Song des Tages: Travis – „Nina’s Song“


Foto: Promo / Ryan Johnston

Einer der größten Fehler im Leben von Fran Healy war mit Sicherheit, seinen grauen Rauschebart wieder abzurasieren. Stand ihm irgendwie. Nein, nicht einmal das relativ maue, mittlerweile mehr als vier Jahre zurückliegende Album „Everything At Once“ seiner Stammband Travis war ein größerer Fauxpas… Aber Gesichtshaar hin oder her, im Rückblick darf festgehalten werden: Healy, der mitsamt der Familie vor drei Jahren von Berlin nach Los Angeles übersiedelte, und seine drei Kumpanen haben in 25 Jahren Bandgeschichte ganz schön viel richtig gemacht. Ehrlich und nüchtern betrachtet haben die vier Schotten damals um die Jahrtausendwende mit ihrem auch heute noch über jeglichen Zweifel erhabenen, von turmhoher Melancholie gesäumten Meisterwerk „The Man Who“ und Evergreens wie „Why Does It Always Rain On Me?“ Coldplay ermöglicht, die ja zumindest drei recht ordentliche Alben ablieferten, oder Keane mit immerhin einer soliden Platte. Aber vor allen Dingen haben Fran Healy, Andy Dunlop, Dougie Payne und Neil Primrose auch danach alle paar Jahre selbst recht zuverlässig geliefert – selten weltbewegend, jedoch immer grundsympathisch. Trotzdem war es für nicht wenige wohl eine halbwegs mittelgroße Überraschung, als die Schotten im Juni 2020 mit „A Ghost“ eine derart wuchtige Single veröffentlichten. Und man höre auf: „10 Songs„, das im Oktober erschienene neunte Album der Band, bietet einige solcher Nummern.

Obwohl ja sowohl der Vorgänger als auch der nicht eben mit Kreativpreisen dekorierte, möglichst wenig aussagekräftige Albumtitel die Messlatte der Erwartung zunächst verdammt erdbodennah ansetzen. Aber das altbekannte Prinzip „Never judge a book by its cover” gilt wohl auch hier – und schließlich kommt es auf die inneren Werte an. Also genau auf das Genannte: die zehn Songs. Die präsentieren eine Band, die tatsächlich bereits ein geschlagenes Vierteljahrhundert gemeinsame Sache macht, die sich mit dem neuen Werk auch mehr als vier Jahre Zeit gelassen hat, aber einen wissen lässt: Das Warten hat sich durchaus gelohnt! Es sind die unverkennbaren Travis, die sowohl eine rockige Seite als auch eine ruhigere Seite haben – und auch dazwischen so einiges können…

Das Spannungsfeld hört man schon in den Vorab-Singles. Das erwähnte „A Ghost“ macht als treibende Rock-Nummer auf sich aufmerksam und belebt den Sound, wie man ihn im Frühwerk à la „Good Feeling“ (1997), aber auch den Stücken der „Ode To J. Smith“ (2008) kannte: druckvoll-treibend, klare Gitarrenlinien und ein hohes Tempo – so kennt man Travis. Hört man wiederum „The Only Thing„, für welches der Glasgow-Vierer keine Geringere als Bangles-Sängerin Susanna Hoffs fürs Duett gewinnen konnte, so merkt man: auch so kennt man Travis. Eine ruhige Indie-Pop-Nummer mit ordentlich Gefühl an Bord. Noch keine Ballade, da so etwas wie Tempo vorhanden ist, jedoch verdammt nah dran. Und dabei zudem zu berührend gestaltet, um Gefahr zu laufen, komplett irrelevant zu werden.

Das ist der Spielraum, in dem sich Travis bewegen, teils vergrößert, teils dazwischen. „Waving At The Window“ beispielsweise vereint Tempo mit ruhigen Pianoläufen und wirkt durch Fran Healys unverwechselbaren Gesangstil auch sehr einfühlsam. Auf der anderen Seite lassen sind neben „A Ghost“ aber auch Stücke finden wie etwa die zweite Single „Valentine“ finden, die langsam einsteigt und dann deftig lospoltert. Mit Gitarre und Schlagzeug, welche seit dem wahnsinnigen Riff aus „Happy To Hang Around“ von „12 Memories“ (2003) nicht mehr derart aufdrehen durften, die sich im letzten Song-Drittel noch mal mehr in Ekstase spielen. Solange, bis der Song schließlich endet, wie er begonnen hat – dem Tode ins Auge blickend, aber in aller Gemütlichkeit: „If I lie here / I might die here / I may lay here for a while.“ Ganz egal, wie es sich musikalisch äußert: Man hört, dass hier eine Band agiert, die für sich nie stehen geblieben ist, die ihren Stil stets in Nuancen weiterentwickelt und sich dabei auch darauf versteht, die verschiedenen Dynamiken gut unter einen Hut zu bekommen.

Wenn „No Love Lost“ das Album beendet, erklingt eine sehr ruhige Piano-Ballade zu einem Titel, der auch inhaltlich stimmt: Wer Travis liebt und der Band über all die Jahre die Stange gehalten hat, der wird diese Liebe auch mit dem neusten Langspieler – einfallsloser Albumtitel mal außen vor, den irgendwie gehören die ja fast schon zur Travis’schen Tradition – nicht verlieren. Wenn man nun unbedingt etwas bemängeln wollen würde, könnte man mutmaßen, dass ein, zwei weitere rockigere Stücke dem Zehnerpack Songs wohl keineswegs geschadet hätten, aber allein mit kritischem Jammern auf recht hohem Niveau würde man der Band schlichtweg nicht gerecht. Fran Healy und Co. ist mit „10 Songs“ ein erwachsenes Album gelungen, wie man es von vier Endvierzigern auch erwarten darf. Keineswegs weltbewegend, noch immer grundsympathisch. „This is no rehearsal, this is the take“, heißt es gleich zu Beginn – wenn die Fünfzig schon am Horizont schimmert, wird das Leben in manchem Moment nun wirklich ein wenig ernster. Das Schöne dabei: das Träumen, die Verträumtheit will sich das Quartett auch 21 Lenze nach „The Man Who“ nicht verbieten lassen, immer garniert mit der Travis-typischen Melancholie, zu der ein gemütliches Kneipenbier genauso gut mundet wie ein warmer Kakao.

Gleichsam wunderschön ist „Nina’s Song“ in seiner Verneigung vor dem Spätwerk der Beatles gelungen. Klare Sache: mit einer singenden Katze im Musikvideo kann nunmal so gar nichts schief laufen, oder? Und mit 47 Jahren auf dem Zeitkonto haben Fran Healy und seine Lads längst verstanden, dass Aufgeben keine Alternative ist. Dann lieber mit einem Liedchen auf den Lippen ins Gefecht: „There’s nothing wrong / With a song / Sung into battle.“

Rock and Roll.

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