Orla Gartland – Woman On The Internet (2021)
-erschienen bei New Friends Music/Membran-
Früh übt sich, auch wenn manches Ding gut Weile haben will: Bereits im frühen Teenageralter veröffentlichte Orla Gartland erste Eigenkompositionen auf YouTube, weil sie für Open-Mic-Auftritte noch zu jung war. Später zog die gebürtige Irin nach London, wurde schnell Teil einer Community um das kaum weniger mit Talent gesegnete YouTube-meets-Indie-Pop-Sternchen dodie, zu deren Tour-Band sie schon bald Gitarre spielend gehörte. Zwischendurch schrieb Gartland weiterhin eigene Songs und veröffentlichte diverse EPs, die bis heute über 55 Millionen Streams anhäufen konnten. Warum also nicht mal ein vollwertiges LP-Projekt in Angriff nehmen? Gedacht, getan! Für das Debütalbum „Woman On The Internet“ setzte sich die 26-jährige Newcomerin intensiv mit sämtlichen Aspekten des Songwriting- und Aufnahmeprozesses auseinander. Um es bereits vorweg zu nehmen: Diese Hingabe hat sich gelohnt.

Aber wer ist denn nun diese „Frau im Internet“? Gartland selbst schreckt zwar nicht vor TikToks & Insta-Stories zurück, meint damit aber wohl vor allem die graue Masse an perfekt zur Schau gestellten Körpern, perfekten Leben, perfekten Stimmungen bei all den Influencer*innen. “I heard it from a woman on the internet / She told me to eat well and try to love myself” heißt es so noch in “More Like You”, worauf das lyrische Ich nur kleinlaut darum bittet, mehr so zu sein wie die anderen – digitale Grabenkämpfe, die wohl die meisten Heranwachsenden aus den sozialen Netzwerken kennen mögen. Aber: Gartland gesteht sich zwar Schwächen und Zweifel ein, setzt der ganzen Shitshow in “Pretending” jedoch ein Ende – auch hier tritt die Frau aus dem Internet wieder als heuchlerisches Gegenüber auf. Und manchmal strahlen sogar Selbstzweifel etwas Wohliges aus, wie etwa der selbstironisch-smarte Pseudo-Individualismus-Diss „You’re Not Special, Babe“ zu kurzweiligem Indie Pop thematisiert. Der vorwitzige Song, welcher graduell in Upbeat-Gefilde abdriftet, macht eine andere Art von Mut, stärkt das Selbstbewusstsein und zeigt, dass es sich durchaus bestens mit den eigenen Unsicherheiten leben lässt.
Was dieses Debüt so sympathisch macht, ist vor allem dessen Vielschichtigkeit. Die Patriarchat-Klatsche „Zombie!“ packt die Gitarre aus und lässt es nach einer falschen Fährte ordentlich krachen. Zwischendurch scheint Gartland sogar ihren angepunkten Vorbildern der Jugend nachzueifern. So laut wird es allerdings nur selten, oft rockt die Irin nur nebenbei mit. In „Pretending“ unterstreichen die Saiten die eigenwillige, nachdenkliche Stimmung, während „Do You Mind?“ vom Ende einer Liebe berichtet und direkt balladeske Klänge mit durchaus wuchtigem Beat und Piano anschlägt. Auch schön: „Codependency“, das zwischenzeitlich schön krachig daherkommen darf und so in ähnlicher Form auch bei der einen oder anderen Kapelle zwischen Pop Punk und Midwest Emo gut aufgehoben wäre. Das finale „Bloodline / Difficult Things“ ist tanzbar, rockend, verspielt poppig, fragil und post-modern zugleich – eine Sammlung unzähliger Ideen, lose zusammengehalten und auf assoziative Weise spannend.

Natürlich gibt es nicht den einen, archetypischen Orla Gartland-Sound, sondern viele verschiedene Einflüsse, die sympathisch zusammenfinden und das Bild einer Künstlerin mit Freude an der Musik und Suche nach dem Selbst zeichnen. Klar könnte es sich der geneigte Plattenkritik-Schreiberling jetzt einfach machen und attestieren, dass Gartland vornehmlich im Kielwasser von Phoebe Bridgers, Snail Mail oder Lucy Dacus schwimmt. Wer jedoch genauer hinhört, der erkennt außerdem, dass die umtriebige Indie-Musikerin oft genug auch den Furor von Fiona Apple und die Klugheit von Regina Spektor in Modern Pop überführt, wobei bestimmte Stücke eben poltern und krachen dürfen, andere wiederum ihre folkige Grundstruktur behalten. Interessant geraten auch die Rhythmen, welche von allerhand Körperbeats getragen werden (und damit ähnlich wie bei der Französin Camille tönen), was die Songs auf „Woman On The Internet“ organisch und lebendig hält und zur Grundhaltung dieser Platte passt: sich selbst nicht über alle Maßen ernst nehmen.
Alles in allem spiegeln sich in Orla Gartlands Debütalbum so einige Facetten – es ist vorwitzig und euphorisch, zerbrechlich und nachdenklich, bewegend und suchend. Vor allem bestätigt die britische Newcomerin damit die über die Jahre redlich erworbenen – und absolut gerechtfertigten – Vorschusslorbeeren ihrer diversen Kleinformate und erweitert ihre musikalische Spielwiese auf recht kurzweilige Weise. Und das, liebe Freunde der gepflegten musikalischen Unterhaltung, kann eigentlich nur der Anfang gewesen sein…
Rock and Roll.