Das Album der Woche


Philip Selway – Strange Dance (2023)

-erschienen bei Bella Union/Rough Trade-

Eigentlich könnte diese Rezension – gut und gern sowie für Freunde weniger Worte – nach dem nächsten Satz enden. Philip Selway, der Schlagzeuger von Radiohead, macht auch auf seinem dritten regulären Soloalbum „Strange Dance“ wunderschöne Musik. Aber irgendwie wäre das auch etwas unfair, denn Selway, der bei seiner Hauptband stets stoisch im Halbschatten der auch auf Solo-Pfaden deutlich präsenteren Thom Yorke und Jonny Greenwood sein Werk verrichtet und der Musikwelt dort in den letzten – mindestens – zwei Jahrzehnten gezeigt hat, mit welch künstlerischem Anspruch Drumcomputer zu klingen vermögen, wenn man sie denn zu bedienen weiß, hat definitiv Aufmerksamkeit verdient. Ein großer Sänger wird er in diesem Leben freilich nicht mehr werden (eine Eigenschaft, die so einige Radiohead weniger zugetane Ohren wohl auch Thom Yorke zuschreiben würden), das muss er allerdings auch gar nicht, da die Stärken des 55-jährigen britischen Musikers woanders liegen. Selbstverständlich warten seine Kompositionen mit zahlreichen cleveren rhythmischen Ideen auf, diese wären jedoch ohne Selways Fähigkeiten als Arrangeur wirkungslos. Und was für ein Arrangeur er mittlerweile ist! Ob er sich da den ein oder anderen Winkelzug vom mehrfach Oscar-nominierten Soundtrack-Komponisten Jonny Greenwood abgeschaut hat? Weißmannatürlichnicht.

So beginnt etwa „Picking Up Pieces“ als unscheinbare Ballade, ehe sich die Musik zunehmend verdichtet. Am Ende erstrahlt der Song im Geigenglanz, entpuppt sich gar als ambitionierter, stark in Klang gesetzter Ohrwurm. Und apropos Soundtrack: Womöglich hat es, nach den ersten, 2010 beziehungsweise 2014 erschienenen Alleingang-Platten „Familial“ und „Weatherhouse„, seine Soundtrack-Arbeit “Let Go” (von 2017) gebraucht, damit nun Glockenspiele in “What Keeps You Awake At Night” so klingen, wie es beispielsweise Get Well Soon schon länger nicht mehr hinbekommen. Auch hier lässt Selway sich viel Zeit, bis alle Motive eingeführt sind. Grandios orchestrierte Streicher malen auf große Leinwände, die der Radiohead-Schlagwerker auf Abwegen mit seiner Stimme gleichermaßen pastoral wie unaufdringlich dirigiert und die erwähnten Motive nach Lust und Laune kombiniert, ohne dabei freilich die Dramaturgie des Songs aus den Augen zu verlieren. Der Lohn: ein herrliches Finale, das die Lust auf mehr weckt. Und da dem Künstler das Wohl des Konsumenten scheinbar am Herzen liegt, macht er auf diesem hohen Niveau weiter.

Krittelei? Die dürfte darin bestehen, dass er dabei bisweilen knapp am zuckrigen Kitsch entlang schrammt – „The Other Side“ wirkt beispielsweise aufgrund seiner süßlichen Melodieführung dezent überzuckert. Wer kein Problem mit allumfassendem Schönklang hat, wird allerdings auch hier an einem glücksseligen Lächeln nicht vorbeikommen, welches das Gesicht im weiteren Verlauf nur selten verlässt. Songs wie „Make It Go Away“, bei dem erstmals eine Gitarre im Vordergrund zu hören ist, die dann aber auch schnell wieder zwischen Streichern und Bläsern untergeht, sind einfach zu liebenswürdig, um nicht mit Anerkennung quittiert zu werden. Selway mag kein Genie sein, er weiß stattdessen aber sehr genau, was er kann und was er will.

Und wenn das dann in Spinnereien wie dem Titelsong resultiert, sei es ihm auch gegönnt. Mit einer gewissen Tapsigkeit wagt er sich hier in dunklere Gefilde. Der Honigtopf ist sein Ziel, die Taschenlampe sein einziges Werkzeug. Zielstrebig funzelt er sich voran, bis sich alles in Wohlgefallen auflöst. Absoluter Höhepunkt des Albums ist indessen das famos orchestrierte „The Heart Of It All“. Nach einem mehrminütigen Spannungsaufbau explodiert der Song im letzten Refrain in schillernden Farben. Bläser, Streicher und Synthesizer winden sich in schwindelerregende Höhen, während im Hintergrund langsam die Sonne aufgeht. Ja, er kann schon was, dieser Philip Selway.

Natürlich mag der hauptberufliche Schlagzeuger (der hier sowohl den Platz an seinem Stamminstrument als auch die Percussion Valentina Magaletti überließ, während die Streicher-Arrangements von Laura Moody kommen), weder so künstlerisch fordernd noch so umtriebig unterwegs sein wie Thom Yorke (man höre bei Interesse gern mal beim Neo-Progrock/Jazz-Trio The Smile oder der famosen Allstar-Band Atoms For Peace nach!) und auch nicht den dezidierten orchestralen Output eines Jonny Greenwood in der Vita vorweisen können. Dennoch muss sich ja auch Selway abseits von Radiohead, die mit läppischen vier Studiowerken in den vergangenen zwanzig Jahren, von denen sich vor allem das letzte, „A Moon Shaped Pool“ von 2016, beinahe schon wie ein leiser Schlussakkord anfühlte, nicht unbedingt als Vielveröffentlicher gelten dürften, ja irgendwie beschäftigen. Und schreibt auch auf seinem neusten Solowerk, das sich ingesamt als Sammlung großenteils melancholischer Softpopsongs, die wie Eis auf der Zunge zergehen, präsentiert, recht ausgeklügelt und mit der Etikette eines britischen Gentlemans, ohne sich der verkorksten Eton-College-Elite anzubiedern, die gerne so clever wäre, “Strange Dance” zu mögen – und hier doch nichts zu hören hat. 

Rock and Roll.

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