Am 30. April 2021 erschien „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ von Danger Dan als erste Veröffentlichung des neu gegründeten Labels seiner Antilopen Gang noch in recht zurückhaltender in Kleinstauflage. Zwei Jahre später können er und alle Beteiligten gar nicht mehr sagen, wie oft sie vor allem die Vinylauflage des Albums inzwischen nachgepresst haben. „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ enterte Platz eins der deutschen Album-Charts, gewann drei „Preise für Popkultur“, einen „Deutschen Kleinkunstpreis“ und unzählige neue Fans. Danger Dan hat die Songs seines zweiten Solo-Langspielers – allen voran das durchaus skandalträchtige Titelstück – ebenso vor tausenden von Leuten in einigen der ehrwürdigsten klassischen Konzertsäle der Republik aufgeführt wie auf dem größten Punk-Festival Deutschlands, gemeinsam mit Igor Levit im „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann und bei unzähligen anderen Gelegenheiten.
Nach dutzenden bis unzähligen umjubelten Konzerten, von den ganzen kleinen Clubs bis hoch in die prunkvollsten Säle und Paläste der Republik, ist es da nur folgerichtig, dass am 2. Juni 2023 „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ als 16 Songs umfassendes, Anfang November 2022 im Berliner Admiralspalast aufgenommenes Live-Album erscheint. Neben einem großen Teil der Songs des Klavieralbums enthält es auch einige ältere Danger Dan-Songs, die hier erstmals in neu arrangierten Versionen mit Klavier und Streichern wiederveröffentlicht werden.
Eines der Stücke, „Ingloria Victoria“, nach „Ölsardinenindustrie“ der zweite Vorgeschmack aufs kommende Live-Album, richtet sich auch auf ehrwürdigen hauptstädtischen Bühnenbrettern mit gewohnt bissigen Worten gegen das Gymnasium in Daniel Pongratz‘ (so Danger Dans bürgerlicher Name) Geburtsstadt Aachen und ist gleichzeitig als grundsätzliche Kritik am deutschen Schulsystem zu verstehen. Am Schluss des Songs zeigen seine beiden Mittelfinger unverhohlen, was er von seiner Schulzeit und jenem Aachener Victoria-Gymnasium hält.
„’Ingloria Victoria‘ ist eine zu Klaviermusik gewordene Abrechnung mit der Aachener Schule, von der der zum Chansonnier mutierte Rapper aus dem Hause Antilopen Gang vor über 20 Jahren geflogen ist“, heißt es in der Pressemitteilung. Und weiter: „Damals war für seine Lehrerinnen und Lehrer noch nicht abzusehen, welchen Weg dieser Störenfried einmal einschlagen und dass seine Musik eines Tages wie ein böser Fluch zurück auf den Schulhof und sogar in das Lehrerzimmer finden würde“.
Und der Erfolg, welchen ihm zu seiner Schulzeit wohl nur wenige Lehrer zugetraut hätten, gibt dem Musiker mittlerweile recht, denn ebendieser „Störenfried“ spielt sowohl am Tag seines Live-Album-Releases als auch am Tag darauf in der nicht eben kleinen Berliner Parkbühne Wuhlheide. Ein amtliches Statement, das jedoch auch einen guten Grund hat: Danger-Dan-Pongratz‘ 40. Geburtstag am 1. Juni. Dazu passt auch das Motto: „40 Jahre Danger Dan: Das schönste (und längste) Fest meines Lebens mit all meinen Freundinnen und Freunden“ -liest sich, als wäre auch mit einer Menge Gästen zu rechnen. Das Live-Album kann bereits in verschiedenen Ausführungen vorbestellt werden und auch für die erste der beiden Berlin-Shows gibt es noch Tickets.
Same procedure as every year – Das neue Jahr ist erst wenige Tage jung, wirft jedoch bereits – auch in Punkto Albumneuerscheinungen – den ein oder anderen langen Schatten voraus. Damit ihr auch 2023 nicht ganz und gänzlich den Überblick verliert, fasst ANEWFRIEND als kleinen Service für euch wieder so einige relevante Ankündigung knapp und übersichtlich zusammen.
Nachdem sich die Kulturbranche im vergangenen Jahr so langsam von der knapp zwei Lenze andauernden Pandemie erholte und wieder so einige Konzerte und Festivals stattfanden (wenngleich etwa steigende Kosten ganz neue Problemfelder eröffneten), zeigte sich auch im 2022er Veröffentlichungskalender, dass Künstler*innen und Bands seit 2020 – beinahe zwangsläufig, denn irgendwie mussten wir alle ja ungewohnt viel Zeit „totschlagen“ – deutlich mehr Stunden, Tage und Wochen in Proberäumen und Aufnahmestudios verbracht haben (und das ein oder andere tolle Album mehr aufgenommen haben). Den Hörer, den Fan, den Musikliebhaber freut so etwas freilich – da bleibt zu hoffen, dass ein paar kreative Ideen übrig geblieben sind und auch die Tage bis Dezember 2023 wieder das ein oder andere fulminant tönende Glanzlicht bereit halten werden… Also denn: ANEWFRIEND ist gespannt, ANEWFRIEND bleibt auch im elften Blogjahr (oder sogar schon zwölften – je nachdem, wie man’s betrachtet) maximal neugierig!
JANUAR 2023
Iggy Pop – Every Loser (VÖ 06.01.2023)
The Baboon Show – God Bless You All (VÖ 13.01.2023)
Belle and Sebastian – Late Developpers (VÖ 13.01.2023)
Staring Girl – Schräg fällt das Licht (VÖ 13.01.2023)
The Subways – Uncertain Joys (VÖ 13.01.2022)
John Cale – Mercy (VÖ 20.01.2023)
July Talk – Remember Never Before (VÖ 20.01.2023)
Riverside – ID. Entity (VÖ 20.01.2023)
We Are Scientists – Lobes (VÖ 20.01.2023)
Friedemann – Naiß (VÖ 27.01.2023)
Fucked Up – One Day (VÖ 27.01.2023)
Pascow – Sieben (VÖ 27.01.2023)
FEBRUAR 2023
DeWolff – Love, Death & In Between (VÖ 03.02.2023)
Donots – Heut ist ein guter Tag (VÖ 03.02.2023)
The Go! Team – Get Up Sequences Part Two (VÖ 03.02.2023)
George Hennessey – If You Can’t Find What You’re Looking For Please Ask (VÖ 03.02.2023)
The Notwist – Vertigo Days – Live from Alien Research Center (VÖ 10.02.2023)
Paramore – This Is Why (VÖ 10.02.2023)
Schrottgrenze – Das Universum ist nicht binär (VÖ 10.02.2023)
Mit “Monotony” kündigen The Natural Lines ihr selbstbetiteltes, im kommenden März erscheinendes Debütalbum an. Die US-amerikanische Indie-Rock-Band um Frontmann Matt Pond, der vorher (und das bereits seit Ende der Neunziger) vor allem als Matt Pond PA auftrat, veröffentlichte im Oktober mit der “First Five EP” bereits ein erstes musikalisches Lebenszeichen und startet mit „Monotony“ eine Art Neuanfang, der sich in knackig-kurzen zwei Minuten durch Einflüsse aus dem Folk manifestiert und obendrein mit einem gewissen Hang zur schwelgerischen Hymnik gesegnet ist. Zudem hat sich das Quintett aus New York für das dazugehörige Musikvideo (zumindest wohl für US-Begriffe) prominente Unterstützung besorgt, denn in selbigem gastiert Stand-up-Comedienne Nikki Glaser als Therapeutin von Matt Pond.
„In den letzten Jahren habe ich versucht, mich auf meine Atmung zu konzentrieren – um eine bessere Sänger zu werden und um ein besserer Mensch zu sein. Aber es ist schwer, still zu sitzen und langsamer zu werden, wenn die Welt um einen herum so unruhig zu sein scheint. ‚Monotony‘ ist daher eine Hymne über den täglichen Drahtseilakt, die Suche nach dem richtigen Weg zwischen Leidenschaft und Apathie. Die ganze Zeit über habe ich mit Nikki Glaser gearbeitet. Ihre Unerschrockenheit ist ansteckend. Da sie nie zögert, mir zu sagen, was sie wirklich denkt, hielt ich es für sinnvoll, dass Nikki in dem Video meine Therapeutin darstellt.“ (Matt Pond)
Das kam unerwartet: PALE, 2009 aufgelöst und zuletzt 2012 noch einmal für eine Abschiedsrevue auf der Bühne, werden Ende 2022 unverhofft ein letztes Album veröffentlichen. „The Night, The Dawn And What Remains“ ist dabei nicht nur der überraschende Nachfolger zum 2006 erschienenen „Brother.Sister.Bores!„, sondern wurde buchstäblich vom Leben geschrieben. Und wie wir wissen, sind die Geschichten, die das Leben schreibt, meist die schönsten. Aber eben oft genug auch die traurigsten…
Der 25. November 2019 ist der Tag, an dem sich alles ändert. Bei Gitarrist und Sänger Christian Dang-Anh wird ein Hirntumor entdeckt. Am selben Tag erhält Stephan Kochs, Schlagzeuger der Band und Bruder von Sänger Holger, ebenfalls eine Diagnose, die ihn dazu zwingt, sein komplettes Leben umzukrempeln, wenn er leben möchte.
Trotz aller Fassungslosigkeit und Sorge in dieser Zeit führen die zwei so eng beieinander liegenden Schicksalseinschläge dazu, dass die verschiedenen Bandmitglieder, die zwischen 1993 und 2009 bei PALE spielten, wieder den Kontakt zueinander suchen. Schnell entsteht die Idee, noch einmal gemeinsam Musik zu machen. Nicht, damit sie jemand jemals hört, sondern um gemeinsam nochmal die Zeit aufleben zu lassen, in der man gemeinsam so lebendig und endlos war. Nur Stephan Kochs muss aus gesundheitlichen Gründen bereits früh entscheiden, seinen Platz am Schlagzeug nicht mehr einzunehmen.
Trotz der intensiven Krebstherapien schreibt, spielt und singt Christian Dang-Anh auf neuen Songs, die gemeinsam mit nie da gewesener Leichtigkeit entstehen. Vielleicht würde man ja sogar noch mal einen Song gemeinsam veröffentlichen können, vielleicht noch einmal zusammen auf Tour gehen? Doch die Endlichkeit wird schmerzhaft bewusst, als Dang-Anh im Mai 2021 mit nur 45 Jahren den Kampf gegen die Krankheit verliert.
Die verbliebenen PALE-Mitglieder Holger Kochs, Jonas Gervink, Philipp Breuer und Jürgen Hilgers entscheiden sich dazu, die noch gemeinsam begonnenen Aufnahmen abzuschließen. Insgesamt stecken über zwei Jahre Arbeit und Liebe in den Songs, welche bereits in dem Bewusstsein entstanden, dass es die letzten sind, die sie jemals zusammen schreiben werden. Am 25. November 2022 – wie der (freilich nicht existierende) Zufall es will auf den Tag genau drei Jahre nach den beiden Diagnosen – wird das fünfte offizielle – und definitiv letzte – Album der Aachener Band erscheinen: „The Night, The Dawn And What Remains“, welches ab sofort über Grand Hotel van Cleef auf Vinyl, CD sowie als Bundle vorbestellt werden kann, ist eine Feier des Lebens und dessen, was war.
„Bigger Than Life“ und „Man Of 20 Lives“, die ersten beiden Vorgeschmäcker daraus, sind Christian Dang-Anh und Stephan Kochs gewidmet. Das soul-poppige „Bigger Than Life“ ist als berührender Abschied an Dang-Anh zu verstehen und gleichzeitig ein „Versprechen, seine Erinnerung für immer zu wahren“. Keine traurige Ballade, sondern ein vor Gitarren, Klavieren und Bläsern pulsierender kleiner Hit. Mit klassischem Indie Rock in „Man Of 20 Lives“ wendet sich Texter und Sänger Holger Kochs an seinen älteren Bruder: Es ist ein „Danke an den, der immer voran geht, mit dem man aneinandergerät und trotzdem immer liebt. Für den, der überlebt hat.“ Es sind zwei Musik gewordene Denkmäler, für Freundschaft und Liebe. Und obwohl die verbliebenen Bandmitglieder in Aussicht stellen, dass man für „Anfang 2023“ sogar noch ein (allerallerletztes?) Konzert plane, stellt der Pressetext als formvollendetes Schlussstatement noch einmal klar: „Das ist keine Reunion, das ist die verdiente Ehrenrunde.“
Hier gibt’s das Video zu den ersten beiden Songs des PALE’schen Abschiedsalbums. Es empfiehlt sich, selbige mit Kopfhörern, Vollbild und sieben Minuten Zeit zu genießen.
Gut drei Jahre hat sich das belgische Trio Zeit gelassen, nun werfen BRUTUS immer mehr vielversprechende Songschatten ihres dritten Langspielers voraus. Der neuste hört auf den Titel „Victoria“ und ist nach „Liar“ und „Dust“ bereits der dritte Appetithappen vom kommenden, am 21. Oktober erscheinenden Album „Unison Life„.
Sängerin Stefanie Mannaerts verrät, worum es in der neuen Single geht: „‚Victoria‘ handelt vom Älterwerden. Man weiß, dass das Erwachsenenleben hinter der Ecke lauert, aber man hat keine Angst vor dem, was kommt, weil wir alle gemeinsam untergehen werden.“ Zudem enthält ‚Victoria“ die Zeile „This is our unison life, my friend / This is the end“, welche Bassist Peter Mulders dazu inspirierte, „Unison Life“ als Titel für den Nachfolger des 2019er Langspielers „Nest“ vorzuschlagen. Peter verrät: „‚Victoria‘ hat sich für uns immer nostalgisch angefühlt. Zurück zu den alten BRUTUS-Tagen! Das Gitarrenriff gibt es schon seit 2013, aber erst jetzt erstrahlt es in einem kompletten Song. Was als ruhigerer Song mit normaler Songstruktur gesehen werden kann, hat sich für uns als großer Schritt herausgestellt. Wir können uns nicht hinter Effekten, Tempowechseln, Shouts oder Blasts verstecken.“
Für das Musikvideo zu ‚Victoria“, welches musikalisch einmal mehr mit gebündelter Intensität aufwartet und in seinen viereinhalb Minuten zwischen Post Rock, Progressive Rock, Alternative Rock und Post Hardcore pendelt, reisten BRUTUS mit Regisseur Jonas Hollevoet durchs heimische Belgien, um für das Visuelle das nostalgische Gleichgewicht zwischen Jung und Alt, Alleinsein und Zusammensein zu suchen. Zu sehen sind die Bandmitglieder (und einige Gäste), wie sie Schilder mit einzelnen Textzeilen an Orten hochhalten, an denen die Menschen einfach nur im Moment leben. Die Reaktion des Publikums um sie herum ist durchweg faszinierend: einige schauen neugierig zu, andere ignorieren sie völlig, und gelegentlich gibt es Gruppen, die verzweifelt versuchen, an der Aktion teilzunehmen.
Obwohl Teile von Pianos Become the Teeth in jüngster Zeit noch mit dem ein oder anderen Nebenprojekt beschäftigt waren (bei Interesse einfach mal „The Shenandoah Electric Company“ googeln), haben die US-Post-Hardcore-Indierocker dennoch Zeit gefunden, um am Nachfolger des 2018 erschienenen Albums „Wait For Love“ zu arbeiten. Selbiger wird „DRIFT“ heißen und am 26. August über Epitaph Records erscheinen.
Dafür ging das Quintett aus Baltimore, Maryland gleich in mehrfachem Sinne auf Wurzelsuche, denn nicht nur nahmen Kyle Durfey, David Haik, Chad McDonald, Zac Sewell und Mike York ihren fünften Langspieler zu einhundert Prozent auf analogem Band auf, sie taten sich dafür auch mit Produzent Kevin Bernsten zusammen, mit dem sie an ihren ersten beiden Alben gearbeitet hatten. „Kevin weiß, woher wir kommen, er wusste genau, was wir mit dieser Platte erreichen wollten – und er war bereit, mit uns verrückte Dinge zu versuchen“, so Frontmann Kyle Durfey, der auch erklärt, dass dies das erste Album sei, das die Band im Studio und nicht in ihrem Proberaum geschrieben habe. „Kevin weiß, wer wir früher waren und er weiß, wer wir jetzt sind. Er war wirklich bereit, zu experimentieren und alles im Studio auszuprobieren, um zu sehen, wie es funktionieren würde.“
„Für mich ist alles auf dieser Platte so persönlich und so spezifisch, auch wenn die Leute keine Ahnung haben, wovon ich rede“, fügt Kyle hinzu über die neun neuen Songs des Albums. „Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber ich hoffe einfach, dass die Leute sich hinsetzen und die Platte als Ganzes anhören, denn für mich ist diese Platte wie ein einziges Stück. Es sind keine einzelnen Songs, es ist eine Reise und dann kommt man aus ihr heraus…“
Einen ersten Vorgeschmack aus „DRIFT“ bekommt man anhand von „Genevieve“, welches den atmosphärischen, post-rockigen Weg ihrer letzten beiden Platten fortsetzt. Und obwohl man – zum Glück – keineswegs befürchten muss, dass Pianos Become The Teeth zurück in alte Post-Hardcore-Raudau-Zeiten zurückverfallen (dafür gibt’s andere und bessere Kapellen), ist schon diese Kostprobe ein durchaus spannender, gen Ende dynamisch kulminierender Song, welcher von David Haiks charismatisch-markantem Schlagzeugspiel angetrieben und von Kyle Durfeys Gesangsdarbietung gekrönt wird, die ebenso abwechslungsreich und leidenschaftlich gerät wie das, was bereits „Wait For Love“ sowie – vor allem! – „Keep You“ so faszinierend machte. Dem steht auch das Musikvideo, bei welchem sich PBTT-Gitarrist Michael York, zusammen mit Amanda Adams, für Regie und Schnitt verantwortlich zeichnet, in nichts nach.
(Und so freut sich der Autor dieser Zeilen mit einem tiefen, melancholisch unterfütterten Seufzen auf jenes angekündigte Album…)