Das „Kliemannsland“ lodert – Jan Böhmermann demontiert Internetliebling Fynn Kliemann


„Das ist doch scheiße. Kann man nicht einmal an was Gutes glauben, ohne am Ende enttäuscht zu werden?“ Diesen Kommentar schreibt eine Nutzerin (oder ein Nutzer) unter ein YouTube-Video, eine Vielzahl weiterer Nutzer*innen stimmt dieser Aussage zu. Anlass dafür ist ein knapp dreißigminütiger Beitrag von Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ (welcher unten zu finden ist), in dem das Image von Fynn Kliemann, seit Jahren einer der freshsten, wildesten bundesdeutschen Internetlieblinge, mächtig demontiert wird.

Doch zunächst zur Erklärung für alle Analogen, Zuspätgeborenen und Unkundigen: Kliemann, 34 Jahre alt, ist – so neudeutsch, so nichtssagend – Influencer. Im Jahr 2015 begann er, lustig-anarchische YouTube-Heimwerker-Videos zu posten, kurz darauf kaufte er einen weitläufigen Bauernhof im ländlichen Niedersachsen, nannte ihn „Kliemannsland“ und baute ihn mit Helfern zu einem Veranstaltungsort aus, einem „Community-Hotspot für junge Leute“, wie „Funk“, das Jugendangebot von ARD und ZDF, welches bis 2020 daran beteiligt war, den selbsterschaffenen Ort bezeichnet. Dort treffen sich umtriebige Kreativlinge ebenso wie (Lebens)Künstler und Bastler, auch Firmen konnten Ausflüge dorthin buchen, auf denen der CEO dann einen Tag lang mit den Kollegen Fenster abschleift oder mit dem Quad durchs Gelände pflügt – Teambuiling, positive vibrations, trallala. Außerdem hat Kliemann – gemeinsam mit Böhmermanns Podcast-Partner Olli Schulz – vor nicht allzu langer Zeit Gunter Gabriels altes Hausboot gekauft und umgebaut. Dass dies einmal mehr recht medienwirksam geschah und „Netflix“ selbigem Unterfangen gar eine eigene Doku gönnte? Im Grunde nur logisch. Zudem macht Kliemann – schieb’s auf die Langeweile, aber wer will sich im Leben nicht vollumfänglich ausprobieren – chartsprämierte Musik, vermietet unter dem Kürzel „LDGG“ (Lass Dir Gut Gehen) Ferienunterkünfte und ist als Unternehmer an mehreren Firmen beteiligt. Unter anderem an „Global Tactics„, das auf seiner Website mit „fairer und nachhaltiger Bekleidung“ wirbt – ein hehres Versprechen, dem Jan Böhmermann und sein Team nun entsprechend auf den Zahn fühlen.

Vor allem aber redet Fynn Kliemann ebenso oft wie viel darüber, wie wichtig ihm soziale Projekte seien, er gibt sich als digital bewanderter, netzaffiner Robin Hood, als jemand, der Geld, diesen miesen, die Öfen des Kapitalismus stetig befeuernden Mammon, hauptsächlich nur deshalb annimmt, um irgendetwas damit zu machen, was Leuten hilft, die eben nicht so viel von jenem Geld haben. Kliemann wirkt irgendwie anarchisch und verpeilt, hat verstrubbelte Haare und trägt Klamotten, die zwar halbwegs fashionabel erscheinen, aber dennoch mit jeder bewussten Faser „Second Hand“ und „Humana“ brüllen, er macht – so zumindest der Anschein – wenig zum reinen Selbstzweck und alles für die gute Sache. So sagt Kliemann etwa 2021 in einem Video, er habe privat nie Geld, „ich hab‘ nie irgendwas, bin immer pleite eigentlich“. Das machte ihn – bislang – so sympathisch und auch so erfolgreich. Er scheint – oder eben schien – das Gegenmodell des egoistischen, gefühllosen, gescheitelten Kapitalisten zu sein.

fimbim„-Kliemanns Fallhöhe liegt also ungefähr auf Stratosphären-Ebene – und deshalb wiegen Jan Böhmermanns Enthüllungen wohl nun auch so schwer. Die anhand einer Vielzahl von internen E-Mail- und Chatverkehren, Auftragsbestätigungen, Lieferscheinen, Videos sowie Fotos belegten, recht stichhaltigen Recherchen des „ZDF Magazin Royale“ (bei dem der kreative Internetstar vor ein paar Jahren noch selbst zu Gast war) zeigen, dass „Global Tactics“, jenes bereits erwähnte Textilunternehmen, an dem Kliemann beteiligt ist, vorgegeben hatte, zu Beginn der Corona-Pandemie Stoffmasken in Portugal fertigen zu lassen – allerdings seien diese in Bangladesch und Vietnam produziert worden. Zudem sollen 100.000 fehlerhafte Masken einer Testproduktion nicht entsorgt, sondern an Geflüchtetencamps in Bosnien und Griechenland gespendet worden sein. Und glaubt man den durchaus detaillierten Recherchen von Böhmermanns Team, so wusste Kliemann darüber bestens Bescheid. Eine Vielzahl von Böhmermann zugespielten und in der Sendung gezeigten Textnachrichten enthalten außerdem mutmaßliche Belege, dass der YouTuber und sein Geschäftspartner Tom Illbruck die Herkunft der Masken, von denen laut Recherchen allein 2,3 Millionen aus Bangladesch stammten, möglicherweise bewusst verschleierten: „Bekommen wir die Kisten neutral ohne Bangladesch als Ursprung hin?“, so eine der zitierten Nachrichten. Nach Recherchen des Magazins sorgten Kliemann und Illbruck außerdem dafür, dass 100.000 Masken an Flüchtlingslager in Bosnien und Griechenland gespendet wurden, die fehlerhaft waren und so weder über Kliemanns Label „ODERSO“ noch über den Kooperationspartner „About You“ vertrieben werden durften. Kliemann selbst äußerte sich zwar bereits vor einigen Tagen auf seinem Instagram-Kanal proaktiv zu Fragen, mit denen ihn die „ZDF Magazin Royale“-Redaktion vor der Ausstrahlung des Beitrags konfrontiert hatte, aber – zumindest damals – noch nicht zu den nun verdammt konkreten Vorwürfen.

Entsprechend groß ist nun die Enttäuschung unter seinen Fans: Einer von den vermeintlich Guten ist offenbar doch einer von den Nicht-so-Guten, den geldgeilen, auf alles Schöne und Gute scheißenden Arschlöchern. #DollarZeichenImAuge Denn besonders in der grell blinkenden Wohlfühl-Social-Media-Welt der Influencer*innen darf niemand mehr einfach Kapitalist sein mit dem Ziel, selbst ein bisschen reich(er) zu werden. Nein, eigentlich soll er ja den Klimawandel stoppen, erst alle Kriege und im Anschluss noch – pünktlich nach der per Hashtag anberaumten Mittagspause – den Welthunger beenden. Er soll die Welt retten oder zumindest „ein kleines Stückchen besser machen“, wie es ebenso gern wie häufig heißt. Dass man nebenbei noch Geld – gar: eine Menge davon – verdient? Passt nicht ins Bild, verschweigt man also lieber. Auch als Start-up kann man nicht mehr nur eine gute, clevere Idee für ein Konsumprodukt haben, für das die Leute gerne ihr Geld ausgeben. Immer muss man irgendjemandem helfen, irgendeine Art von Nachhaltigkeit schaffen, irgendetwas als Plus für nagende Industrienationbewohner-Gewissen bieten. #FirstWorldProblems

Der vernünftige und lobenswerte Anlass verschleiert, dass es jedem Wirtschaftsunternehmen – schon im Kleinen, noch mehr natürlich im Großen – schlussendlich darum geht, schwarze Zahlen zu schreiben, Wachstum zu schaffen und – ja eben – Geld zu verdienen. Erfolgreiche Influencer*innen machen schließlich nicht bloß bezahlte Werbung, sie empfehlen Dinge, an die sie selbst ganz fest, ganz innständig zu glauben scheinen. Da passt es nicht, wenn das vormals tolle Ding aus dem ebenso oberflächlich wie strengen Gut-böse-Dualismus ausbricht, wie jüngst etwa beim Gewürzhersteller „Ankerkraut“, dessen freundliches, kundennahes Gründerpaar (gut) das Unternehmen an den Konzern (böse) Nestlé (superböse) verkauft hat. Die Folge: ein Shitstorm sondergleichen, infolgedessen wiederum zahlreiche Influencer*innen die Zusammenarbeit aufkündigten. Eher unverhoffter Image-Schiffbruch denn gut dotiertes, bestens entlohntes Ankerwerfen und er Schweiz…

Welche absurden Formen das Helfen als Marketingmasche inzwischen angenommen hat, zeigt nun einmal mehr der Fall Kliemann. Die Maskenproduktion, an der er offenbar beteiligt war, sollte damals nicht nur dringend benötigte Produkte zu einem fairen Preis herstellen – nope, in so einer Erzählung steckt offenbar noch zu viel Kapitalismus drin. Es sollten dabei mindestens noch europäische Arbeitsplätze und Geflüchtete gerettet werden. Dass die fehlerhaften, von Billiglöhnern unterhalb des Mindestlohns in der Dritten Welt hergestellten Masken, also Müll, am Ende mit reichlich gönnerisch-pompöser Geste an Geflüchtete gespendet wurden, kehrt das überaus ehrbare Prinzip des Helfens auf perfide Art ins verachtenswerte Gegenteil um.

Für seine Arbeit erhielt Kliemann bereits zahlreiche Preise, wurde etwa 2020 von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis (DNP) ausgezeichnet – diese Ehrung wurde ihm nun wieder aberkannt. Zudem nahm auch der Online-Bekleidungshändler „About You“ Kliemanns Masken aus dem Sortiment, der FC St. Pauli, bislang ein weiterer Kooperationspartner, stoppte die Zusammenarbeit. Der Wunsch, an das Gute zu glauben (und dabei wohlmöglich auch selbst etwas vom hellen Image-Heilgenschein anzubekommen), war vielleicht größer als die Notwendigkeit kritischer Nachfragen. Und Fynn Kliemann? Der übernahm zwar in einem Statement „eine Verantwortung“, weist ansonsten die Vorwürfe – zumindest teilweise – zurück. Das „Kliemannsland“, dieses Wolkenkuckucksheim gewordene feuchte Traum für urbane Fair-Trade-Ökotouristen, mag zwar (noch) nicht abgebrannt sein, lodert nach Jan Böhmermanns Recherche-Bombe aber doch gewaltig. Gutmenschentum und Kohlescheffeln gehen selten brav Hand in Hand – da braucht man für Nachfragen nicht erst bei Bezos oder Musk klingeln. Scheiße ist’s trotzdem.

lmaafk.de

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