The Killers – Pressure Machine (2021)
-erschienen bei Island/Universal-
Die Geschichte des knappe zwei Jahrzehnte jungen The Killers-Welthits „Mr. Brightside“ beweist unfreiwillig gleich zwei Dinge: die Überlebenskunst guter Musik und die absolute Vergänglichkeit der Zeit. Jene wurde unlängst auch durch die vermaledeite Corona-Pandemie deutlich: Stillstand auf Bühnen, in den Clubs, Theatern. Und Schockstarre in den Köpfen, die bisher vernehmlich das immer schneller und hektischer werdende Leben im Überholspurrausch kannten. Dennoch oder gerade deswegen brachte Corona unverhoffte kreative Impulse. Abseits des Tournee-Trotts entstanden Pandemie-Alben, trauten sich Künstler*innen Wege einzuschlagen, für die vorher wenig Raum war. Und Brandon Flowers? Anstatt mit seiner Band nach der letztjährigen Veröffentlichung von Album Nummer sechs, „Imploding The Mirage„, auf ausgedehnte Tournee zu gehen, holten den The Killers-Bandkopf die Jahre in Nephi ein, einem 5.000-Seelen-Örtchen im Nirgendwo von Utah, Vereinigte Staaten, wo er als zehn- bis 17-Jähriger lebte, bevor es ihn in seine Geburtsstadt Las Vegas zurück verschlug – das eine als Antithese zu der schrillen, hell erleuchtenden Glitzerscheinwelt des anderen. Erinnerungen überkamen ihn in der Stille, in den Momenten der Ruhe, ließen ihn nicht mehr los.
„Es war für mich das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mit Stille konfrontiert wurde. Aus dieser Stille heraus begann diese Platte zu erblühen, voll von Songs, die sonst zu leise gewesen wären und vom Lärm typischer Killers-Platten übertönt worden wären.“ (Brandon Flowers)

Erinnerungen und Beobachtungen von Menschen aus einer prägenden Zeit, die er erst jetzt, Jahre später, halbwegs einordnen konnte. Klar, als weltumreisender Rockstar muss das einstige Leben in solch einem verlassenen Kleinstadtkaff natürlich absolut surreal erscheinen, doch Überheblichkeit und Lästerei sind nicht Flowers‘ Antrieb für „Pressure Machine„, dem siebten Album seiner Band und – wenn man so will – dem „Nebraska“ oder „The Suburbs“ der Killers. Vielmehr ist dieses sehr persönliche Werk eine respektvolle und dennoch kritische Auseinandersetzung mit dem American Dream und dem Antrieb der Menschen auf dem weiten Land, ihrer schier unendliche Motivation, nach jenem Ideal zu leben – koste es, was es wolle und leider nicht ohne die bekannten Nebenwirkungen: Kummer, Enttäuschung und Schmerz, blinde Religiösität, gestrige Homophobie und platter Rassismus. Gut, dass Flowers seine nostalgische Rückschau trotz einer ordentlichen Menge an Düsternis stets auch in Hoffnung und flüchtige Momente des Glücks tränkt.
Schnell wird beim Hören der elf Stücke zudem klar, dass man es hier fraglos mit dem bisher ungewöhnlichsten Werk der vornehmlich schillernden Bandgeschichte, die 2001 bezeichnenderweise in Las Vegas begann, zu tun hat. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, das selbstbewusst mit den Einflüssen von Bruce Springsteens reduziertem „Nebraska“ kokettiert, welches Flowers neben John Steinbecks tragischer Kurzgeschichtensammlung „Das Tal des Himmels“ als wichtigen Einfluss für die neuen Stücke erwähnt. Daher ist es nur konsequent, dass die US-Band diesmal keine Vorab-Single voraus schickte, sondern eine Reihe cineastischer Trailer ins weltweite Netz stellte. Darin kommen Protagonisten des öden Mormonen-Städtchens zu Wort, dem das Album gewidmet ist, erzählen mal von Pferden, die erschossen werden müssen, weil sie sich bei der Stampede ein Bein gebrochen haben, mal von den Opioden, die so viele nehmen. Diese Spoken-Word-Passagen bilden auch die verbindenden Zwischenteile der einzelnen Stücke. Auch deshalb bildet die Song gewordene melancholische Western-Novelle einen starken Kontrast zu den leider oft zwischen egal und platitüd daher rockenden, herzlos-euphorischen Album-Vorgängern.
Überhaupt atmet „Pressure Machine“ musikalisches Wild-West-Feeling, kommt oft mit Pedal-Steel-Gitarre, Fiddle, Mundharmonika und typischem Country-Western-Twang à la Hank Williams daher. Gesanglich präsentiert sich Brandon Flowers einmal mehr in Bestform. Gleich zum Auftakt setzt „West Hills“ ein ebenso berührendes wie majestätisches Ausrufezeichen. Der flirrende Sound steigt, getragen von Streichern, langsam an und baut sich zu epischer Größe auf, ohne dabei zu überdrehen. Nicht von ungefähr kommen Flowers, Ronnie Vannucci Jr. und Dave Keuning, der seine Leadgitarre auf dem vorhergehenden Album noch ruhen ließ und nun wieder zur Band stößt, mit diesem Stück dem Songwriting eines David Bowie näher, als sie es vermutlich je planten, während sie die tragische Geschichte eines drogensüchtigen Mannes erzählen, der dem Hillbilly-Heroin verfallen ist und nun in der Gefängniszelle sitzt. Was man eben so tut, um der inneren Einsamkeit Herr zu werden…
Zudem scheinen auch Scheuklappen und Geduld wichtige Überlebenseigenschaften zu sein, wie man in „Cody“, einem tollen Song über einen Jungen, der gerne mit Feuer spielte und wegen eines schlimmen Brandes im Ort einst geächtet wurde, erfährt. Jener Cody steht zudem stellvertretend für das Weitermachen, aber auch für die Sehnsucht nach einem anderen Leben: „So who’s gonna carry us away? / Eagles with glory-painted wings? / We keep on waiting for the miracle to come.“ Flowers beschreibt den Glauben an Gott und Gerechtigkeit, das Leben mit dem sozialen Druck einer zutiefst konservativen Gesellschaft, die bereits in den Neunzigern in (pseudo-)moralischen Werten ihres Glaubens versunken schien. „And Cody says / He didn’t raise the dead / Says ‚religion’s just a trick to keep hard-working folks in line‘.“ „Terrible Thing“ behandelt Homophobie in der religiösen Kleinstadt, erzählt aus der Perspektive eines schwulen Teenagers. „Runaway Horses“ – noch so ein feines Highlight – bildet im Duett mit Indie-Darling Phoebe Bridgers die Chronik einer Romanze nach. Einzig „Desperate Things“ ist eine rein fiktive Geschichte, eine Mörder-Ballade, die sich anhört wie ein vergessener, großartiger Song aus der Boss’schen „Nebraska“-Zeit. Er handelt von einem Polizisten, der sich in ein Opfer häuslicher Gewalt verliebt und schließlich den Täter umbringt. Erstaunlich, aber tatsächlich wahr – vermutlich machte es bislang selten solche Freude, Flowers‘ Texten zu lauschen, auch im Titelsong wird er deutlich: „But the Kingdom of God, it’s a pressure machine / Every step, gotta keep it clean.“

Bemerkenswert und zugleich logisch erscheint der Umstand, dass zunächst sämtliche Texte dieses Albums standen, bevor die Band überhaupt einen Takt der Musik komponierte. Daher trägt „Pressure Machine“ den fluffigen, Eighties-infizierten The Killers-Sound der jüngeren Vergangenheit nur in Nuancen in sich. Mit Fokus auf akustische Gitarre, Streicher-Arrangements und dezente Country- und Blues-Elemente verortet sich das Werk musikalisch ein ums andere Mal bewusst nah bei Springsteens süffisant-erdigem Heartland-Rock, an der ungeschönten Umweltschau eines Johnny Cash und ebenso oft bei klassischen Singer/Songwriter-Platten – manch eine(r) wird sich gar an die letztjährige Bright Eyes’sche Album-Großtat „Down in the Weeds, Where the World Once Was“ erinnert fühlen. Etwas flotter lassen es eigentlich nur das gelungene „Sleepwalker“, „In The Car Outside“ mit seinen Synthie-Wänden sowie dem stoischen und doch beinah hymnischen Gitarrenfinale sowie das schwelgerische, von zarten Synthies und vom Akkordeon geküsste „Quiet Town“ angehen. „When that jukebox in the corner stops playing country songs that sound like mine / I spent my best years laying rubber on a factory line“, zwinkert Flowers selbstironisch in „In Another Life“, um sich dennoch der Frage zu widmen, die sich wohl nicht wenige irgendwann einmal stellen: „I wonder what I would’ve been in another life…“
Gegen Ende singt Flowers „People do desperate things“. Man glaubt es, man weiß es. Denn die bittersüße Melancholie des tristen Alltags im von aller Aufregung verlassenen Nirgendwo ist an allen Ecken und Enden greifbar. „Nephi in the nineties could’ve been Nephi in the fifties“, gibt der mittlerweile 40-Jährige zum Release zu Protokoll und macht deutlich, wie sehr manche Landstriche und deren Einwohner vom Fortschritt und Wohlstand übersehen und längst vergessen wurden. Dennoch weiß er auch um die Vorzüge: „Part of me is still that stainless kid / Lucky in this quiet town: salt of the land, hard-working people / If you’re in trouble, they’ll lend you a hand.“
„In der Pandemie fühlte es sich plötzlich für alle so an, als säße man mitten im Nirgendwo. Ich spürte plötzlich, dass es aus der Zeit dort viele negative Gefühle gab, die ich wohl verdrängt hatte, weil ein Großteil meiner Erinnerungen an Nephi sehr schön ist. Aber die, die mit Angst oder Traurigkeit verbunden waren, hallten sehr stark in mir nach. Ich verstehe sie nun besser als zu Anfangszeiten der Band und hoffe, ich konnte mit meinen Liedern den Geschichten und den Menschen dieser kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gerecht werden.“ (Brandon Flowers)
In Gänze gerät „Pressure Machine“ zur ebenso unverhofften wie beeindruckend-ungewohnten, vom Corona-Stillstand beeinflussten Momentaufnahme im Killers-Albumkanon, der schon bald wieder in Richtung Stadionrock abbiegen könnte. Ein Album wie das Musik gewordene Äquivalent zum kaum weniger zu empfehlenden Oscar-Gewinner „Nomadland„. Die Geschichte des Welthits „Mr. Brightside“ mag die Killers bis in die großen Arenen und in die Herzen irischer Pubs geführt haben, ist jedoch ebenso unmittelbar mit diesem kleinen Ort im US-amerikanischen Niemandsland verbunden.
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