Cat Power – Covers (2022)
-erschienen bei Domino/GoodToGo-
Von all den Sachen, die man als musikschaffende(r) Künstler*in heutzutage in die Welt setzen kann, gibt es wahrscheinlich nichts Unwesentlicheres als ein Coveralbum. Das Format ermöglicht dem Act theoretisch auf Autopilot ein paar Lieblingssongs herunterzuschrammeln – und zack, ist im Handumdrehen schon wieder ein neues Stück Content fertig. Als Beweismaterial für diese gar nicht mal so steile These sollte eine schnell ergoogelte Internetsuche nach einem beliebigem Song mit dem Zusatz „Cover“ genügen, schließlich besteht ein signifikanter Teil des weltweiten Netzes aus mehr oder minder leidlichen, mehr oder weniger uninspirierten Darbietungen von geliebten Songs. Andererseits gibt es nicht wenige Bands und Künstler*innen, für die das Konzept „Coveralbum“ eine ganz eigene Kunstform darstellt. Die mit der radikalen Spielfreude eines Kleinkinds Songs auseinanderpflücken und in neuen, spannenden Formen zusammensetzen. Oder mit schlichten, dem Original verpflichteten Interpretationen auf magische Art und Weise die wahren Qualitäten der Ursprungsfassung offenbaren.

Vor allem Charlyn Marie „Chan“ Marshall ist in jenem „Cover-Album-Business“ ein wahrer Profi. Rund zwanzig Jahre ist es her, dass die US-Musikerin, welche den meisten wohl eher als Cat Power bekannt sein dürfte, erstmals demonstrierte, mit welcher Intensität sie sich Songs aus fremden Federn zu eigen machen kann. Auf „The Covers Record“ prägte anno 2000 noch der karge, ominöse Indie-Blues ihrer Frühphase die Neuinterpretationen, denen meist wenig mehr als eine zurückhaltende Gitarre oder ein leises Klavier für durchschlagende Effekte ausreichte. Ob sie die Verzweiflung hinter der rebellischen Attitüde im abgenudelten Stones-Gassenhauer „(I Can’t Get No) Satisfaction“ ans Dämmerlicht holte oder The Velvet Undergrounds „I Found A Reason“ so weit reduzierte, dass es durch Mark und Bein ging – Coverversionen haben bei Cat Power immer etwas mit Offenlegen zu tun, kehren das mithin unbewusste Innere der Songs nach außen. Nachdem 2008 mit „The Greatest“ ein zweiter Teil der Coveralben-Reihe erschien (und die Stücke darauf mit ein wenig mehr Grandezza scheinen ließ), schreibt Marshall nun mit dem ähnlich schlicht betitelten „Covers“ diese Bewegung zur Trilogie fort – und macht einmal mehr doch manches anders. Schließlich hat auch die Musikerin, die kürzlich ihren 50. Geburtstag feierte, in der Zwischenzeit so einige persönliche wie musikalische Wandlungen durchlaufen, hat einem selbstzerstörerischen Sex’n’Drugs’n’Rock-and-Roll-Lebensstil abgeschworen, ist Mutter geworden, hat für sich noch stärker die Wurzeln und Traditionen der amerikanischen Musikgeschichte erkundet. So prägen vor allem Band-Arrangements die ersten Stücke ihres nunmehr elfen Studioalbums, dessen Songauswahl zwar von der erwarteten Geschmackssicherheit gekennzeichnet ist, aber dennoch die eine oder andere Überraschung bereithält.
So wagt etwa „Unhate“ das Selbst-Cover eines der düstersten Songs auf „The Greatest“ – dort noch „Hate“ genannt und lediglich mit einer Stromgitarre live aufgenommen – und beantwortet dessen seinerzeit auf Nirvana verweisende Klaustrophobie mit weiten Keyboard-Akkorden – ein versöhnliches Update eines aufwühlenden Songs. Und auch paradigmatisch fürs Album? Zunächst scheint es so, denn auch die Version von Frank Oceans „Bad Religion“ kleidet die dramatische, beinahe sakrale Anspannung und vertrackte Phrasierung des Originals in ein deutlich luftigeres, lässigeres Gewand. Lana Del Rey, längst auf ihre Art eine der besten Schülerinnen (und Freundinnen) Marshalls, bekommt eine Fassung von „White Mustang“ spendiert, die kalifornische Luftschlösser gegen staubige Seitenstraßen und die Sümpfe des Deltas austauscht (und – so viel Ehrlichkeit sollte sein – leider auch einen guten Teil der Atmosphäre des Originals einbüßt). Bis hierhin fließt „Covers“ angenehm dahin, scheint aber den emotionalen Verwüstungen seiner Ausgangsorte eine abgeklärtere Note entgegenzusetzen, ihnen ein Stück weit noch ausweichen zu wollen – kaum verwunderlich also, dass mancherwebs Vergleiche zu Künstlerinnen wie Norah Jones angestellt und etwas despektierliche Formulierungen wie „Café-Latte-mit-Hafermilch-Musik“ (sueddeutsche.de) getroffen werden. Umso besser, dass „A Pair Of Brown Eyes“ diesem vorschnellen Eindruck dann ordentlich zusetzt.
Doch keine Angst – Cat Power setzt hier keinen in Doom Metal gefärbten Kontrast! Nein, im Auge des Sturms und im Zentrum der Kneipe ist es ganz, ganz still… Aus Shane „The Pogues“ McGowans Sehnsucht macht die „Queen of Sadcore“ (VISIONS) ein Duett mit der eigenen hochgepitchten Stimme, während nostalgische Synthies das Mellotron evozieren – meisterlich gesellt sich ihre Fassung neben das Original, weit entfernt davon, lediglich mal kurz kopieren zu wollen. Apropos Kneipe: Auch „Here Comes A Regular“, Paul Westerbergs bewegende, von dezenter Teenage Angst geprägte The Replacements-Erzählung über das fehlende Zuhause und den quälenden Durst, wird hier radikal transformiert. Marshall nimmt ihr die Rauheit und akzentuiert die zerbrechliche Seite der Selbstaufgabe in einer traurig-schönen Klavierballade mit zarten Akustiktupfern und dem erneut gedoppelten Gesang. Dazwischen reiht sich ein gelungener Moment an den anderen. Ob Bob Segers „Against The Wind“ als ähnlich melancholischer Dream-Pop, das wiederholt mit unheilschwangerer Grandezza beschworene Nick Cave-Stück „I Had A Dream, Joe“, Jackson Brownes bereits oft anderenorts gecoverter geschmeidiger Westküsten-Rock-Evergreen „These Days“ als intimes Folk-Stück oder „Endless Sea“ als monoton-stampfender Blues, in dem Marshall mit einsilbiger Leadgitarre beweist, dass sie auch ohne oberkörperfreie Lederhaut-Inszenierung genauso cool wie Iggy Pop ist. Selbst für den Kinderchor im Original des – angenehm druckvollen – „Pa Pa Power“ (Dead Man’s Bones) hat sich Cat Power eine feine Alternative überlegt: eine silbrig schimmernde Gitarre. Bei aller Vielseitigkeit macht „Covers“, welche dieses Mal ein wenig überraschend den erwarteten Bob Dylan außen vor lässt, mit der Zeit einen bemerkenswert geschlossenen Eindruck, führt behutsam über einen leichtfüßigen Einstieg in die Abgründe seines Ausgangsmaterials.

Weniger Abgrund, aber so einige Symbolismen bietet auch das Albumcover. So erklärt Chan Marshall die Einzelheiten wie folgt: Der leere Ausschnitt symbolisiert, dass sowohl die Träger des Hemdes als auch die Schöpfer der Songs irgendwann nicht mehr da sind, ihre Musik jedoch – bestenfalls – bleibt. Der Pass in der Hemdtasche repräsentiert die Erde, auf der wir Menschen zu Gast sind. Der Bleistift als auch das blaue Workingman-Hemd selbst stehen für das Arbeiten, schließlich sind Musiker*innen schlussendlich nichts weiter als Arbeiter am Song. Ein wahrer Symbolkatalog für ein Coveralbum…
Im Grunde ist der simple Albumtitel dennoch ebenso feines Understatement wie missverständlich: Coverversionen von Cat Power decken auf, sind eher „Un-Covers“, respektvoll ihrem Ursprung verpflichtet und doch freimütig im jeweiligen Umgang. In Marshalls tief-charismatischer Stimme finden sie eine neue Artikulation, die auch dem von Billie Holiday bekannt gemachten „I’ll Be Seeing You“ nicht nur ein ordentliches, zeitgemäßes Plus an Melancholie, sondern auch so viel Wärme mitgibt. Die Zwiegespräche zwischen dem Gestern und Heute enden nie – überrascht es da irgendjemanden, dass „Covers“ abschließend eine Brücke über den Abschied baut? Ein Hoch auf Cat Power, seit eh und je eine dieser ganz besonderen „Queens of Gänsehaut“.
Rock and Roll.
[…] mehr… […]