hinzu, die dem ansonsten recht distanziert aufspielenden Song Dynamik und rohe Emotionen verleihen. Mag sich Berningers unnachahmlich knurrige Darbietung des Stückes immer so angefühlt haben, als stünde man jemandem direkt gegenüber, als würde knisternde Intimität in der Luft liegen, singt Strange nun, als läge man bereits in jemandes Armen. Sein tiefer, souliger Gesang, der oft genug an TV On The Radios Tunde Adebimpe erinnert (man höre etwa auch den Song „In A Cab“ aus dem vergangenen Jahr), klingt bei den neu interpretierten „About Today“ und „All The Wine“ wie ein Flüstern in den Ohren des Hörers. Derweil fühlt sich das auch aus dem The National’schen Songkatalog hervorstechende „Mr. November„, in dem er seinen eindringlichen Falsett-Backgroundgesang mit sich selbst in Einklang bringt, wie ein persönliches Bittgesuch an – ganz im Gegensatz zum hymnischen Ruf zu den Waffen des Originals (welches in der Vergangenheit nicht ganz ohne Grund von Obama und Co. im demokratischen US-Präsidentschaftswahlkampf verwendet wurde). Aus jedem Stück macht Bartees Strange (s)eine eigene kleine Hommage, jedoch ohne sich zu sehr, zu eng auf das jeweilige Original zu stützen – er nimmt alle Originalzutaten und verwendet (s)ein völlig anderes Rezept, um daraus einen zwar neuen, jedoch ebenso unverwechselbaren Geschmack zu kreieren.

Und genau das ist es wohl, was die „Say Goodbye To Pretty Boy EP“ am Ende zu etwas Besonderem, Gewichtigem macht. Stranges einzigartige Stimme und sein Gespür für neue Soundaspekte sind seine größten Stärken. Weit entfernt von einer simplen Ansammlung von Coverversionen, haben diese neu interpretierten Songs ein Selbstgefühl, welches der EP eine gewisse Tiefgründigkeit verleiht. “I gave my heart to the army / The only sentimental thing I could think of”, singt Strange in „Lemonworld“. Im Original mögen Berningers Zeilen wie aus eine voyeuristisch veranlagten Kurzgeschichte entnommen wirken. Aus der Kehle von Bartees Strange jedoch, der dank seines Soldaten-Vaters mehr oder minder auf der ganzen Welt aufwuchs, klingt nun etwas Persönliches, Ernsthaftes mit.

Auf seiner Debüt-EP tut Bartees Strange weitaus mehr als lediglich die Songs seiner Lieblingsband zu covern – er bringt seine eigene Identität mit ein und setzt seinen Anspruch, in der Welt der Indierock-Musik Gehör zu finden, durch. Die (in der Standard-Version) knapp zwanzigminütige EP ist ebenso ein Liebesbrief an den Soundtrack seiner Vergangenheit – von dem Moment an, als er eine Kopie von „Boxer“, dem 2007 erschienenen vierten Studioalbum von The National, in einem winzigen Plattenladen in Oklahoma fand, bis zu jenem schicksalhaften Konzert im Jahr 2019. Fünf Songs weißer US-Musiker aus Cincinnati, Ohio, die nun zu einem Statement schwarzer Identität werden, in welches sich Ehrfurcht ebenso mischt wie Rebellion – ein gleichsam bunt wie Freihand gesprühter Graffiti-Tag über einem klassischen Kunstwerk, wenn man so mag.

 

 

 

Rock and Roll.

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