Auf dem Radar: Isaac Gracie


Foto: Promo / Mike Massaro

Sekunden der Stille verstreichen. Normalerweise nutzen Künstler instrumentale Pausen innerhalb oder zwischen den Songs, um eine gewisse Atmosphäre zu kreieren… Aber eine solche Kunstpause am Anfang eines Albums? Ungewöhnlich, fürwahr. Dann jedoch setzen endlich die ersten Klänge des Debüts von Isaac Gracie ein. Der heute 26-jährige Londoner zeigt auf dem gleichnamigen, 2018 erschienenen Album eine Mischung aus melancholisch-eleganten Chansons, gepaart mit einer ganzen Menge Wehmut. Das Frontcover ziert das aschfahle, jugendliche Gesicht seiner Person, die das Nachdenkliche ebenso im Blick trägt wie einen versteckten Ansatz von verschmitztem Lächeln. Ein Widerspruch? Mitnichten.

Das beweist bereits der Opener „Terrified„, in dem der ehemalige Chorknabe und Student für Englisch und kreatives Schreiben seine innersten Ängste besingt. Und bereits hier wird’s wohl schon zum ersten Mal autobiografisch, denn als Isaac Joseph Gracie-Burrow vor einigen Jahren mit „Last Words“ eine Demo-Version (s)einen ersten Songs via Soundcloud ins weltweite Netz entlässt, kam dieser auch dem einflussreichen BBC-Radio-Moderator Zane Lowe zu Ohren, der das Stück alsbald in seiner Show rauf und runter spielte. Die eigentlich recht positiven Folgen: Gracies Fanschar wuchs in den ersten Monaten exponentiell, die Musikindustrie wedelte mit lukrativen Verträgen. Ja, eigentlich, denn der gehypte Newcomer selbst versank in Selbstzweifeln, wusste nicht, was er davon halten, wie er nun reagieren sollte und fühlte sich so gar nicht auf das Leben als potenzieller Star vorbereitet. Aus diesen widerstreitenden Gefühlen also erwuchs sein zweiter Song „Terrified“ – und der wurde sofort zum zweiten Hit. Warum, dachte sich der junge Musiker, sollte man daraus nicht eine Methode machen?

Diesem Modus Operandi kommt natürlich zugute, dass Isaac Gracie mit einer Stimme gesegnet ist, die an die ganz Großen, an Künstler wie Jeff Buckley oder Nick Drake, erinnert. Eine Stimme, der eine Schwere anhaftet, als hätte man vor langer, langer Zeit eine Gefängniskugel von Problemen an seinem vor Schwermut müden Bein befestigt. Grau trifft Anthrazit, ganz frei nach dem Motto: Ich habe schon mit allem abgeschlossen, bevor es überhaupt richtig losgeht. Es trägt also schon etwas Juvenil-unbedarftes, etwas Ironisches in sich, dass „Last Words“ genau von dieser Art von Resignation erzählt. Trotzdem steckt hier viel mehr drin als lediglich ein weiterer Gitarre klampfender, introvertierter Lagerfeuertroubadour. So werden im Refrain von „The Death Of You & I“ zum ersten Mal die E-Gitarren aufgedreht und Gracie entlädt zu herzwunden Zeilen wie “Nothing ever felt so real since the death of you and I” all jene Emotionen, die bis dato weitestgehend unterdrückt blieben. Nevermind Nirvana? Nope. Die Wagenladung an negativen Gefühlen, welche das Album in sich trägt, verpackt Gracie – anders als weiland Kurt Cobain – in luftig-leichte Gitarrenriffs, mal akustisch, mal elektrisch und mit einer Singalong-Attitüde, wie man sie sonst vor allem von Britpop-Revival-Parties kennt. Da verpasst man doch beinahe Songs wie „Running On Empty“ oder das Streicher-Meer in „Telescope„, bei denen der Bohemian-Einfluss eines Peter Doherty, der Babyshambles und Libertines, deutlich mitschwingt – nur vielleicht mit etwas weniger hedonistischem Spektakel und Lust auf den nächstletzten Exzess.

Trotzdem kehrt Gracie immer wieder zum Melancholischen zurück. Vielleicht mag’s ja an seiner familiären Prägung liegen: Seine Mutter ist die Dichterin und Psychoanalytikerin Judith Gracie, im Elternhaus kam er recht früh mit vielfältigen musikalischen Einflüssen, die von Radiohead über Leonard Cohen, Kurt Cobain, Bob Dylan bis hin zu Tim und Jeff Buckley reichten, in Berührung. Mit 14 Jahren schrieb er erste eigene Songs, 2016 erschien die recht programmatisch „Songs From My Bedroom“ betitelte Debüt-EP. Doch zurück zur Schwermut, denn „That Was Then“ zerbricht beinahe an der stimmlichen Traurigkeit sowie einem starken Refrain, in dem Gracie die Zittrigkeit der Strophen ablegt und nach vorne schaut. Es ist immer wieder schön zu hören, wie Künstler ihren Gesang gekonnt einsetzen und in ihren Songs Kontraste erzeugen, um das emotionale Kaleidoskop noch direkter mit dem Hörer, der Hörerin zu teilen. Der melodramatische Hymnus „Silhouettes Of You“, welcher stark an den Radiohead’schen Gassenheuler „Creep“ erinnert, steht dem mit seinem stetig anschwellenden Crescendo in nichts nach.

Klar: Isaac Gracies musikalisches Gewand ist ein recht Spezielles. Manch eine(r) mag seine Songs aufgrund des kohärenten Klangbilds und der thematischen Wiederholungen – aller Wandelbarkeit zum Trotz – (vor)schnell als monotone Langweiliger-Platte eines Möchtegern-Bob-Dylans abstempeln (was bei Zeilen wie „Well, I sleep all day and drink all night“ zugegebenermaßen im ersten Moment ein Leichtes wäre). Für andere wiederum trifft der britische Nachwuchs-Singer/Songwriter mit seinem Debütalbum wortwörtlich ins vinylne Schwarze und verbindet Indie-Folk-Rock mit anthrazit-grauer Alltagslyrik. Alles in allem: ein solides, recht zeitloses Erstlingswerk.

Rock and Roll.

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