Schlagwort-Archive: Abby Gundersen

Das Album der Woche


Rocky Votolato – Wild Roots (2022)

-erschienen bei Thirty Something/FUGA-

Sieben lange Jahre sind vergangen seit „Hospital Handshakes„, dem achten Studioalbum von Singer/Songwriter Rocky Votolato. Zur Finanzierung des neunten startete der gebürtige Texaner im Herbst 2021 eine Kickstarter-Kampagne, welche im November erfolgreich endete. Diesmal hatte er ein mehr oder minder fixes Konzept im Kopf, wollte jedem Mitglied seiner Familie einen Song widmen – genau fünfzehn an der Zahl, weil es auf der Ranch, auf welcher der Musiker einst aufwuchs, ebensoviele Pferde gab. So weit, so harmonisch – bis eine private Tragödie jäh alle Planungen zerstörte. Sein 22-jähriges Kind Kienan (ich verwende hier bewusst nicht die Bezeichnung „Sohn“, da sich Kienan für eine nonbinäre Identität entschied) wurde Anfang Dezember bei einem Autounfall schwer verletzt und verstarb nur wenige Stunden später. Für Rocky, seine Frau April, Tochter Autumn und den Rest der Familie folgte eine Zeit der tiefen Trauer, begleitet von kognitiven Schwierigkeiten und Gedächtnisverlust. Wer sich in der glücklichen Situation befindet, von den Bergen, welche es nach einem solchen Schicksalsschlag aus dem Weg hin zurück zum Alltag und zum Weitermachen mit dem Ding namens Leben zu räumen gilt, nur eine entfernte theoretische Ahnung zu haben, der wird es Rocky Votolato und seiner Familie dennoch hoch anrechnen, dass sie an alldem weder zerbrach noch in allumfassenden Pessimismus verfiel. Und das bereits in Grundzügen fertige Konzeptalbum? Wurde so nicht nur zum Rückspiegel auf die Familienhistorie, sondern auch zur vertonten Trauerbegleitung.

Wer’s gehässig meinen würde, der könnte behaupten, dass sich die Songs des Leisetreter-Barden aus Seattle, Washington ja ohnehin seit Jahr und Tag nach tränengetränkter Trauerweiden-Musik anhören… Falsch wäre das zwar nicht wirklich, etwas unrecht würde man Votolato und seinem seit 1999 entstandenen Solo-Repertoire aber dennoch tun. Andererseits ist der 45-jährige US-Klampfer im Kreis der Singer/Songwriter mit Punk-Rock- und Emo-Indie-Rock-Hintergrund der Mann für die ruhigen, feinfühligen Töne. Für „Wild Roots“ hat er seine ohnehin nicht mit allzu viel Krachgärtnerei auftretenden Songs weiter entkernt, sodass sie fast ausschließlich aus seiner Stimme und der Gitarre sowie der zurückhaltenden Begleitung durch Geige oder Klavier bestehen. Das wird den persönlichen Themen gerecht, sorgt aber auch dafür, dass es Songs wie „Bella Rose“ (seiner Nichte Bella gewidmet) oder „The Wildest Horses“ (für seine Tochter Autumn) etwas an musikalischer Spannung fehlt. Sobald Votolato dem reduzierten Sound jedoch weitere Elemente zufügt, gewinnen die Stücke merklich. Beim harmonischen „Southpaw“ (für seinen Neffen Peren) begleitet ihn die Musikerin Abby Gundersen, ihres Zeichens die Schwester von Singer/Songwriter Noah Gundersen, mit sanftem Background-Gesang, „The Great Pontificator“ (Stiefvater Spero gewidmet) profitiert von dem zurückhaltenden Einsatz eines Schlagzeugs.

Rocky Votolato schwelgt während der knapp 48 Minuten dieses vertonten Familienalbums in Erinnerungen an gemeinsame Momente mit der Person, für die er den jeweiligen Song geschrieben hat. Namen nennt Votolato in den Texten zwar nicht, dennoch lässt sich aus und zwischen den Zeilen oft herleiten, wer der Adressat ist. Bei „Texas Scorpion (The Outlaw Blues)“ etwa spricht er seinen leiblichen Vater an, der Mitglied in einer texanischen Motorradgang war und den Votolatos Mutter mit den Kindern früh verließ: „I know you did your best, with what you were giving / So don’t be too hard on yourself now, all is forgiven.“ Das Alter lässt im Rückblick nicht nur Milde, sondern auch Vergebung zu.

Foto: Rocky Votolato

„Little Black Diamond“ wiederum handelt von einem Spaziergang mit seiner Nichte Carissa, bei dem die beiden einen kleinen Stein aufsammelten, welchen Votolato jahrelang bei sich trug. Diese kleinen, persönlichen Anekdoten sind aufrichtig und schaffen eine intime, tatsächlich zu Herzen gehende Atmosphäre. Auch seine Mutter („Archangels Of Tornados“), seine Brüder Sonny und Cody („23 Stitches“ und „Breakwater“ – mit Cody spielte Rocky übrigens anno dazumal bei Waxwing), seine Schwester Brandi („Glory (Broken Dove)“), seine Nichte Jaida („Evergreen“), seine Frau April („x1998x“), Hund Saint („Little Lupine“) und Rocky selbst („There Is A Light“, geschrieben von Votolatos deutschem Musiker-Buddy Marcel Gein, der übrigens auch einige E-Gitarren zum Album beisteuerte) werden mit Songs bedacht. Den emotionalen Höhepunkt des Albums bildet jedoch fraglos „Becoming Human“, welches an sein ebenso jung wie tragisch verstorbenes Kind Kienan gerichtet ist. Votolato wurde mit Anfang Zwanzig Vater, und so erklärt er seinem Kind, welche Schwierigkeiten er damals hatte und warum er es beim Aufwachsen nicht so begleiten konnte, wie er es gewollt hätte. Wie Rocky Votolato in diesem Interview wissen lässt (ein weiteres findet man bei Interesse hier), konnte Kienan diese Liebeserklärung seines Vaters vor seinem Tod hören – so tragisch sich die Worte des Songs nun in die Votolato’sche Familienhistorie einfügen mögen, so tröstlich mag dieser Gedanken erscheinen. Und auch wenn Rocky Votolato mit „Wild Roots“ natürlich wieder kein formatradiotaugliches Hit-und-weg-Album zusammengetragen hat, so hört man dieser sympathischen Sammlung voll persönlicher Geschichten gern zu.

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Song des Tages: Phoebe Bridgers + Noah & Abby Gundersen – „Killer“ + „The Sound“ (Live Session)


ERIC TRA : COURTESY OF THE ARTIST

Foto: ERIC TRA / COURTESY OF THE ARTIST

Phoebe Bridgers geht mit Noah Gundersen und dessen Schwester Abby ins Studio, um ein Duett aufzunehmen – eigentlich darf man hier gut und gern von einer potentiell massig Gänsehaut erzeugenden Traumkombination sprechen, oder?

a0787974155_16Darf man. Und es lag wohl auch für alle drei Musiker auf der Hand, dass man ein paar freie Momente während einem Tourstopp in Gundersens Heimatstadt Seattle im vergangenen Herbst dazu nutzen sollte, um im bekannten „Studio X“ zu verschwinden und ein achtminutiges Doppel aus Phoebe Bridgers‘ Song „Killer“ (vom 2017 erschienenen Debütalbum „Stranger In The Alps“) und dem Noah-Gundersen-Stück „The Sound“ (vom ebenfalls im vergangenen Jahr veröffentlichten Werk „WHITE NOISE„) aufzunehmen. Schließlich stand die 23-jährige aufstrebende Singer/Songwriterin aus Los Angeles, Kalifornien (die in den vergangenen Monaten ohnehin bereits hier oder da auf ANEWFRIEND Erwähnung fand) ohnehin Abend für Abend als Gundersens Supportact auf der Bühne (und dürfte vor dieser Zeit als Dame am Merch-Tresen sogar so einige Shows mehr von ihm gesehen haben). Schließlich sind auch dem 29-jährige Indie-Musiker, der in den letzten Jahren – und über mehrere Alben vom Debüt „Ledges“ (unter ANEWFRIENDs Top 3 des Jahres 2014) über den Nachfolger „Carry The Ghost“ ein Jahr später (unter ANEWFRIENDs Top 10 2015) und zuletzt das bereits erwähnte „WHITE NOISE“ – so manche Wandlung vom die Akustische klampfenden Dreadlock-Singer/Songwriter zum straight rockenden Desperado-Lookalike durchgemacht hat, spontane Ideen nicht ganz fremd. Und große Bewunderer des beziehungsweise der jeweils Anderen sind Bridgers und Gundersen ohnehin:

„I’ve been a fanatic Noah fan since I was a teenager. He changed the way I write music, made me more comfortable with being honest in my songs. Getting to sing with him was like getting pulled onstage by your favorite band during a show.“ (Phoebe Bridgers)

„I’m just a big fan of her work. I listened to her record obsessively and I wanted to make something with her. This was recorded on our last day of tour together, when we all had a few spare hours in the afternoon.“ (Noah Gundersen)

 

 

 

Außerdem toll und uneingeschränkt ans Hörerherz gelegt: die Version des Songs „Scott Street“, welche Phoebe Bridgers unlängst mit ihrer Band für „Vevo DSCVR“ eingespielt hat:

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Das Album der Woche


Noah Gundersen – Carry The Ghost (2015)

cover-350x350-erschienen bei Dualtone Music-

Singer/Songwriter gibt es – gerade in Zeiten des weltweiten Netzes – wie den sprichwörtlichen Sand am Meer, klar. Und die meisten von ihnen spielen viel eher die leisen Töne an, ihre Stücke möchten und müssen erarbeitet werden. Zum Nebenbeihören oder fürs Radio eignen sich ihre Songs nur in den seltensten Fällen, mit viel Glück findet sich der ein oder andere Beitrag als Teil der musikalischen Untermalung eines Films oder einer TV-Serie wieder – etwa im Fall von Damien Rice („The Blower’s Daughter“) oder Glen Hansard („Falling Slowly“, das im Zuge des Indie-Filmhits „Once“ sogar einen Oscar als „bester Filmsong“ einheimsen konnte). Doch trotz der Leisetreterei denken auch heutzutage jüngere Semester – und das beinahe 60 Jahre nach den ersten musikalischen Gehversuchen eines gewissen Robert Allen „Bob Dylan“ Zimmerman – nicht daran, Abstand von der Akustischen oder dem Piano zu nehmen. Klar, die Mittel und Wege mögen im 21. Jahrhundert ganz andere sein als in den Sechzigern, als man sich sein Publikum auf kleinen Caféhaus-Konzertbühnen noch peu à peu erspielen musste, anstatt Youtube-Videos von jetzt auf gleich einem Millionenpublikum feil zu bieten. Doch so anders klingen die Melodien auch heute nicht. Und die Nadel im Heuhaufen darf nun gern auf digitalem Wege gefunden werden. The times they are a-changin‘? Gar nicht mal so sehr.

noah-gundersen_7_phillip-harder

Demzufolge ist auch Noah Gundersen, beheimatet in Seattle im Nordwesten der US of A, einer von vielen. Obwohl: beheimatet? Seit dem Erschienen seines Solodebüts „Ledges“ im vergangenen Jahr (sieht man mal vom vor vier Jahren veröffentlichten Album „Fearful Bones“ mit seiner Band The Courage ab) war der heute 26-Jährige quasi nonstop unterwegs, führte ein unstetes Nomadenleben on the road, um seine Stücke unters Hörervolk zu bringen. Und siehe da – er fand auch medial Gehör, denn unter anderem konnte der aufstrebende Singer/Songwriter gar den ein oder anderen Song in der erfolgreichen US-Bikerserie „Sons Of Anarchy“ unterbringen. In den besinnlichen Momenten der TV-Serie, welche unter der Sonne Kaliforniens spielte und im vergangenen Dezember nach sieben Staffeln zu Ende ging, waren dann etwa Gundersens Version des Rolling-Stones-Evergreens „As Tears Go By“ oder das eigens für die Serie verfasste „Day Is Gone“ zu hören. Dass die Macher von „Sons Of Anarchy“ zur musikalischen Untermalung ihrer bewegten Bilder auf Gundersen zukamen, kam wohl auch nicht von ungefähr, denn ebenso wie dem Bild von Lederkutten, heißen Öfen und noch heißeren Biker-Bräuten wohnt auch den Songs des Singer/Songwriters etwas uramerikanisches inne (insofern es das gibt): das gemeinsame Musizieren in Familie (so spielen Schwester Abby und Bruder Jonathan in seiner Begleitband), die beseelte Fiddle (etwa nachzuhören im Stück „Boathouse“ vom Debüt), dem A-capella-Harmoniegesang („Poor Man’s Son„), ein wenig Religiosität (mit dezent kritischem Augenmerk), Nachdenklichkeit und viel, viel Sehnsucht nach allem, was fern scheint. Gundersen selbst beschrieb seine Musik unlängst als „sad acoustic Americana“, und obwohl er damit gar nicht mal so falsch liegt, greift das freilich viel zu kurz. Sei’s drum. Alles in allem gelang ihm mit „Ledges“ ein formidables Album, welches es sogar unter ANEWFRIENDs Top 3 des Plattenjahres 2014 schaffte. (Dass der Rest Europas seinen Songs – bislang – die kalte Schulter zeigte, ist dabei einerseits schade, andererseits wohl der gefühligen Americana-Lastigkeit der Stücke geschuldet, für die man hier, auf der anderen Seite des Atlantiks, im Gros nicht wirklich empfänglich scheint.)

Umso höher ist nun die Messlatte für Album Nummer zwei. Und obwohl Noah Gundersen „Carry The Ghost“ nur knapp eineinhalb Jahre nach „Ledges“ abliefert, merkt man es den neuen Stücken, welche fast ausschließlich unterwegs in Hotelzimmern und Backstageräumen entstanden, an, dass es sich auch der Musiker selbst nicht zu einfach machen wollte. Denn mit den elf Songs des Debüts hat „Carry The Ghost“ nur noch wenig gemein.

23871675212028842

„She watched the valley burn like a slow dancer doing turns / My name was on every tongue / And all of the smoke and ash
Like the memory of the time gone bad / Hanging like a shadow“ – zu melancholischen Pianoklängen malt bereits die Eröffnungsnummer „Slow Dancer“ dunkle Bilder an die Studiowände, von denen sie sich auch nach dreieinhalb Minuten nicht so recht entfernt – dafür kommen sanfte Streicher und der Backgroundgesang von Schwester Abby hinzu. Ganz ähnlich verhält es sich darauf auch mit „Halo (Disappear_Reappear)“: „Take it like a man and shut your mouth / Yeah I could make it on my own / I watched my grandfather die alone“ – die zunächst beschaulich angeschlagene Elektrische ufert nach knapp drei Minuten aus gibt des Himmel für ein kleines Feedback-Solo frei, welches auch Neil Youngs Crazy Horse gut zu Gesicht gestanden hätte. Apropos Neil Young: das nicht tot zu kriegende kanadische Rock-Urgestein (beziehungsweise dessen richtungsweisende Alben wie „After The Goldrush“ oder „Harvest“) dienten Gundersen als eine der größten Inspirationen für die neuen Stücke. Und das hört man denn auch, etwa im Langsam-Schunkler „Show Me The Light“ oder dem Softie-Bekenntnis „I Need A Woman“ („I need a woman / To hold my hand / To make me feel / More like a man / I need a woman / It’s sad but true / I need a woman“). Eine andere Quelle muss wohl Ryan Adams gewesen sein, dessen 15 Jahre junges Solodebüt „Heartbreaker“ an so einigen Stellen ebenso gefühlt anklingt (und dem sieben Minuten langen vorletzten Song „Heartbreaker“, dessen E-Gitarren-Ausbrüche es obendrein erneut mit Neil Youngs Crazy Horse aufzunehmen scheinen, gleich seinen Titel leiht) wie Adams‘ spätere Werke mit seiner damaligen Begleitband The Cardinals und deren verstärkt elektrischer, oft in beseelte Jams mündender Americana-Sound. Mit dem vergleichsweise doch recht beschwingten Melodien von „Ledges“ haben die 13 neuen Stücke (oder drei Bonus Tracks mehr in der Deluxe Edition) von „Carry The Ghost“ indes weniger gemein. Gundersen zeigt sich, mal am Piano, mal an der elektrischen oder akustischen Gitarre, deutlich introspektiver als zuvor – etwa im feinen „Empty From The Start“ mit Zeilen wie „This is all we have / This is all we are / Blood and bones, no Holy Ghost / Empty from the start“ oder der kritischen Künstler-Betrachtung „Selfish Art“ („Sometimes / Making songs for a living / Feels like living to make songs /…/ I’m watching as the stage goes black / How long until we all go back / To being nothing at all / Nothing but a spark in someone’s eye / Am I giving all that I can give / Am I earning the right to live / By looking in a mirror / There’s nothing more sincere than selfish art“). Die klassischen Topoi des Singer/Songwriters – das Sentimentale, die Nachdenklichkeit, die beäugte Weltbetrachtung – finden auf „Carry The Ghost“ ebenso Platz wie Gundersens ganz private Dämonenkämpfe während des Touralltags oder – ebenso klassisch – die Sehnsucht nach Liebe und Frieden. Freilich erschweren soviele Ruhepole, erschwert soviel Introspektivität erst einmal den Zugang zum Album. „Carry The Ghost“ braucht Zeit, um sich zu entfalten. Gibt man dem Album in den schnelllebigen Zeiten, in denen wir leben, jedoch genau das, so wird man mit einem erneut großartigen Album belohnt. (Und der Rest Europas wird wohl wieder einmal weghören.)

noahgundersen_header

 

 

Hier kann man das komplette Album im Stream hören…

…und sich hier die beiden Album-Highlights „Selfish Art“, „Halo (Diappear_Reappear)“ und „Heartbreaker“ in Live-Session-Varianten ansehen:

 

Wie passend übrigens, dass Noah Gundersen sich kürzlich mit Schwester Abby, die dieser Tage ihr Debütalbum „Aurora“ veröffentlichte, und der Band Whitehorse den Neil-Young-Evergreen „Helpless“ vornahm:

 

ng_ctg_noisetrade1Und wie bereits in den vergangenen Wochen hat ANEWFRIEND auch diesmal einen – wahlweise – kostenlosen Download-Tipp für euch parat: Bei NoiseTrade kann man sich die sechs Songs starke „Carry The Ghost Primer“ EP, bestehend aus Stücken der 2014 erschienenen „Twenty-Something EP“ und von „Carry The Ghost“, aufs heimische Abspielgerät laden und einige von Noah Gundersens neuen Kompositionen vor dem Albumkauf probehören…

 

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Das Album der Woche


Noah Gundersen – Ledges (2014)

artworks-000067556058-9hz8ux-crop-erschienen bei Dualtone/Rough Trade-

Es gibt Quellen, denen sollte, denen kann man einfach vertrauen, wenn man von ihnen den ein oder anderen (musikalischen) Tipp bekommt. In meinem Fall wäre das zum Beispiel Heather Browne. Nicht nur schreibt die US-Bloggerin, die beneidenswerterweise aus der sonnigen San Francisco Bay Area stammt und nun ihre Zelte in Colorado aufgeschlagen hat, seit fast zehn Jahren von, für und über ihre Lieblingskünstler und -bands. Nein, sie tut das in einer derart herzlichen und abstandsfreien Art und Weise, dass man am Ende ihrer Postings wohl gar nicht anders kann, als den soeben empfohlenen Künstlern – schnelllebige Zeiten wie diese hin oder her – wenigstens einen kurzen Probelauf durch die eigenen Gehörgänge zu gönnen. (Dass Browne ihren Blog „I Am Fuel, You Are Friends“ nach einer Zeile aus einem der besten Pearl Jam-Songs – „Leash“ – vom bis heute wohl besten Pearl Jam-Album – „Vs.“ – benannt hat, macht sie in meinen Augen dann auch kaum unsympathischer… aber das nur als Anekdote am Rande.) Und Browne, die gut und gern als Expertin für Neunziger-Jahre-Alternativerock der Güteklasse „Sub Pop“ gelten darf, sich über die Jahre, in denen ich stets Stammleser war, zu einer Kennerin (meist zu unrecht) minder beachteter Americana-Perlen entwickelt hat, war es auch, die mir vor einiger Zeit den Namen einer noch recht jungen Singer/Songerwriter-Hoffnung vorsetzte, die bislang kaum eine handvoll EP-Veröffentlichungen vorzuweisen hatte: Noah Gundersen. Doch auch wenn der junge Mann, der 1989 in Olympia, Washington im Nordwesten der USA das Licht der Welt erblickte, bis 2011 lediglich drei Miniatur-Alben vorzuweisen hatte, klang das, was er (damals noch mit schulterlangen Dreadlocks) so von sich gab, bereits höchst beachtlich und machte Lust auf mehr. Plus: Gundersen verbindet – speziell für mich – zwei heiß geliebte musikalische Pole, denn nicht nur bespielt der Musiker seit seinem 16. Lebensjahr als eine Art „Family Business“ die Bühnen kleiner US-Clubs (seine Schwester Abby zieht den Bogen über ihre Geige, sein Bruder Jonathan sitzt hinterm Schlagzeug, beide zeichnen sich zudem auch für den Backgroundgesang verantwortlich), Gundersen ruft als einer der ersten und einzigen ein Gefühl in mir hervor, das ich zuletzt hatte, als ich vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal Damien Rice‘ Debütalbum „O“ hören durfte… Und an diesem Punkt wird es zum ersten Mal in dieser Review vage, denn immerhin bin ich versucht, dieses Gefühl zu umschreiben. Also stürzen wir uns lieber mitten hinein in Noah Gundersens soeben erschienenes Debütalbum „Ledges„…

noah gundersen

Das erste Highlight des nicht eben an (weiteren) Highlights armen Debütwerks verschleudert der Mittzwanziger bereits großzügig in der Eröffnungsnummer „Poor Man’s Son“, in dessen A cappella-Anfang zuerst Gundersen selbst, dann auch seine Geschwister in den Song einsteigen: „Stone cold broke in the middle of the winter / Oh, like a poor man’s son / My father is a hard earned worker / My mother has a heart of gold / I was never much younger but I feel twice as old“ – besonders letztere Zeile sagt – und das wird im weiteren Albumverlauf noch mehrmals unterbewusst deutlich – bereits viel über den Singer/Songwriter aus. Dass Gundersen „Poor Man’s Son“ mit seiner sacht angeschlagenen Gitarre, einer Verquickung zum ewig großen Gospel-Traditional „Down To The River To Pray“ (besonders durch die Version von Alison Krauss aus dem Coen-Brothers-Film „O Brother Where Art Thou“ bekannt) veredelt und seiner stimmlichen Emphase bereits nach knappen fünf Albumminuten freien Lauf lässt, ebenso. Keine Frage – hier hat jemand Großes im Sinn…
In Song Nummer zwei, „Boathouse“, lässt Gundersen in mal Ryan Adams’scher, mal David Gray’scher Stimmlage (und das ist ausdrücklich positiv gemeint) erstmals der Fiddle seiner Schwester Abby den nötigen Spielraum, während er sehnsüchtige Americana-Zeilen hervorzaubert: „Caroline, I’ve been wondering / Why you didn’t pick a better man? / Caroline, my Mona Lisa still can’t match your smile / So go on, wave goodbye“. Für das folgende „Isaiah“ mag zwar ein biblischer Prophet titelgebend Pate gestanden haben, in Textzeilen wie „Crawl into my skin / I’ll crawl into yours / Teach each other what our bodies are for / Learn how to sink, and you learn how to swim / Learn how to lose, and you learn how to win“ erzählt der 24-Jährige jedoch vom anfangs unschuldigen Für und Wider der ersten Liebe, während Streicher und weiblicher Backgroundgesang (wohl erneut seine Schwester Abby) erstmals an Großtaten von Damien Rice bereits erwähntem Debütalbum „O“ denken lassen. Wem das alles bis hierhin zu gefallen wusste, den werden auch die nächsten Stücke kaum enttäuschen, weder das beschwörerische „Seperator“, der ebenso poppige wie selbstkritisch zu Werke gehende Titelsong „Ledges“ („I drink a little too much / It makes me nervous / I’ve got my grandfather’s blood / And I take a little too much / Without giving back / If blessed are the meek, then I’m cursed / Here, I stand on the edge of the ledges I’ve made / Looking for a steady hand / Here, I stand in the land full of rocks and the valleys / Trying to be a better man / For you / I want to learn how to love / Not just the feeling / Bear all the consequences / I want to learn how to love / And give it all back / Forgive me all that I’ve done“), die besinnliche ‚9 to 5‘-Nabelschau „Poison Vine“ noch das auf wahrlich herzzerreißende Weise von Liebe erzählende „First Defeat“, bei welchem ein Piano für tiefe Untertöne sorgt. Noch weiter in sanfte Americana-Gefilde wagt sich Gundersen darauf gar in „Cigarettes“ oder „Liberator“, wenn zu Akustischer und Mundharmonika wohl unweigerlich Ray Lamontagne oder die puristischen Solo-Anfangsgroßtaten eines Ryan Adams (etwa „Heartbreaker“ oder „Gold“) hell im Hinterkopf aufleuchten, und man sich hinter die Ohren schreibt, diese Scheiben doch mal wieder hervor zu graben – und Gundersen, der könnte mit Stücken wie „Cigarettes“ und Textzeilen wie „Once you had me / You don’t have me anymore / I don’t crave you in the morning / Or at the company store / I don’t use you to escape / In my fingers out the door / Once you had me / You don’t have me anymore / But the truth is that you do / Not the way you used to / But there’s something after you / ‚Cause honey, you’re smooth“, bei denen das „smooth“ in Adams’scher Manier betont langgezogen über die Zunge rutscht, wohl selbst schnell in jener goldenen „Klassiker“-Schublade landen. Im weltweisen „Dying Now“ ruft er seine Schwester nach all den bestandenen Backgroundchor-Proben dann in den Fiddle-Pausen zum Duett ans Studiomikro, bevor „Times Moves Quickly“ das Album und seine zehn Vorgänger mit Pianountermalung, Streichern und des Singer/Songwriters zitternder Stimme nach Hause bringt: „Time moves quickly / With or without me / You go fast, and I’ll go slow / You stick with me / You never even kissed me / But I can’t let you go“. Uff.

noah & abby gundersen

Den 46 Minuten von „Ledges“ wohnt als Ganzes etwas Spirituelles, Heilsames und Reinigendes inne, bei dem sich Noah Gundersen zwar so allerlei biblischer Bilder bedient, diese jedoch dann auf eine emotionale und weltoffene Ebene hinaus deutet, dessen emotionaler (Strahl)Kraft sich wohl auch der überzeugteste Atheist kaum entziehen kann. Der Singer/Songwriter erzählt vom Lieben, Leben und Scheitern, vom Aufstehen und Weitermachen, vom Glauben, Hoffen und davon, auch im Zweifel das Vertrauen (an sich selbst und andere) nicht zu verlieren. Was seine ersten EP-Veröffentlichungen an Qualität bereits erahnen ließen (die erste EP, „Brand New World„, erschein 2008, ein Jahr später folgte die „Saints & Liars EP„, 2011 die tolle „Family EP„), setzt „Ledges“ nun in größerem Maße – und wenn auch in ähnlich leisen Tönen – fort, was dem ein oder anderen von Gundersens Songs bereits zu Playlist-Plätzen in nicht eben unerfolgreichen US-Serine wie „Vampire’s Diary“ oder „Sons of Anarchy“ verhalf. Die VISIONS schrieb kürzlich in ihrer 10-von-12-Punkte-Review zu „Ledges“: „Conor Oberst hat mit 24 Jahren ‚I’m Wide Awake It’s Morning‘ aufgenommen, Bob Dylan ‚Highway 61 Revisited‘. Wenn es nur halbwegs richtig läuft, steht Noah Gundersen Großes bevor.“. Und Damien Rice? Der brauchte immerhin 29 Lebensjahre, bevor er 2002 sein Opus Magnum „O“ veröffentlichen konnte… Fragt mich nicht wieso, aber ich habe das gute Gefühl, dass sich „Ledges“ ähnlich dauerhaft tief ins Hörerherz spielen kann – und nicht nur in meins. Danke, Heather. Manchen Tippgebern kann man einfach blind vertrauen…

 

 

Auf seiner Bandcamp-Seite kann man sich Noah Gundersens letzte beiden EPs in Gänze zu Gemüte führen (oder käuflich erwerben)…

 

…und sich mit dem Musikvideo zum Titelstück vom Albumdebüt „Ledges“…

 

…sowie einigen Live Sessions-Variationen Eindrücke von Gundersens Live-Qualitäten verschaffen:

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,
%d Bloggern gefällt das: