Das Pianostück „Suicide Is Murder“ setzt sich dabei, wie auch schon das vorangegangene 2017er Werk, mit psychischer Krankheit und ihren oft genug schlimmsten Folgen auseinander. „Picture yourself / Blood from a cut on your wrist / Checking for veins that you missed / ‚Cause suicide is murder / You’ve got to have motive, means and opportunity / Suicide is murder / Premeditated, rehearsed tragedy“, singt Mann, um an anderer Stelle den Bogen zu den Hinterbliebenen zu spannen. „But beware ‚cause anyone who knew you / Will be cursed and part of them will also die / There’s no end to the asking of the question / Why?“, heißt es in der Bridge des Songs. In den Sozialen Medien wurde „Suicide Is Murder“ für seinen Inhalt sowohl gelobt als auch kritisiert. „Ich habe angefangen den Song zu schreiben, weil ich Menschen kannte, die Selbstmord begangen haben und Freunde habe, die geliebte Menschen durch Selbstmord verloren haben“, kommentiert die 60-jährige Singer/Songwriterin. „Der Satz ‚Suicide is Murder‘ hat für mich eine Bedeutung gewonnen, weil es das schlimmste ist, mit dem man im Nachhinein zu kämpfen hat. Es ist einfach schlimm. Denn jede Person, die die Person, die Selbstmord begangen hat kannte, wird sich selbst auf die eine oder andere Weise die Schuld geben, weil sie nichts gemerkt hat, nicht eingeschritten ist oder nichts getan hat. Sie werden sich bis zum Ende ihrer Tage fragen: ‚Hätte ich etwas tun können?'“
„Queens Of The Summer Hotel“, dessen Songs entstanden, während Aimee Mann an der Musik zur Theater-Adaption von „Girl, Interrupted“ arbeitete (und vor allem im Zuge der letztjährigen Pandemie, als auch viele ihrer Pläne auf Eis gelegt wurden), ist das zehnte Album der US-Musikerin und wird am 5. November über Manns eigenes Label SuperEgo erscheinen.
Für das dazugehörige Musikvideo zeichneten sich einmal mehr Manns langjährige Kreativpartner Rob Hatch-Miller und Puloma Basu verantwortlich:
(INFO: Solltet ihr suizidgefährdet sein oder jemanden kennen, der suizidgefährdet ist, könnt ihr jederzeit bei der Telefonseelsorge Hilfe suchen, Telefon: 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222, und im Internet unter telefonseelsorge.de. Hilfsangebote gibt es auch unter suizidprophylaxe.de.)
Klar, nicht „groß“ im Sinne einer Taylor Swift, Rihanna oder Beyoncé. Aimee Mann kann – und will wohlmöglich auch gar nicht – mit deren erfolgreichem a-la-mode-Radiopop mithalten. Nicht deren Tabloid-Leben im Blitzlichtgewitter erdulden müssen. Hat Aimee Mann überhaupt einen Instagram-Kanal? Weiß irgendjemand Privates? (Wen es interessiert: Sie ist seit über zwanzig Jahren mit Michael Penn, dem Bruder von Schauspieler Sean Penn, verheiratet.)
Nein, die mittlerweile auch schon 57-jährige Musikerin ist eine Große, wenn es um tiefes, oft genug auch ergreifendes Songwriting geht. Man denke nur an das durch Mark und Bein gehende „Wise Up„, welches Mann – nebst vielen anderen Stücken – 1999 zum Soundtrack des starbesetzten Paul Thomas Anderson-Melodramas „Magnolia“ beisteuerte. An so tolle Alben wie das im gleichen Jahr erschienene „Bachelor No. 2 or, the Last Remains of the Dodo„, oder das drei Jahre darauf veröffentlichte „Lost In Space„. Dass Mann sich einerseits selbst – und auch ihrem Stil, in klein aufgezogenen Folk- und Alt.Countryrock-Songs große, bedeutende Geschichten vom Leben zu erzählen – treu blieb, mag ihr zwar mehrere potentielle Weltkarrieren gekostet haben, hat der US-Musikerin über die Jahrzehnte jedoch auch eine treue Fanbase beschert, die die Lieder der umtriebigen Songwriterin als grimmig lächelnde Lebensretter zu schätzen wissen. Und es könnte kaum ironischer und bezeichnender sein, dass Mann ausgerechnet für ihr neuntes, im März 2017 veröffentlichtes Album „Mental Illness„, welches sie selbst – wohl nur halb im Scherz – als ihr „saddest, slowest and most acoustic album“ beschrieb, kürzlich mit dem längst überfälligen Grammy für das „Beste Folk-Album“ ausgezeichnet wurde…
Dass Aimee Manns Diskografie neben so vielen großartigen eigenen Songs auch bereits die ein oder andere kaum minder tolle Coverversionen vorzuweisen hat, dürfte nicht erst seit „Magnolia“, in dem sie Harry Nilssons Trauerkloß-Hymne „One“ zu neuen Ehren verhalf, klar sein. Oder seit dem Film „I Am Sam„, für dessen Soundtrack sie sich – gemeinsam mit Ehemann Michael Penn – die Beatles-Nummer „Two Of Us“ vornahm.
Dass sie die hohe Schule, einem Evergreen ihre ganz eigene Seele einzuhauchen, immer noch beherrscht, bewies Aimee Mann kürzlich erneut, als sie sich – dieses Mal für die TV-Reihe „The Assassination of Gianni Versace: American Crime Story“ – ausgerechnet den 34 Jahre jungen verträumten Synth-Poprock-Schunkler „Drive“ von The Cars schnappte, und die Nummer allein mit ihrer Akustischen einerseits ins 21. Jahrhundert, andererseits auch in zeitlose Folk-Sphären transportiert (in einer Episode der Serie spielt sie ihre Version des Cars-Gassenhauers auch in einer Bar).
Auch ohne eine Weltkarriere, ohne große Villen und dicke Protzkarossen bleibt es dabei: Aimee Mann ist eine von den ganz Großen…
„One is the loneliest number that you’ll ever do / Two can be as bad as one / It’s the loneliest number since the number one / No is the saddest experience you’ll ever know / Yes, it’s the saddest experience you’ll ever know / ‚Cause one is the loneliest number that you’ll ever do / One is the loneliest number, worse than two…“
Gerade kam mir wieder dieses todtraurige Lied in den Sinn: Harry Nilssons „One„, mit welchem Aimee Mann 1999 – und damit stolze 31 Jahre nach dessen Erstveröffentlichung – Paul Thomas Andersons nicht eben minder tragisches, mit Stars wie Tom Cruise, Julianne Moore oder William H. Macy nur so gespicktes Episodendrama „Magnolia“ einleitete. Dieser Film war aber auch der erste, in welchem ich Philip Seymour Hoffmanbewusst wahrnahm. Dabei war der damals 32-Jährige um die Jahrtausendwende beileibe kein Rookie, kein unerfahrener Schauspielnewcomer. Ganz im Gegenteil: Der 1967 in Airport, New York zur Welt gekommene US-Amerikaner hatte bis dato bereits in über zwanzig Filmen mitgewirkt, sich ganz klassisch über eine Schauspielausbildung an Tisch School Of Arts der New York University und vereinzelte Fernsehrollen peu à peu einen Namen in den Adressbüchern von Hollywoods Produzenten erspielt. Dass Hoffman nicht eher auf den ersten Besetzungszeilen der Filmplakate in Erscheinung trat, lässt sich wohl ähnlich leicht begründen: Der nach Außen oft so scheu und unaffektiert auftretende auftretende Mime war auf Zelluloid ein Darsteller der alten, so ganz und gar nicht grundlos hervorbrechenden Schule. Anstatt mit übertriebener Gestik den tumb-stoischen Filmberserker á la Stallone oder Schwarzenegger (ich bitte mir diese genrefremden Extrembeispiele im Zweifelsfall zu verzeihen) zu geben, wählte Hoffman Rollen im Hintergrund, anhand derer er großen Namen wie Jeff Bridges (in „The Big Lebowski“), Al Pacino (in „Der Duft der Frauen“), Robin Williams (in „Patch Adams“) oder Matt Damon (in „Der talentierte Mr. Ripley“) den Rücken zur Entfaltung ihrer eigenen Charaktere freihalten konnte. Dem blonden, oft mit Bart und feisten Gesichtszügen auftretenden Schauspieler genügten in seinen Nebenrollen oft nur wenige effektive Momente, um sein wahres Können aufblitzen zu lassen. Dass er sich in all den Jahren vom Who-is-who der qualitativ hochwertigen Hollywoodregieriege einweisen ließ – vom Dauerpartner Paul Thomas Anderson, mit dem er neben „Magnolia“ und zwischen 1997 und 2012 noch einige Hochkaräter mehr schuf (etwa die letzte Zusammenarbeit der beiden, „The Master“) über die Coen-Brüder („The Big Lebowski“) bis hin zu Joel Schumacher (Makellos“), Spike Lee („25 Stunden“) oder Cameron Crowe („Almost Famous“) -, dürfte dabei nur bestätigen, dass man in Los Angeles längst auf Hoffmans Fähigkeiten zu bauen wusste. Und so unterschiedlich die Filme, in welchen ihm eine mal mehr, mal weniger tragende Rolle auf den Leib gescheitert wurde, auch sein mochten, so sehr und nah blieb Hoffman doch bei sich selbst. Denn meist verkörperte der Profilmime Charaktere, die beständig nahe am Rande ihrer selbst agierten, die innerlich längst zerbrochen schienen und nie so ganz auf gut Freund mit dem Gros der ihnen zuwideren Gesellschaft machen konnten. Andererseits verstand Hoffman es, seine Rollen – wenn notwendig – mit einer Menge Herzlichkeit, Bodenständigkeit und Natürlichkeit zum Glimmen zu bringen. Welch eine Erfüllung es für ihn gewesen sein mochte, als er 2006 ausgerechnet für seine Verkörperung des nicht minder tragischen US-Allroundkünstlers Truman Capote den zweifellos verdienten Oscar als bester Hauptdarsteller (im Indepentent-Drama „Capote“) gewann? Man kann es wohl nur erahnen…
Wer jedoch von Philip Seymour Hoffman als ein „wandelbares Chamäleon“ spricht oder schreibt, der könnte falscher kaum liegen. Denn bei aller Kunstfertigkeit, bei allem Können kam dem Schauspieler wohl – und hier finden wir seine wohl größte Tragik – zugute, dass auch er selbst seit seinem Collegeabschluss auf schmalen Graten zu wandeln wusste. Wie Hoffman 2006 in einem Interview zugab, litt der dreifache Familienvater zu Anfang seiner Zwanziger gleich unter mehreren Abhängigkeiten (Alkohol und härtere Drogen – er übertrieb es laut eigener Aussage mit allem, was er in die Finger bekommen konnte), schaffte jedoch im Alter von 22 Jahren den vermeintlichen Absprung. Im Nachgang wirken so viele seiner Rollen mit all ihrer unprätentiösen Tragik, fehlenden doppelten Böden und schonungsloser Direktheit fast wie böse Omen, bei welchen sich bewahrheitet, dass man einem Menschen zwar ins Gesicht, jedoch nur all zu selten hinter die Fassade schauen kann. Und allein die Tatsache, dass sich Hoffman, dessen ungeschliffenes, oft zerzaust zutage tretendes Äußeres nie so ganz seine wahre Verfassung zu offenbaren schien, im vergangenen Jahr – und damit über 20 Jahre nach dem Lossagen von seinem persönlichen Drogensumpf – erneut für zehn Tage „wegen Problemen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Heroin“ in einen Entzugsklinik einweisen ließ, wirkte wohl viel zu nah an einer seiner Rollen (etwa die des drogensüchtigen Gangsters in Sidney Lumets famosem „Tödliche Entscheidung – Before The Devil Knows You’re Dead“), als dass man die wahre Brisanz der inneren Lage des Schauspielers wahrhaben wollte. So sehr nun über die tatsächlichen seelischen Schieflagen, die Abgründe, die Sackgassen spekuliert wird, so einfach und schwer wiegen doch die Fakten: Philip Seymour Hoffman wurde am Morgen des 2. Februar 2014 tot im Badezimmer seines Apartments im New Yorker Stadtteil Manhattan aufgefunden. Vielerwebs wird berichtet, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Spritze im Arm des Schauspielers steckte, und auch die New Yorker Polizei geht davon aus, dass Hoffman an einer Überdosis Heroin starb. Mit Philip Seymour Hoffman verliert Hollywood einen seiner charismatischsten Profilschauspieler, dem seine Kunst nie zu schade für die zweite Reihe war. Freilich wird die Traumfabrik aus Geld und Zelluloid auch diese Lücke schnell zu schließen wissen – the show must go on. Freilich ist all das Reden und Schreiben vom „zu jungen Sterben“, die Überhöhung Hoffmans zur „Ikone der Darstellungskunst“ nur leidlich profanes Geschwätz für den Moment – the show will go on. Fakt ist: Philip Seymour Hoffman wählte im Alter von 46 Jahren den wohl einsamsten aller Wege. Ich werde seine Augenblicke in der zweiten Reihe vermissen.
„I had insecurities and fears like everybody does, and I got over it. But I was interested in the parts of me that struggled with those things.“
(Philip Seymour Hoffman in einem Interview mit dem Guardian, 2011)
Wie so oft finden auch andere Schreiberlinge in traurigen Momenten wie diesen wohl gewählte Worte – man lese etwa den Nachruf der deutschen Online-Ausgabe des „Rolling Stone“ -, während anderswo – beim „Spiegel“ – die Vorzüge der digitalen Welt gewählt werden, um Hoffmans vermeintlich beste Szenen Revue („die zehn besten Szenen seiner Karriere„) passieren zu lassen.
Jahrelang hatte man es irgendwie geahnt, nun ist es offiziell: The Postal Service, dieses feine, kleine Indie-Projekt aus Death Cab For Cutie-Frontnerd Ben Gibbard und Elektronik-Klangtüfter Jimmy Tamborello (Dntel), ist nicht etwa das Ergebnis einer zufälligen Begegnung sowie dem darauf folgenden freien Austausch kreativer Ideen, sondern das Produkt eines schnöden Castings, welches Tamborello und der „Head“ des Indie-Labels Sub Pop im März 2002 in Hollywood abhielten, um durch eine passende Frontstimme möglichst viele Dollarscheinchen aus den ihnen gutgläubig folgenden Indie-Schäfchen zu pressen… Begrabt endlich den Mythos vom sagenumwobenen Kuschelalternativeduo, das sich Songentwürfe hin und her schickt, um am Ende solch‘ netten Stücken wie „The District Sleeps Alone Tonight“ oder „We Will Become Silhouettes“ über die Veröffentlichungstheke zu reichen! Hier hat immer noch das eiskalt kalkulierende Management das letzte Wort!
Aber Spaß beiseite, natürlich alles Quatsch – und eine Menge gesunde Selbstironie! Die beweisen auch die auftretenden Gaststars Tom DeLonge (Blink-182), Foo-Fighters-Bassist Nate Mendel, Moby, Chanteuse Aimee Mann, Ex-Guns’n’Roses-Gitarrist Duff McKagan, Marc Maron, der Komiker Weird Al Yankovic – und eben das Postal Service-Duo Gibbard/Tamborello, das all das bierernste Hipster-Standing, welches sich mittlerweile um ihr zehn Jahre altes Debütalbum „Give Up“ entwickelt hat, während dieser acht Minuten der Reihe „Funny or Die“ ein wenig ad absurdum führt.
Aber: ein wenig schade ist’s schon um die letztendlich offensichtliche Wahl von Gibbard als Stimme von The Postal Service, oder? Zumindest ich hätte nun doch ganz gern erlebt, wie McKagan das Album – mit Restwut auf Axl Rose im Bauch – kaputt gniedelt, oder Moby „Such Great Heights“ per Urschreitherapie zu Grabe trägt…
Natürlich gibt es für all den Klamauk auch einen gegebenen Anlass, denn The Postal Service veröffentlichen ihr bisher einziges Album „Give Up“ zum zehnjährigen Jubiläum neu, legen ein paar Bonus Tracks obendrauf und gehen – zumindest für einzelne Konzerte – wieder gemeinsam auf Tour (und das übrigens zum ersten Mal seit 2003). Nicht wenigen wäre jedoch ein neues Album weitaus lieber gewesen…
Mit „A Tattered Line Of String“ kann man sich einen der Bonus Tracks der Jubiläumsedition von „Give Up“, welche im April erscheinen soll, bereits hier anhören…
…und sich zur Einstimmung aufs Rerelease hier die Videos zu „The District Sleeps Alone Tonight“…
Da ja für ANEWFRIEND in diesem Jahr die erste Audienz beim Boss überhaupt (für Rockmusik-Atheisten: ich fahre zum Bruce Springsteen-Konzert) ansteht, habe ich nun ein Vorhaben in die Tat umgesetzt, welches ich schon eine ganze Weile vor mir hergeschoben habe: ich habe ein Mix(tape) der für mich besten Springsteen-Coverversionen zusammengestellt…
Interesse? Dann hier die Tracklists zum Nachbasteln und (Mit)Hören:
Vol. 1
1. Matthew Ryan – Something In The Night
2. Town Bike – Radio Nowhere
3. Deer Tick – Nebraska
4. The Hold Steady – Atlantic City
5. The Format – For You
6. Badly Drawn Boy – Thunder Road
7. Swati – I’m On Fire
8. Erik Balkey – Born In The U.S.A.
9. Junip – The Ghost Of Tom Joad
10. Damien Jurado & Rosie Thomas – Wages Of Sin
11. Cowboy Junkies – You’re Missing
12. Ben Harper – My Father’s House
13. Betty LaVette – Streets Of Philadelphia
14. Lelia Broussard – Dancing In The Dark
15. The National – Mansion On The Hill (live)
16. Josh Ritter – The River (live)
17. Serena Ryder – Racing In The Street
18. Pete Yorn – New York City Serenade
Vol. 2
1. Aimee Mann & Michael Penn – Reason To Believe
2. John Wesley Harding – Jackson Cage
3. Patty Griffin – Stolen Car
4. Hem – Valentine’s Day
5. Catie Curtis – If I Should Fall Behind
6. Crooked Fingers – The River
7. The Tindalls – Factory (live)
8. David Gray – Streets Of Philadelphia (live)
9. Jesse Malin – Atlantic City
10. Charlie Horse – Atlantic City
11. A Lull – I’m On Fire
12. Beerjacket – Dancing In The Dark
13. The Winter Blanket – Darkness On The Edge Of Town