
Alle paar Jahre wirkt es, als tauche ein – zumindest für die größere Masse – neues Gesicht auf dem musikalischen Radar auf, das irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint – und das mal eben die Musiklandschaft ein bisschen umpflügt. Oder von dem man genau das zumindest annehmen würde. Immer wieder spannend zu sehen, wie sich ein gewisser Name an einer Stelle plötzlich als Samenkorn einnistet, das nach und nach an allen möglichen Stellen Früchte trägt. Tobias Jesso Jr. wäre so einer, der da schnell aufploppen könnte im Töne sammelnden Erinnerungszentrum des Gehirns: Dessen Debütalbum „Goon“ sorgte anno 2015 bei der Kritik für nahezu einhellig-aufgeregtes Freudengezwitscher und landete schließlich auch bei ANEWFRIENDs Jahresendabrechnung völlig verdient in den Top 10. Das lag einerseits sicher an seinem nicht von der Hand zu weisenden Talent, doch noch mehr irgendwie daran, dass der damals 29-Jährige Musik machte, die klang, als sei er gerade ein paar Tage vorher vierzig Jahre durch die Zeit gereist. Jesso Jr. wurde der Rummel um seine Person jedoch schnell zu viel – aus dem einstigen „Next Big Thing“ wurde aber immerhin ein verlässlicher Songwriter und Produzent für Kollegen wie Haim, Florence and the Machine oder auch Emma Louise.
Und nun? Nun steht mit J.E. Sunde der nächste potentielle Zeitreisende in den Startlöchern. Der Unterschied? Während bei Tobias Jesso Jr. stets das kleine Holzhämmerchen mitzuschwingen schien, das darauf hinwies, dass es sich hier doch bitteschön um einen ernstzunehmenden Musiker™ handelt, ist die ganze Angelegenheit bei Sunde durchaus humoriger. Lustig wirkt er, der Mann aus Minneapolis. Zwar mag der Brillenträger mit seinem Äußeren zunächst nach akademischem Spießer aussehen und daher in etwa so viel Rock’n’Roll-Glamour ausstrahlen wie Omas olle Klohäkelrollen, dennoch scheint er sympathisch. Lachen sollte man über das Gründungsmitglied des Folk-Trios The Daredevil Christopher Wright trotzdem nicht. Ihm jedoch mit einem verschmitzt-wohligen Lächeln zu begegnen, dürfte angesichts seines neuen, dritten Albums „9 Songs About Love“ wohl gar nicht mal so schwer sein. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Produzenten Brian Joseph, der in der Vergangenheit bereits mit solchen Größen wie Bon Iver, Sufjan Stevens oder Paul Simon zusammengearbeitet hat, nahm er die Platte in den Eau-Claire-Studios auf und dürfte nun sogar bei all jenen das Herz erweichen, die sich längst von der doofen alten Liebe abgewandt haben wollten…
“I wrestled with this real sense that I’m not worthy, that I had done something to screw up my chance to find a partner or happiness. It could be embarrassing and confusing.
I’ve started to realize more and more that, if I’m feeling this way, lots of people are I’m not so unique that these thoughts are new to me. And that’s the service of art: When you hear that lyric that hits a bell inside you, you say, ‘Oh, that’s me.’ Everybody is strange and confused and waiting by the phone, waiting to be invited by the party. I hope these songs pick up the phone and extend the invitation to help.” (J.E. Sunde)
Ein bisschen folkig, ein bisschen poppig, sehr Westcoast-Sound- und Sixties-lastig, stets warm und bei sich selbst: „9 Songs About Love“ ist, obwohl es ja ursprünglich aus einer waschechten Schaffens- und Existenzkrise entstand, die den Musiker kurz nach Überschreiten der ominösen Dreißig befiel, ein Album voller kleiner Umarmungen, Muntermacher und Trösterchen. Schon der wunderbar samtige Opener „Sunset Strip„, der bereits in den ersten Sekunden auf einen harmonischen „Uuuuh“-Chor setzt, weiß zu überzeugen: Hier schwingt weder ein anderer Holzhammer, noch winkt einer mit dem Zaunpfahl, stattdessen gibt es eine Song gewordene warme Einladung zum entspannten Zusammensein. Ungleich ausgelassener wird es in „Love Gone To Seed„, dessen Titel sicher die schnell einsetzende Verzückung hinsichtlich dieses Künstlers beschreibt, während „I Don’t Care To Dance“ derart nach Paul Simon klingt, dass Art Garfunkel wahrscheinlich gerade irgendwo auf der Welt mit Schaum vorm Mund ins nächste Krankenhaus tigert, um sich vorsorglich gegen Tollwut impfen zu lassen.
All das ist aber nichts gegen das wirklich hervorzuhebende beeindruckende letzte Drittel dieses Albums, denn: Die Dreierspitze zum Schluss hat es in sich. Gar nicht so sehr unbedingt, weil diese jetzt auf besonders viele Überraschungsmomente setzen würde (das tut sie nicht) oder weil es plötzlich einen Stimmungsumbruch gäbe (den braucht es nicht). Sondern etwa, weil „Your Love Leaves A Mark On Me“ mit seiner absolut glaubhaften Naturverbundenheit und dem sanften Bläsereinsatz zeigt, dass J.E. Sunde gar keine Special Effects braucht, um vollkommen zu überzeugen. Oder auch, weil die Lagerfeuer-Kuschel-Nummer „I Love You, You’re My Friend“ schon im Titel genau das ausspricht, was man nach dieser reichlichen halben Stunde voll heiterer Gelassenheit, nachdenklicher Noten und verspielter Leichtigkeit zu dem Künstler sagen möchte. Vor allem aber auch, weil „Risk“ wohl locker zu den besten Songs gehört, die das Genre in diesem Jahr hervorgebracht hat. Glaubt ihr nicht? Ja denn, liebe Freunde von distinguierten Songschreibern wie Randy Newman, Jonathan Richman, Jackson Browne oder Harry Nilsson: Hören, bitte. It’s worth the risk, versprochen!
Rock and Roll.