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„A Monument To Commemorate Our Time: A Tribute to Lifted by Bright Eyes“ – Ein Sampler zum 20. Geburtstag des Bright Eyes-Durchbruchalbums


Herrschaftszeiten, wo ist all die Zeit geblieben, Teil 5.839: Dieser Tage feiert „Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground„, seines Zeichens die vierte Langspielplatte von Conor Obersts Haupt- und Herzensband Bright Eyes, bereits sein 20. Veröffentlichungsjubiläum.

Seitdem ist logischerweise so einiges passiert: In der Band-Heimat US of A war ein gewisser George W. Bush anno dazumal gerade einmal etwas länger als ein Jahr im Amt des US-Präsidenten, zudem war die Nation noch mitten dabei, die weltverändernden Ereignisse des 11. September 2001 zu verarbeiten (leider ohne dabei ihr eigenes Selbstverständnis als vermeintliches „home of the brave and land of the free“, geschweige denn die immanente Waffen- und Kriegsvernarrtheit angemessen zu hinterfragen). Zwei aus recht unterschiedlichen Gründen bemerkenswerte US-Staatsoberhäupter namens Barack Obama und Donald Trump später mögen sich in den US of A zwar so einige Dinge gewendet haben, jedoch keineswegs zum Besseren – ganz im Gegenteil: das Land mit seien 331 Millionen Einwohnern scheint in vielerlei Hinsicht tiefer gespalten denn je; ganz egal, ob man sich auf die Grenzen zwischen Arm und Reich, Bleichgesichtern, Migranten und People of Color, Demokraten- und Republikaner-Wählerschaft oder Abtreibungsgegner und -befürwortern bezieht. Ein Land, das nach eigenem Selbstverständnis das lebenswerteste, demokratischste und schlichtweg obertollbeste der Welt sein mag, hat sich ohne jeglichen Zweifel innerhalb eines Vierteljahrhunderts hinein in die steinzeitliche Geistesgegenwartsecke meilenweit entfernt vom einstigen „American Dream“ manövriert. Und hierzulande? Sieht es nach immerhin 16 Jahren Bundeskanzlerinnenschaft von Angela Merkel mitsamt rautenschem „Wir schaffen das!“-Allesaussitzen kaum besser aus – minus bescheuerter Waffengeilheit, logischerweise. Dutzende klimatische Brandherde, etliche Naturkatastrophen, eine weltweite Pandemie und immer mehr unzufriedenem Rumoren innerhalb nahezu aller Bevölkerungsschichten (das sich etwa in spinnertem Verschwörungsschwurbelertum Bahn bricht) später ist die Welt – gefühlt, gefühlt – dem Rand einer unsicheren Zukunft näher als dem friedefreudeeierkuchenen Happy-go-lucky. Und dass ausgerechnet Merkels Amtsvorgänger Gerhard Schröder unbeirrt zu Intimkumpel und Russland-Präsident Wladimir Putin hält, der Anfang des Jahres einen Angriffskrieg vor der Haustür der EU und Nato vom Zarenzaun gebrochen hat, ist nur ein klitzekleines Beispiel von vielen, die aufzeigen, was hier in wemauchimmers Namen so verdammt falsch läuft…

Aber zurück zur Musik.

Seit „Lifted…“ haben Bright Eyes mittlerweile sechs weitere Alben veröffentlicht, zuletzt 2020 das tolle „Down in the Weeds, Where the World Once Was„. Conor Oberst, damals zarte 22 Lenze jung, hat, wie die Band auch, in der Zwischenzeit der von ihm mitbegründeten Labelheimat Saddle Creek den kreativen Rücken gekehrt, nebenbei eine durchaus beachtliche Solo-Karriere hingelegt und mit 42 Jahren den Titel des „spokesman for a generation“ ebenso final ad acta gelegt wie die optische Erscheinung des grüblerischen Holden-Caulfield-Lookalikes – Bürden, an denen er zwischenzeitlich ein ums andere Mal beinahe zu zerbrechen drohte, denen er jedoch andererseits auch so einige auch heute noch über nahezu jeden kritischen Zweifel erhabene Meisterwerke wie den 2005 zeitgleich veröffentlichten Album-Doppelschlag „I’m Wide Awake, It’s Morning“ und „Digital Ash in a Digital Urn“ abrang.

Eine Sache, auf die man sich bei neuen Releases aus dem Hause Bright Eyes, zu deren Kern neben Oberst noch immer Mike Mogis und Nate Walcott zählen, stets verlassen konnte, ist, dass man in die Werke Stück für Stück eintauchen konnte, Zug um Zug in aller Seelenruhe in deren Zentrum schwimmen konnte, darin versinken durfte – und bei jedem Durchgang noch stets Neues, Faszinierendes entdecken konnte – sowohl in der Musik als auch in den Texten. Hier die große, sinnstiftende Weltumarmung, da die nihilistische Abscheufratze der Einsiedelei – drunter ließen es Oberst, Mogis, Walcott und ihre vielen Mitmusiker selten geschehen. Das galt damals für die vielen tollen Stücke von „Lifted…“, für „Lover I Don’t Have to Love“, „Method Acting“, „Bowl of Oranges“, „Waste of Paint“ oder „Let’s Not Shit Ourselves (To Love and to Be Loved)“, die freilich nur als zu erlebendes Ganzes einen wirklichen Sinn ergaben, das gilt ebenso noch heute, zwanzig Jahre später.

Man selbst mag merklich älter geworden sein, sich Dutzende Male ver- und entliebt, graue Haare und mehr Lebensfalten bekommen, eventuell sogar eine Familie gegründet haben. Legt man jedoch ein Kleinod wie „Lifted…“ mit seinen zig alles andere als perfekten – und ebendarum so sympathischen – Ecken und Kanten ein (oder eben auf), so sind all die Erinnerungen, welche damals, 2002, vorm inneren Cinemascope-Auge an einem vorbei schwirrten, wieder da. Freilich mögen Conor Oberst und seine Musiker*innen-Gang noch ähnlich gelungene Werke im Oeuvre-Köcher haben, nur war eben dieses das, in welches sich nicht wenige (wie etwa ich) zuerst verlieben durften. Und an die erste Liebe erinnert man sich mit etwas Sentimentalität im Knopfloch auch in unbeständigen Zeiten wie diesen nur allzu gern.

Passend zum Zwei-Dekaden-Jubiläum hat das US-Indie-Label Take This To Heart Records einige durchaus namenhafte Künstler*innen und Bands wie Kali Masi, Sarah and the Safe Word, Snarls oder Future Teens versammelt, um „Lifted…“ in Gänze covern zu lassen. Noch lobenswerter ist, dass es das Ergebnis via Bandcamp als „Name your price“-Download gibt und alle Einnahmen karitativen Zwecken zugute kommen. Reinhören, Zugreifen und nach Möglichkeit einen kleinen Spenden-Betrag da lassen lohnt sich also in jedem Fall!

„Released twenty years ago this month, ‚Lifted or The Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground‘ suspends the Bright Eyes project at a fascinating pivot point. Midway between the lauded ‚Fevers and Mirrors‘ and the one-two punch of ‚I’m Wide Awake It’s Morning‘ and ‚Digital Ash in a Digital Urn‘ three years later, ‚Lifted‘ accentuates Conor Oberst’s fascination with expansive arrangements. Twinklings of chamber pop, dusted-up country, and the band’s propulsive and influential indie-folk roots abound. (Bright Eyes’ gaze upon mainstream popularity would begin its laser focus on this cycle, earning the group its first Billboard 200 placement and late-night TV cred.)

Take This to Heart Records presents ‚A Monument to Commemorate Our Time‘, a full-album toast to Bright Eyes’ breakthrough. Each featured artist offers their spin of each towering moment and simmering comedown that aligns with their main output and elevates the source material. Where else can you find glitterbomb electropop reworks side-by-side with tributes worthy of the original’s anguish and wanderlust? Fans of the 2002 LP, come for a celebration. Newcomers: here’s a reason to dive in. 

A Monument to Commemorate Our Time‘ is benefitting the National Multiple Sclerosis Society, with all proceeds being donated in perpetuity.“

Rock and Roll.

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Klassiker des Tages: Slut – „Easy To Love“


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Spitzenband (Slut) mit einem Spitzensong („Easy To Love“) von einem Spitzenalbum („Nothing Will Go Wrong„). Auch heute noch – stolze 16 Lenze später. Da machste nix (außer vielleicht in Würde zu Ergrauen). Das bleibt fürs 🖤. (Übrigens ebenso wie das Gefühl, dass der Indierock-Fünfer aus Ingolstadt so langsam wieder mit neuen Songs ums Eck biegen könnte, immerhin liegt das 2013er Werk „Alienation“ auch bereits einige Monde zurück. Aber laut der letzten Lebenszeichen in den digitalen Medien arbeiten Christian Neuburger, Rainer Schaller, Gerd Rosenacker, Matthias Neuburger und René Arbeithuber ja möglichst fleißig daran…)

 

 

51Cd+Ok6G2L„Fill it and thrill it
Then turn back to kill it
Just gimme the laughter again
You were a mistress
Just making me distress
And I’m gonna miss this
I wait and I wait and I wait

You’re so easy to love
Smile away my pain
You’re so easy to love
Make it right again and again and again
Easy to love
Always been too late
You’re so easy to love
You can make me wait and wait and wait

We never had this
We never regret this
And I can never forget this again
But if I might lose you
I’ve been lucky to choose you
And I could never abuse you
Again and again and again

You’re so easy to love
Smile away my pain
You’re so easy to love
Make it right again and again and again
Easy to love
Always been too late
You’re so easy to love
You can make me wait and wait and wait

You’re so easy to love
So easy to love
You’re so easy to love
You’re so easy to love

You’re so easy to love
Smile away my pain
You’re so easy to love
Make it right again and again and again
Easy to love
Always been too late
You’re so easy to love
You can make me wait and wait and wait“

 

Rock and Roll.

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Zu kurz gekommen… – Teil 11


Dredg – El Cielo (2002)

dredg-el cielo-erschienen bei Interscope/Motor/Universal-

Salvador fuckin‘ Dalí. Allein durch die bloße Nennung des Namens des spanischen – Halt: explizit katalanischen! – Kunst-Universalgenies tun sich bei dem ein oder anderen kundigen Kunstkenner bereits Tore zu wilden Gedankenwelten auf… Solche, in denen stelzbeinige Elefanten endlos scheinende Wüstenlandschaften durchschreiten, während traumwandelnde Gesichtsschemen gen Horizont blicken, Ziffernblätter im Sande zerfließen und Farben sich mächtige Rauschduelle liefern. Zeitlebens ließen sich die Werke des Surrealisten mit dem dünnen Zwirbelbart kaum (be)greifen, und auch heute noch – 25 Jahre nach seinem Tod – wirken Dalís Malereien, Grafiken, Texte, Bildnisse und Bühnenbilder wie die kreativen Auswüchse eines rauschhaft agierenden Getriebenen, ja: Wahnsinnigen. Oder, wie der streitbare Künstler selbst einst zu Protokoll gab: „I don’t do drugs, I am drugs“. Wie also sollte man sich Salvador Dalí am besten, am einfachsten nähern? Durch Seite um Seite füllende Analysen, welche biografische Eckdaten dann ebenso einbeziehen wie Zeitgeschichte, Politik und – klar! – psychologische Bezüge (immerhin pflegten Dalí und der österreichische Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, eine auf Gegenseitigkeit beruhende Bewunderung)? Wäre freilich möglich. Oder man pickt sich eines von Dalís bekanntesten Bildern heraus und setzt dieses dann in musikalische Klangbilder um… Klingt verrückt? Ist es wohl auch. Doch genau das ist „El Cielo„, das 2002 nach vierjähriger Arbeit erschienene zweite Album des kalifornischen Rock-Quartetts Dredg.

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Dabei ging die 1993 in Los Gatos, einer 30.000-Einwohner-Stadt in der San Francisco Bay Area, gegründete Band um Gavin Hayes (Gesang, Slidegitarre), Mark Engles (Leadgitarre), Drew Roulette (Bass) und Dino Campanella (Schlagzeug, Piano) einerseits ein nicht unbeträchtliches Wagnis ein, immerhin kannte die Gruppe damals noch kaum jemand (also: kreative Herausforderung vs. kleine Fanbase). Andererseits schien dieser Schritt nur der allzu logischste nächste in der Bandbiografie zu sein, lag doch dem 1999 erschienenen Debütalbum „Leitmotif“ bereits eine von Bassist und Teilzeit-Maler verfasste Geschichte über die ebenso essenzielle wie spirituelle Sinnsuche eines todgeweihten Mannes zugrunde, auf welche die Band während der nicht eben anspruchslosen 54 Albumminuten immer wieder Bezug nimmt, während das offensichtliche musikalische Klangbild irgendwo zwischen Alternative und Progressive Rock, zwischen asiatischen Anklängen wie Angejazztem und mäandernden Jams seine berauschenden Spannungsbögen zieht. Ehrgeizig, freilich – nur damals eben kaum mehr als ein erstes Ausrufezeichen unterhalb des Radars der Musiköffentlichkeit. Diese Band also nahm sich ganze vier Jahre Zeit, um mit insgesamt drei Produzenten – und das dann gar in den Aufnahmestudios von George „Star Wars“ Lucas‘ Skywalker Ranch – an einem Album zu arbeiten, welchem Salvador Dalís 1994 veröffentlichtes Gemälde „Dream Caused by the Flight of a Bee around a Pomegranate One Second Before Awakening“ (deutsch: „Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen„) als oberste und innerste Inspirationsquelle zugrunde liegt? Jawollja! Aber „El Cielo“ ist so viel mehr als das…

300x300Natürlich sind es mit diesem Wissen zuerst die Bezüge auf Dalís kunstvolles, im US-amerikanischen Exil entstandenes Werk, die man an allen Ecken und Enden des knapp einstündigen zweiten Albums von Dredg heraushört. So wird das Konzeptalbum immer wieder von fünf nicht eben zufällig mit „Brushstroke“ (deutsch: „Pinselstrich“) betitelten Intermezzo-Zwischenteilen durchbrochen, von denen der erste, „Brushstroke: dcbtfoabaaposba“ (nichts anderes als die Abkürzung des Titels des Dalí-Gemäldes), das Streichen eines Pinsels über eine Leinwand intoniert, welches alsbald in ein bedrohlich mechanisches Summen und Zurren hinüber gleitet. Doch anstatt sich immer „nur“ einzelne Bildbestandteile des wohl herausragendsten Werkes aus Dalís paranoisch-kritischer Schaffensperiode herauszupicken und diese mit Musik zu beleben, dient Dredg das Gemälde nur als Nährboden, als Versinnbildlichung von etwas noch Größerem, etwas Gewichtigerem und – ja – Höherem. Während der Reiz der Farben vielleicht lediglich das wache Auge anzusprechen vermag, ist „El Cielo“, auf Spanisch wohl nicht zufällig ebenso „Firmament“ wie „Himmel“, das Ton gewordene Konzept der Band von Phänomenen wie der Schlafparalyse, dem Luzidtraum oder – aufgepasst, großes Wort! – der Veränderung (letzteres lag, grob umfasst, bereits „Leitmotif“ in Sinnhaftigkeit wie Optik zugrunde). Angefangen beim Booklet zum Album, welches handschriftliche Schlaf- und Traumerlebnisse zu den einzelnen Songs umfasst, ziehen sich diese Begriffe wie rote Fäden durch alle 16 Stücke von „El Cielo“ – schon, wenn Sänger Gavin Hayes im ersten „echten“ Song „Same Ol‘ Road“ (und der ist auch gleich einer der besten des Albums!) mit seiner so charakteristisch sanften wie gleichsam eindringlichen Stimme „Here we go / Down that same old road again / Sympathy unfolds the shell that holds / All the beauty within / Here we go /Down that same old road again / A memory or a regtet… a hope“ intoniert. Die Band spielt dazu mal groß zu manierlichen Alternativerock’ismen auf („Convalescent“), mal lässt sie die Zügel locker und die Gitarren weitläufig mäandern („Triangle“), holt zu (Free) Jazz-Anleihen (die einsame Posaune in „Whoa Is Me“!) Anlauf, nur um daraufhin vorwärts, rückwärts, seitwärts, himmelwärts zu preschen. Obwohl „El Cielo“ alles in allem wie ein (Konzept)Album aus einem bruchfreien Guss wirkt, gibt es darauf doch Highlights en masse: Man höre sich nur den überbordenden Refrain von „Of The Room“ („Night falls beneath candle light / White squalls beneath winter skies“) mit Kopfhörern über den Lauschmuscheln und geschlossenen Augen an! Man lausche einfach dem seltsam bedrohlich – samt Sprachfetzen – schleichenden Mantra „Scissor Lock“! Undsoweiter, undsofort… Auf „El Cielo“ geht – allein schon rein musikalisch – so Einiges, wenn die Band das Rock-Grundgerüst aus GitarreSchlagzeugGesangBass nimmt, um um dieses einen Turm aus Jazz-Versätzen, Pianopassagen (der sowieso schon rhythmisch beschlagene Schlagzeuger Campanella bedient die Tasteninstrumente sogar nicht selten parallel zum Trommelwerk!), Elektronikspielereien, asiatischen Klanganleihen oder Chorälen zu wuchten. Wenn dieser schlafwandelnde Elfenbeinturm im letzten Stück „The Canyon Behind Her“ (benannt nach dem Berg im Hintergrund von Dalís Gemälde, während sich „her“ auf die im Bild zu sehende Dame, Dalís Ehefrau Gala, bezieht) knapp unter der Sechs-Minuten-Marke in sich zusammenfällt und der Hörer für die letzte übrige Minuten allein mit der im Chor singenden Band gelassen wird, dann ist ist wohl längst passiert. Dann ist man längst zutiefst eingenommen von diesem nicht immer einfachen, aber jederzeit fordernden Werk aus Außerweltlichkeit, Faszination und Schemenhaftigkeit, das all jenen seine wahre abgründige  Schönheit offenbart, die sich komplett darin fallen lassen: „Sympathy unfolds the shell / That holds all the beauty within“  (aus „Same Ol‘ Road“).

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In der bis heute fünf Studioalben umfassenden Dredg’schen Diskografie ist „El Cielo“ weder das musikalisch am härtesten – man mag’s auch „progressiv“ nennen –  zu Werke gehende Album (da ist man mit dem Erstling „Leitmotif“ besser bedient) noch das poppigste (diese Tendenzen hin zum eingängigeren Alternative Rock trieb die Band 2005 mit dem ebenfalls – wenn auch auf komplett andere Weise – höchst gelungeneren Nachfolger „Catch Without Arms“ auf die Spitze). Und während das vierte Album „The Pariah, The Parrot, The Delusion„, 2009 in die Plattenläden gestellt, mit seinem vollzogenen Spagat zwischen grob umrissenem Konzept (á la „El Cielo“) und pathetisch empfundener Rock-Poppigkeit (á la „Catch Without Arms“) in Gänze noch einmal die Kurve hin zum positiven Gesamteindruck erwischte, sollte das so seltsam zwischen Alternative Rock und Schlagerrhythmus (!) hin und her taumelnde letzte Album „Chuckles And Mr. Squeezy“ (2011) leider (!) so rein gar nichts mehr mit jenen Dredg zu tun haben, die es einem noch vor Jahren so einfach machten, sie und ihre Kunst so aufrichtig und (annähernd) bedingungslos zu lieben. Was bleibt, ist mit „El Cielo“ das frühe wahrhaftige Meisterwerk des kalifornischen Quartetts, das seine Bahnen zwischen Freuds Psychoanalyse, Dalís surrenden Fantasiewelten, traumhaften bis albtraumhaften Mären, spiritueller Jenseitigkeit und entrückter Diesseitigkeit hin und her zieht (wer tiefer gehen mag, dem liefert die Fanseite „Traversing“ vielerlei Ansatzpunkte). Für mich selbst stellt das Album nach all den Jahren – und auch nach gefühlten 5.000 Durchläufen – eines jener Gesamtkunstwerke dar, das es wie nur wenige andere versteht, zu fesseln, zu bannen, zu emotionalisieren. Wer mag, darf’s in seiner Tiefe gern als den „kürzesten Weg zwischen spiritueller Erfahrung und musikalisch wahrhafter Größe“ nennen. Dabei wird deutlich, dass es Dredg zu keiner Sekunde um etwas wie den Versuch von Perfektion geht, sondern vielmehr um Wahrhaftigkeit. (Ein großes Wort, ich weiß… wer sich jedoch einmal, wie ich so Hals über Kopf in dieses Album gestürzt hat, der wird hoffentlich Ähnliches empfinden.) Und bei aller Zerrissenheit, welche zwischen den Zeilen immer und immer wieder hindurch scheint, spürt man während der 58 Minuten von „El Cielo“ vor allem eines: Liebe. Zur Musik. Zur Rastlosigkeit. Zu Neuem, Unbekanntem. Zum Leben.

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Hier kann man sich „El Cielo“ in Gänze anhören:

 

…und sich hier, da die offiziellen Musikvideos zu „Same Ol‘ Road“ und „Of The Room“ selbst heute digital rar gestreut sind, ein wunderbar geratenes Fanvideo zu nicht weniger tollen Albumabschluss „The Canyon Behind Her“ ansehen:

 

Und zur Feier des Faktes, dass Dredg nach Jahren abseits des Musik- und Veröffentlichungsgeschäfts mal mehr als ein zufällig neues Stück (ANEWFRIEND berichtete) durchschauen lassen und tatsächlich wieder europäische Konzertbühnen betreten, um ihre Alben „El Cielo“ und „Catch Without Arms“ in Gänze live zu präsentieren (die deutschen Konzertdaten gibt’s unten), hat ANEWFRIEND noch eine besonderes Empfehlung für euch: Auf archive.org findet ihr den komplette und ganze 28 Songs starke (beziehungsweise 105 Minuten lange) Show, welche Dredg am 11. Januar 2009 im Konzerthaus Dortmund zum Besten gaben. Das Konzert wurde damals vom „WDR Rockpalast“ mitgeschnitten und ist auf archive.org zum freien Download – und selbstredend in bester Soundboard-Qualität – verfügbar…

 

Dredg – „El Cielo“ live:
30.04 Frankfurt – St. Peter
01.05. Köln – Gloria (18 Uhr)
02.05. Berlin – Kesselhaus (19.30 Uhr)
03.05. Hamburg – Gruenspan (19.30 Uhr)

Dredg – „Catch Without Arms“ live:
29.04. München – Theaterfabrik
01.05. Köln – Gloria (21.30 Uhr)
02.05. Berlin – Kesselhaus (22.30 Uhr)
03.05. Hamburg – Gruenspan (22 Uhr)

(Tickets gibt’s via Eventim…)

 

Rock and Roll.

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