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Sunday Listen: Palila – „Mind My Mind“


(gefunden bei Facebook)

Ornithologen wissen’s vermutlich, der wenig(er) zwitschernde Rest darf mit diesem Fakt gern (s)eine Allgemeinbildungslücke füllen: Früher hieß der Schwarzmasken-Kleidervogel einmal Palila – und das ist dann auch der Name, den sich die Hamburger Matthias ‚Mattze‘ Schwettmann und Christoph Kirchner für ihr gemeinsames Bandprojekt aussuchten, als sie selbiges anno 2019 ins Leben riefen und etwas später – mitten in der Pandemie – dann noch durch den hauptberuflich als Musikjournalist arbeitenden Schlagzeug-Veteranen Sascha Krüger ergänzten. Apropos „Pandemie“: Als Palila nach zwei EPs im November 2021 ihren Debütlangspieler „Rock’n’Roll Sadness“ auflegten, war die vermaledeiete Weltstillstandspause noch in vollem Gange – und somit gebührt dem umtriebigen Trio nun die „Ehre“, zu den wenigen Bands zu gehören, die dieser Tage bereits ihr zweites Corona-Album vorlegen.

Mind My Mind“, was sich in etwa mit „Achte auf meine Gedanken“ übersetzen ließe, ist jedoch glücklicherweise kein Werk geworden, welches sich die Pandemie zum expliziten Thema macht, sondern eines, das eher einen Gegenentwurf zu Dauerstreminglangeweile, Dosenravioli und leeren Klopapierregalen darstellt. Dabei beschäftigen sich die beiden Songwriter Schwettmann und Kirchner viel mit den inneren Gedankenwelten, welche bereits im Coverartwork schematisch angedeutet werden und resümieren in Songs wie dem melancholischen Opener „Planet C4DCB“ oder „Minnesota Winter“ (einem Song über das Saufen, wie Mattze attestiert) auch viel über das Musikerleben.

Kreativkopf Schwettmann, der auch als Gitarrist und Sänger fungiert, verarbeitet in den neuen Stücken zudem seine Scheidung und fügt in Songs wie etwa „Try To Fail Again“ noch einige sozialkritische Gedankengänge aus persönlicher Sicht bei, die im besten Falle in motivierenden Erkenntnissen gipfeln – wie der, dass man aus Fehlern durchaus lernen kann. Das Textliche ist Palila also schon irgendwie wichtig – aber keineswegs der wichtigste Grund, warum die Jungs zusammen spielen. Das sind vielmehr die „geilen Songs“, wie Schlagzeuger Sascha Krüger anmerkt, der allein derentwegen aus der musikalischen Frührente zurückgekehrt ist und sich Palila angeschlossen hat.

„Palila spielen Musik für Menschen mit Leben auf der Uhr und schmerzhaften Erinnerungen im Gepäck. Mit echten Gründen für Wehmut und Melancholie, die sie in ihren Sound packen.“ (die Band über sich selbst)

Freilich mag es nicht der Sound der Stunde sein, den die drei Hanseaten von Palila da auf ihrem zweiten Langspieler präsentieren. Dafür ist er (der Sound) jedoch hemmungslos vereinnahmend, nahezu unkaputtbar – und vielmehr zeitlos denn retro. Zudem gibt sich die Combo gar nicht erst große Mühe, einen Hehl aus all den zahlreichen musikalischen Präferenzen und Inspirationsquellen zu machen – und plündert sich umso munterer durch die Musikhistorie. So listen die Jungs zum Beispiel Wilco, Big Star oder die Replacements als Vorbilder auf und lassen auch dementsprechende musikalische Referenzen in ihr tönendes Tun einfließen. Dazu kommen noch so einige Acts aus der Zeit den Grunge- und Indie-Rock-Szenen der seligen Neunzigerjahre: mal klingen Buffalo Tom an, mal Hüsker Dü oder die frühen Smashing Punpkins – und gaaaaaanz viel Dinosaur Jr. sowie Nada Surf. Nur bei Neil Young ist sich das Dreiergespann nicht ganz so einig, denn während Schwettmann und Bassist Kirchner bekennende Fans sind (und Schwettmann auch fast genauso schön wie „Uncle Neil“ knödeln kann, wenn er denn nicht gerade ebenso windschief trällert wie J Mascis), hält Krüger den kanadischen Folkrocker mit US-Pass für – Frevel, Frevel! – überbewertet und bemüht sich aus Leibeskräften gegenzusteuern, wenn die Sache denn mal zu sehr in Richtung Crazy Horse abzudriften droht… Und am Ende sind wohlmöglich gerade solche kleinen geschmacklichen Dissense das Palila’sche Erfolgsgeheimnis, denn im fad-bloßen Emulieren von bereits Gehörtem sieht das Trio nicht seine Aufgabe. Songs wie „Restless“, das bereits erwähnte „Try To Fail Again“ oder auch das tolle, von pulsierenden Bassläufen getriebene „Circles“ gefallen gerade deswegen, weil hier nicht ein Stil bedient, ein Vorbild zitiert oder eine musikalische Idee verwirklicht wird, sondern immer alles schön munter kombiniert, gedoppelt und vervielfältigt wird, bis dabei am Ende ein eigenständiger potentieller kleiner Hit ums Eck lugt – mindestens. So oder so bekommen alle geneigten Ohren hier klassischen Indie Rock vom Feinsten präsentiert – hymnisch und melancholisch, mit positiven Enden und hartnäckigen Melodien.

   

 
 
 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Alex Lahey – The Answer Is Always Yes (2023)

-erschienen bei Liberation-

Alex Lahey wurde in ihren bisherigen dreißig Lebensjahren wohlmöglich bereits recht oft mit dem unschön-finalen Wort „Nein“ konfrontiert. So beschreibt sie selbst, wie sie schon früh ihr Außenseitertum spürte und es sich für sie als queeres Migrantenkind so anfühlte, als sei die Welt einfach nicht für sie gemacht. Verwunderlich ist es dennoch nicht, dass ihr drittes Album nun den Titel „The Answer Is Always Yes“ trägt, schließlich hat Laheys Musik die Umarmung anderer verlorener Seelen schon immer über die eigenen Tauchgänge ins Jammertal Selbstmitleid gestellt. So verwies etwa der ziemlich genau vier Jahre zurückliegende Vorgänger „The Best Of Luck Club“ auf empathische Kneipengespräche in dessen Aufnahmeort Nashville. Und obwohl die neuen zwei Handvoll Songs den glasklaren Upbeat-Indie-Rock-Sound der ersten beiden Alben ein wenig hinter sich lassen, zeigt sich bei „The Answer Is Always Yes“ das offene Ohr für andere Menschen bereits im Entstehungsprozess, da die Australierin hier zum ersten Mal externe Songwriter integrierte, unter anderem den umtriebigen Iren Jacknife Lee (U2, Snow Patrol, Editors). Ja-Sagen bedeutet für Lahey eben nicht dumpfes Abnicken, sondern ständige Weiterentwicklung und Vorwärtsbewegung, und vor allem den unbedingten Willen, allen Widrigkeiten zum Trotz das Beste aus dieser so oft so absurden Welt und diesem unvorhersehbaren Irrgarten namens „Leben“ zu machen. Ihr unkomplizierter Indie-Pop-Rock vermittelt diese Beharrlichkeit trotz tendenzieller Kantenglättung mithilfe von roher Emotionalität, ohne dabei die dunkleren Momente des Daseins unbeachtet im Schatten stehen zu lassen.

Zu Beginn der knapp 35 Plattenminuten strahlt die Sonne Melbournes jedoch noch herrlich wolkenfrei durch die Platte. Zwar schneidet eine Laufsteg-fertige St.-Vincent-Gitarre durch die Handclap-Strophen des eröffnenden „Good Time“, doch bläst der Refrain jedes windschiefe Dach wieder gerade. Ganz ähnlich wie bei der eh dauerarschcoolen Annie Clark könnte man in manchem Moment fast meinen, dass Alex Lahey die Sonnenbrille längst auf der Nase festgewachsen sei. Und überhaupt: Die Hooks bleiben auch 2023 das Herzstück des Songwritings der Aussie-Indierockerin, dessen Einfachheit man nie mit Banalität verwechseln sollte – damit würde man vielsagenden Zeilen wie “Everyone is a bit fucked up / But they think they’re okay”, welche das Album wohl nicht ganz ohne Grund eröffnen, auch einfach unrecht tun. Apropos Tiefgang bei genauerem Hinhören: das an Wet Leg erinnernde „They Wouldn’t Let Me In“ etwa behandelt kurz vor Schluss schlaglichtartig, wie ihre Teenager-Zeit von Ablehnung und Ausschluss geprägt war – und bildet den daraus gewachsenen Frust mit knorrigem Post Punk samt Sprechgesang, Gang-Of-Four-Riffs und borstigem Bass ab, der sich jeder Auflockerung verweigert. Nicht das einzige Mal, dass „The Answer Is Always Yes“ seine erlösenden Ausbrüche hinauszögert: Das Emo-Storytelling von „The Sky Is Melting“ baut sich Schicht für Schicht auf und entfesselt seine ganze melodische Wucht erst am Ende nach einem Piano-dominierten Intermezzo. Die Laut-Leise-Dynamik versteht auch das akustisch beginnende „Permanent“, wenn es in der zweiten Hälfte auf kathartische Weise den Strom anstellt. In solchen weniger konzisen Songs beweist die Musikerin auch ohne radikale Stilbrüche die Dehnbarkeit ihrer Pop-Formel. Zudem dürfte der Flair-Verweis auf den My Chemical Romance’schen Song „Summertime“ in “Makes Me Sick” höchstens all jene verwundern, die Laheys vor einiger Zeit für den australischen Radiosender triple j eingespielte fantastische Coverversion des MCR-Gassenhauers „Welcome To The Black Parade“ sträflichst verschlafen haben.

In „Congratulations“ wiederum singt sie zu voll aufgedrehtem Fuzz und dezentem Grunge-Gestus über zwei ihrer Ex-Freundinnen, die beide unabhängig voneinander in kurzer Zeit heirateten, und die von dieser Neuigkeit ausgelösten Gefühlstumulte. „I’m doing just fine without you“, heißt es da – ob nun sarkastisch oder aufrichtig, das bleibt analog zu den formulierten Glückwünschen unklar. Und Zeilen wie „If I don’t care, then why do I / Still think about you all the time?“ verdeutlichen, dass die Urheberin sich selbst, aller triefenden Ironie zum Trotz, nicht so sicher ist. Zum Leben gehört eben auch die Erkenntnis, dass selbiges nicht immer rosig verläuft. An anderer Stelle gibt es jedoch weder Kompromisse noch Missverständnisse: „You’ll Never Get Your Money Back“ äußert schon im Titel verdammt eindeutige Worte, bevor feinste Indie-Disco-Gitarren loslegen, und das auf den Punkt gespielte „Shit Talkin'“ kotzt sich in der wohlmöglich eingängigsten Hook des Albums über Lästermäuler aus. Doch jeder Hauch von Misanthropie ist verschwunden, sobald die passionierte Menschenfreundin im triumphalen Titelstück-Closer zu Saiten-Krach und sich auftürmendem Schlagzeug das Glas erhebt – als würde sie noch immer an jenem Tresen in Nashville sitzen und verständnisvolle Schulterklopfer mit denjenigen austauschen, die solche genauso wie sie selbst gebrauchen können: “I just want a good time / Don’t care how, but I know everybody needs it”. Amen. Eine ehemals punkrockende deutsche Kapelle sang einst recht gleichsam trefflich: „Und grad deswegen: Auf das Leben! Also noch ein Bier und noch eine Geschichte? „The anwer is always yes.“

     
  

Rock and Roll.

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Sunday Listen: Silver Moth – „Black Bay“


Foto Promo / Peter Millson

Stuart Braithwaite ist ein vielbeschäftigter Mann. Erst letztes Jahr gab er seine Memoiren mit dem schönen Titel „Spaceships Over Glasgow: Mogwai, Mayhem and Misspent Youth“ heraus, seine Hauptband, die schottischen Post-Rock-Pioniere Mogwai, veröffentlicht in beinahe uhrwerksartiger Regelmäßigkeit kopfkino’eske Alben und Soundtracks (zuletzt 2022 zum Krimi „Black Bird“) und jetzt hat er auch noch eine neue Supergroup. Und selbst damit hat der 46-jährige Gitarrist schon Erfahrung, schließlich nahm er 2016, unter anderem mit Rachel Goswell von Slowdive und Justin Lockey von den Editors, als Minor Victories ein nicht eben übles, überzeugend zwischen Shoegazing-, Noise-Pop- und Dream-Pop-Momenten changierendes Album auf.

Dieses Mal heißt das Projekt Silver Moth, außer Braithwaite sind noch seine Frau, die Musikerin Elisabeth Elektra, und fünf weitere Musiker*innen von Bands wie Abrasive Trees oder Burning House dabei. Der Titel des dabei herausgekommenen Albums, „Black Bay„, ist auch der Name des Studios auf der Isle Of Lewis auf den Äußeren Hebriden, in dem das Kollektiv, welches 2021 auf der Kurznachrichtenplattform eines berüchtigten Milliardärs zum ersten Mal den Kontakt zueinander fand, die sechs teils recht langen Stücke in nur vier Tagen aufnahm. Der stramme Zeitplan macht sich bemerkbar: Viele Songs basieren offensichtlich auf Jams, meist bildet ein einziges Gitarrenriff den Dreh- und Angelpunkt, egal ob das Lied nun fünf oder fünfzehn Minuten lang ist.

Ton gewordene Langatmigkeit also? Keineswegs, denn in ihrem besten Momenten entfalten die Songs im Zusammenspiel von ohrenbetäubendem Post Rock im Mogwai-Stil, Elisabeth Elektras und Evi Vines verhuschtem Gesang und Talk-Talk-artigen, luftigen Folkstrukturen eine hypnotische Sogwirkung. Wenn etwa das per Field Recording auf Band gebrachte Meer in „Gaelic Psalms“ an den einsamen Strand plätschert und Streicher zu den Zeilen des schottischen Dichters Gerard Rochford bedrohlich anschwellen, glaubt man sich mit der Band auf der abgelegenen schottischen Insel wiederzufinden, während der Nebel durch jede Pore kriecht. Apropos Entrücktheit: Auch im Opener “Henry” schlägt einem eine gleichsam gewaltige wie sanfte Welle an Melancholie entgegen, die sich durch die hallige, weite Instrumentierung nahezu unendlich anfühlt. Man denke an die Indie-Folker von Daughter, wenn diese den Post Rock noch mehr als ohnehin schon für sich entdecken würden. Etwas mehr der Welt da draußen wenden sich Silver Moth in „Mother Tongue“, einem Empowerment-Song für marginalisierte Gruppen, zu. Seinen Höhepunkt in Bezug auf die Intensität erreicht das Album im 15-minütigen Giganten “Hello Doom”, der mit seinem Titel ein wenig seines Inhalts vorwegnimmt und zwischen Noise Rock, Drone und eben Doom Metal eine verstörende, apokalyptische Stimmung herbeibeschwört.

Letztlich ist es jedoch vor allem der Closer “Sedna”, der mit schwirrenden Drone-Klängen und einem für diese Platte ungewohnt geradlinigen Schlagzeug im Gedächtnis bleibt. Gerade hier scheinen die vielen guten Ideen der am Projekt Beteiligten pointiert im Songformat zusammenzufließen. Alles in allem tönt „Black Bay“ ähnlich karg wie sein Entstehungsort und macht sich herzlich wenig Gedanken darüber, ob es irgendwann einmal entdeckt wird. Vieles schwillt stetig an, raunt durch Leib und Seele und verschwindet darauf wieder in die Dunkelheit. Das klingt im besten Fall interessant und besonders, im schlimmsten rauscht es an der Grenze zur Belanglosigkeit am inneren Kopfkino wieder vorbei. Das Band-Kollektiv wird wohl mit beidem leben können.

     

 
 

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Wednesday – Rat Saw God (2023)

-erschienen bei Dead Oceans-

Manchmal sind es die scheinbar unbedeutendsten Momente, an die man sich ein Leben lang erinnert, mit allen mannigfaltigen dazugehörigen Emotionen und Gerüchen in der Nase. Karly Hartzman hat diesen Momenten ein Lied gewidmet. „Chosen To Deserve“ heißt der Song ihrer Band Wednesday, ganz ungeschliffen erzählt sie darin vom Sex auf SUV-Rücksitzen, von ordentlichen Mengen Schnaps, Krankenhausaufenthalten aufgrund von Tablettenüberdosen und Wildpinkeleinlagen. Solche Sachen halt, und wenn die Nacht am Pool des Nachbargrundstückes endet, geht Frau am nächsten Tag direkt zum Unterricht in die Sonntagsschule. Obendrein wird das Ganze umrahmt von einem Gitarrenriff, für das Tom Petty eigentlich noch einmal aus seinem zu früh eingelassenen Grab steigen müsste, um es Wednesday in Rechnung zu stellen.

Fotos: Promo / Zachary Chick

Es geht auf „Rat Saw God„, dem neuen, fünften Album der Band aus Asheville, North Carolina, also um längst verstrichene Momente, die nicht im klassischen Sinne denkwürdig sind, von Wednesday aber denkwürdig verpackt werden. Vor allem durch die scheinbar überflüssigen Details wirkt die Platte so lebendig: Fanta ist in Hartzmans Texten nicht einfach gelb, sondern „pissefarben“, Menschen, die von Überdosen erzählen, tun das nicht irgendwo, sondern auf dem Parkplatz eines Fitnessstudios. „I want to remember anything“, sang die Musikerin auf dem vorherigen, 2021 erschienenen Wednesday-Langspieler „Twin Plagues“ (das 2022er Cover-Album „Mowing The Leaves Instead Of Piling ‚em Up“ einmal außen vor) – und scheint sich diesmal vielmehr um das „Everything“ kümmern zu wollen. Denn „Rat Saw God“ ist bis oben voll mit Zeilen, die sich wie verschwommene Erinnerungsschnipsel aus einer oft übersehenen Vorstadtjugend lesen, irgendwo zwischen Tristesse, Nostalgie und Trauma.

I sat on the stairs with a never-ending nosebleed„, singt Hartzman in „Bull Believer“, einem zweigeteilten, insgesamt knapp neunminütigen Song, der als Herzstück des neuen Langspielers fungiert. Ihr Gegenüber aber? Daddelt weiter ungerührt „Mortal Kombat“. Es geht also darum, nicht wahrgenommen zu werden, und das ausgerechnet in einem Lied, dass sich breit macht wie ein US-amerikanischer Flugzeugträger. Eine Ansage ist „Bull Believer“ aber nicht nur wegen seiner Ausmaße, sondern wegen seines aggressiven Endes. „Finish him!“, schreit Hartzman da mehrfach, „mach ihn fertig!“, wahrscheinlich noch einmal mit Blick auf das Prügelspiel „Mortal Kombat“. Immer weiter steigert sich die Intensität ihrer Stimme, und als sie das höchstmögliche Level erreicht, geht der Song erst richtig los. Ja, so klingt Schmerz, der befreit. 

Hilfe erhalten Karly Hartzman und ihre absolut alltäglichen Kurzgeschichten, in denen sie auch mal von ihrem Vater erzählt, der versehentlich ein Feld abgefackelt hat und einen Polizeieinsatz auslöste („Quarry“), oder die Chronik eines Roadtrips schildert („TV In The Gas Pump“), dabei von ihren vier Bandkollegen, die über die Jahre dazugestoßen sind und den Wednesday-Sound Stück für Stück weiter ausfüllen und bereichern. Anders als die prägendsten und oft auch beliebtesten Indie-Acts der letzten Jahre, bei denen es sich etwa um Solo-Künstlerinnen wie Phoebe Bridgers oder De-facto-Ein-Mann-Bands wie Tame Impala handelte, schöpfen Wednesday ihre emotionale Wucht nicht nur aus verträumter Melancholie, sondern aus, nun ja, musikalischer Wucht. Häufig explodieren ihre Songs so plötzlich, brachial und dissonant wie in den seligen Neunzigern (don’t call it Grunge!), wie die besten Pixies-Stücke, kombinieren Schrammliges mit schwerem Getrommel sowie Rückkopplungen von gefühlt jedem anderen Instrument – und enthalten statt konventioneller Zwischenparts etwas viel Besseres: sorgfältig konstruierten Lärm. 

Hart ist diese Musik, aber eben nicht im Sinne von Moshpits, Headbanging und Pommesgabel-Handzeichen, sondern so, wie es hart sein kann, aus einer speckigen Matratze wieder hochzukommen, in der man ganz tief versunken ist. Nach Shoegaze klingen Wednesday dann, diesem hypnotisierenden Rockmusik-Genre, in dem gelangweilt aussehen eine bewusste Entscheidung ist und man hinter Wänden aus E-Gitarren keine einzelnen Noten mehr heraushören kann. Es dröhnt auf dem innerhalb einer Woche aufgenommenen „Rat Saw God“, und nicht immer weiß man genau, woher es kommt. Muss ja auch nicht, soll wahrscheinlich auch nicht. 

Und dann ist doch wieder Platz für Schönheit, die beinahe ganz ohne Krach funktioniert. Der Song „Formula One“ schunkelt weg vom Shoegaze Richtung Americana und Alt.Country, einem Einfluss, der sich auch im verschwitzten Zusammenspiel der Band und der Alltäglichkeit von Hartzmans Texten spiegelt. „Rat Saw God“ geht angenehm unkonventionell mit dieser Prägung um, sie zeigt sich im mitunter jodeligen Twang der Sängerin. Auch Xandy Chelmis setzt seine Lap- und Pedal-Steel-Gitarren so radikal ein, dass ihr Klang eher an Alarmsirenen als an ländliche Heimeligkeit made in Nashville erinnert. Spielt der Musiker Soli, dann nicht zusammen, sondern gleichzeitig mit dem E-Gitarristen Jake Lenderman. Wichtiger Unterschied, fürwahr.

Apropos Jake Lenderman: Letztes Jahr veröffentlichte der eben erwähnte Gitarrist sein Solo-Durchbruchsalbum „Boat Songs“ unter dem Namen MJ Lenderman. Auch bei ihm klang eine Mischung aus Indieästhetik und Country Rock angenehm roh, im Vergleich zu Wednesday jedoch humorvoller und wärmer – nicht zuletzt, weil sich der Song „You Are Every Girl To Me“ an seine Band- und Lebenspartnerin Hartzman richtete. Während Lenderman also voller Leichtigkeit über „Jackass“ und dämlich aussehende Hüte sang, heißt es bei Hartzman und Wednesday schwermütiger: „Every daughter of God has a little bad luck sometimes“ – wir alle unter Gottes Sonne haben eben auch mal Pech. Traurige Erkenntnis, aber absolut wahr.

Rock and Roll.

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Auf dem Radar: Tommy Lefroy


Foto: Promo / Claryn Chong

Empfehlung gefällig? Klar doch! Freunde von Tönen der Güteklasse Phoebe Bridgers, Mitski oder First Aid Kid dürfen sich das Duo Tessa Mouzourakis und Wynter Bethel – alias Tommy Lefroy – und ihre soeben erschienene zweite EP „Rivals“ gern auf ihre Ich-hör-mal-rein-Liste setzen.

„Diese EP ist um einiges selbstbewusster“, so die Band in einem Statement über den Nachfolger der 2021 veröffentlichten „Flight Risk EP„. „Die neuen Songs suchen keine Entschuldigungen. Wir haben unlängst den Scherz gemacht, dass ‚Flight Risk‘ die Flucht war und ‚Rivals‘ nun den Kampf aufnimmt, gar ein paar bösartige Gefühl in sich trägt. In vielerlei Hinsicht geht es um die Beziehung, die wir zueinander haben, wie wir uns gegenseitig herausfordern und beschützen.“

Benannt nach dem Fuckboy – wie’s die heutige Jugend wohl ausdrücken würde – des 19. Jahrhunderts – und der realen Inspiration für Mr. Darcy aus „Stolz und Vorurteil“ -, Thomas Langlois Lefroy, der Jane Austens Herz brach, fand das Newcomer-Zweiergespann trotz zeitweise stattlicher 5.000 Meilen zwischen ihnen zusammen (Mouzourakis stammt ursprünglich aus Vancouver, Bethel aus Michigan). Die beiden lernten sich 2018 in Nashville kennen und liefen sich dann öfter auf Partys über den Weg – an gemeinsame Songs dachte jedoch zunächst keine der beiden. Erst als Tessa Mouzourakis ein Konzert der aus Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus bestehenden All-Female-Supergroup boygenius im Commodore Ballroom in ihrer Heimatstadt besuchte, erwachte in ihr der Wunsch, etwas ganz Ähnliches auf die Beine stellen zu wollen. Bald darauf postete sie ein Cover des boygenius-Songs „Ketchum, ID“, woraufhin Bethel antwortete: „Können wir eine Band gründen?“ Konnten sie.

Und dass ebendas keine allzu schlechte Idee war, zeigen einmal mehr die sechs neuen Songs der „Rivals EP“. Einer von ihnen ist die bereits im Januar veröffentlichte Single „Worst Case Kid“, welche von einem dunklen Dunst aus schrillen Gitarren getragen wird und von psychischen Problemen und prämenstrueller Dysphorie (PMDD) handelt. „Dieser Song verkörpert dysphorische Gedanken als eine Art toxische Liebesgeschichte“, erklärt die Band, die unlängst im Vorprogramm bei einigen Kanada-Shows der ebenfalls aufstrebenden Indie-Pop-Newcomerin Samia in Erscheinung trat. „Es geht darum, dass Schwarzmalerei trotz besseren Wissens so ähnlich ist wie die Rückkehr zu jemandem, von dem man weiß, dass er einem nicht gut tut. Wenn man wirklich intensive Depressionsphasen durchmacht, kommt man wie nass geschwitzt aus ihnen heraus, und wenn es wieder besser wird, ist die Hexe sozusagen ‚tot‘. Wir haben beide mit Anfällen von Traurigkeit zu kämpfen, und der Song handelt davon, sie zu überwinden.“

Etwas optimistischer gibt sich da zum Bespiel der EP-Opener „Dog Eat Dog“, der als Ode an alle Heldinnen, die sich in einer immer noch oftmals von Männern dominierten (Musk)Welt behaupten, daherkommt und auf Konfrontationskurs mit männlichen Machtstrukturen und den von ihnen auferlegten engen Hierarchien geht. Mit seinem Garage-Rock-Grunge-Flair und den vielschichtigen Gesangsharmonien ist der Song außerdem ein Aufruf an alle, sich in ihrem Anderssein bestätigt zu fühlen. Das Stück schmückt all diese Gefühle durch mittelalterliche Bilder in Text und Video aus und beschwört Schilde, Rüstungen und Arenen herauf: „Looking around the arena / Thinking I’m just like you / But a girl’s gotta do what a girl’s gotta do.“

Klare Sache: Tommy Lefroy wollen’s wissen.

Rock and Roll.

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Das Album der Woche


Philip Selway – Strange Dance (2023)

-erschienen bei Bella Union/Rough Trade-

Eigentlich könnte diese Rezension – gut und gern sowie für Freunde weniger Worte – nach dem nächsten Satz enden. Philip Selway, der Schlagzeuger von Radiohead, macht auch auf seinem dritten regulären Soloalbum „Strange Dance“ wunderschöne Musik. Aber irgendwie wäre das auch etwas unfair, denn Selway, der bei seiner Hauptband stets stoisch im Halbschatten der auch auf Solo-Pfaden deutlich präsenteren Thom Yorke und Jonny Greenwood sein Werk verrichtet und der Musikwelt dort in den letzten – mindestens – zwei Jahrzehnten gezeigt hat, mit welch künstlerischem Anspruch Drumcomputer zu klingen vermögen, wenn man sie denn zu bedienen weiß, hat definitiv Aufmerksamkeit verdient. Ein großer Sänger wird er in diesem Leben freilich nicht mehr werden (eine Eigenschaft, die so einige Radiohead weniger zugetane Ohren wohl auch Thom Yorke zuschreiben würden), das muss er allerdings auch gar nicht, da die Stärken des 55-jährigen britischen Musikers woanders liegen. Selbstverständlich warten seine Kompositionen mit zahlreichen cleveren rhythmischen Ideen auf, diese wären jedoch ohne Selways Fähigkeiten als Arrangeur wirkungslos. Und was für ein Arrangeur er mittlerweile ist! Ob er sich da den ein oder anderen Winkelzug vom mehrfach Oscar-nominierten Soundtrack-Komponisten Jonny Greenwood abgeschaut hat? Weißmannatürlichnicht.

So beginnt etwa „Picking Up Pieces“ als unscheinbare Ballade, ehe sich die Musik zunehmend verdichtet. Am Ende erstrahlt der Song im Geigenglanz, entpuppt sich gar als ambitionierter, stark in Klang gesetzter Ohrwurm. Und apropos Soundtrack: Womöglich hat es, nach den ersten, 2010 beziehungsweise 2014 erschienenen Alleingang-Platten „Familial“ und „Weatherhouse„, seine Soundtrack-Arbeit “Let Go” (von 2017) gebraucht, damit nun Glockenspiele in “What Keeps You Awake At Night” so klingen, wie es beispielsweise Get Well Soon schon länger nicht mehr hinbekommen. Auch hier lässt Selway sich viel Zeit, bis alle Motive eingeführt sind. Grandios orchestrierte Streicher malen auf große Leinwände, die der Radiohead-Schlagwerker auf Abwegen mit seiner Stimme gleichermaßen pastoral wie unaufdringlich dirigiert und die erwähnten Motive nach Lust und Laune kombiniert, ohne dabei freilich die Dramaturgie des Songs aus den Augen zu verlieren. Der Lohn: ein herrliches Finale, das die Lust auf mehr weckt. Und da dem Künstler das Wohl des Konsumenten scheinbar am Herzen liegt, macht er auf diesem hohen Niveau weiter.

Krittelei? Die dürfte darin bestehen, dass er dabei bisweilen knapp am zuckrigen Kitsch entlang schrammt – „The Other Side“ wirkt beispielsweise aufgrund seiner süßlichen Melodieführung dezent überzuckert. Wer kein Problem mit allumfassendem Schönklang hat, wird allerdings auch hier an einem glücksseligen Lächeln nicht vorbeikommen, welches das Gesicht im weiteren Verlauf nur selten verlässt. Songs wie „Make It Go Away“, bei dem erstmals eine Gitarre im Vordergrund zu hören ist, die dann aber auch schnell wieder zwischen Streichern und Bläsern untergeht, sind einfach zu liebenswürdig, um nicht mit Anerkennung quittiert zu werden. Selway mag kein Genie sein, er weiß stattdessen aber sehr genau, was er kann und was er will.

Und wenn das dann in Spinnereien wie dem Titelsong resultiert, sei es ihm auch gegönnt. Mit einer gewissen Tapsigkeit wagt er sich hier in dunklere Gefilde. Der Honigtopf ist sein Ziel, die Taschenlampe sein einziges Werkzeug. Zielstrebig funzelt er sich voran, bis sich alles in Wohlgefallen auflöst. Absoluter Höhepunkt des Albums ist indessen das famos orchestrierte „The Heart Of It All“. Nach einem mehrminütigen Spannungsaufbau explodiert der Song im letzten Refrain in schillernden Farben. Bläser, Streicher und Synthesizer winden sich in schwindelerregende Höhen, während im Hintergrund langsam die Sonne aufgeht. Ja, er kann schon was, dieser Philip Selway.

Natürlich mag der hauptberufliche Schlagzeuger (der hier sowohl den Platz an seinem Stamminstrument als auch die Percussion Valentina Magaletti überließ, während die Streicher-Arrangements von Laura Moody kommen), weder so künstlerisch fordernd noch so umtriebig unterwegs sein wie Thom Yorke (man höre bei Interesse gern mal beim Neo-Progrock/Jazz-Trio The Smile oder der famosen Allstar-Band Atoms For Peace nach!) und auch nicht den dezidierten orchestralen Output eines Jonny Greenwood in der Vita vorweisen können. Dennoch muss sich ja auch Selway abseits von Radiohead, die mit läppischen vier Studiowerken in den vergangenen zwanzig Jahren, von denen sich vor allem das letzte, „A Moon Shaped Pool“ von 2016, beinahe schon wie ein leiser Schlussakkord anfühlte, nicht unbedingt als Vielveröffentlicher gelten dürften, ja irgendwie beschäftigen. Und schreibt auch auf seinem neusten Solowerk, das sich ingesamt als Sammlung großenteils melancholischer Softpopsongs, die wie Eis auf der Zunge zergehen, präsentiert, recht ausgeklügelt und mit der Etikette eines britischen Gentlemans, ohne sich der verkorksten Eton-College-Elite anzubiedern, die gerne so clever wäre, “Strange Dance” zu mögen – und hier doch nichts zu hören hat. 

Rock and Roll.

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