Auch Australien hat aufgrund der Corona-Krise seine Grenzen dichtgemacht, mancherorts aktuell sogar wieder Ausgangssperren verhängt. Reisen ist, wie in vielen anderen Ländern der Welt, nicht – oder nur sehr eingeschränkt – möglich. Dabei ist der australische Singer/Songwriter Stu Larsen eigentlich immer unterwegs, lebt seit zwölf Jahren ohne festen Wohnsitz, ist der „Vagabond„, der seinem ersten Album 2014 seinen Titel gab. Auf seinem neuen, mittlerweile dritten Werk „Marigold
“ jedoch geht es um ein Thema, da wohl jede(r) von uns kennt: Liebeskummer. Ein universell beliebtes und in der Pophistorie bereits vielfach besungenes Thema – da kann’s schnell weinerlich bis kitschig werden. Larsen schafft es jedoch, dass seine Songs nie so ganz in diese Richtung abdriften…
„Es hat mir das Herz gebrochen wie nichts zuvor. Niemals wieder möchte ich das erleben…“
Dieses gebrochene Herz gehört Stu Larsen. Wobei – mittlerweile ist sein Herz gar nicht mehr gebrochen. Aber diesen vermeintlichen Happy End-Twist heben wir uns schön bis zum Schluss auf, okay? Noch sind wir ja bei Stu Larsen und seinem gebrochenen Herzen, denn genau darum geht es auf „Marigold„: zwölf Lieder über den wilden Beginn und das dramatische Ende einer Liebesbeziehung. Über Liebeskummer, das schmerzhafte Gefühl, verlassen zu werden und den schweren Versuch, das eigene Leben nach einer Trennung wieder in den Griff zu bekommen.
Freilich passt Larsens Singer/Songwriter-Folk mit akustischer Instrumentierung und emotionalem, zurückgenommenem Gesang perfekt zur Thematik. Man spürt des Troubadours Schmerz. Einige Lieder habe er in Amsterdam geschrieben, wie er erzählt. Für einen Freund habe er dort auf dessen Katze aufgepasst. In Amsterdam habe ihn auch jene Frau besucht, „über die ich dieses Album geschrieben habe“. „Sie sagte, dass sie nicht mehr mit mir zusammen sein will. Ich hatte also ein kleines gebrochenes Herz. Naja, wenn ich ehrlich bin: ein riesiges gebrochenes Herz“, gibt Larsen zu.
Seit über einer Dekade lebt der Musiker aus einer kleinen Stadt in Queensland, Australien nun schon ohne festen Wohnsitz. Er reist um die Welt, lebt mal aus dem Rucksack, mal aus dem Koffer und vom Musik machen. Seine Reiseerfahrungen hat er bereits auf zwei Alben musikalisch verarbeitet – zuletzt auf „Resolute“ (2017), welches quasi unterwegs entstand: bei Freunden auf der Couch in England, an einem Lagerfeuer in Schweden, in einem Bunker in Australien, in einer Hütte in Schottland und an vielen weiteren, inspirierenden Orten, an die es Larsen in den letzten Jahren verschlug. Doch dieser vagabundierenden Reiselust sind nun erst einmal jähe Grenzen gesetzt . Seine verrückte Welttour, die ihn – teilweise per VW Bus – in diesem Jahr in elf Länder verschlagen sollte, musste er in München nach der Hälfte abbrechen.
Am liebsten hätte er danach sein Handy ausgeschaltet und sich irgendwo fern der Öffentlichkeit versteckt. Doch er hat sich dagegen entschieden, denn Musiker haben in dieser außergewöhnlichen Zeit jetzt eine ganz besondere Aufgabe, meint Larsen. In Zeiten von sozialer Distanz bringen sie mit ihrer Musik Menschen einander näher: „Meine erste Reaktion war, die Veröffentlichung dieses Albums zu verschieben. Aber dann habe ich mit verschiedenen Leuten gesprochen, die alles gesagt haben: wir brauchen dieses Album jetzt! Wir brauchen etwas, das uns Hoffnung gibt, das uns zusammenbringt! Wir brauchen neue Musik!“
„So here’s another sad song about the time you broke my heart…“ (aus „Je te promets demain„)
Liebeskummer, Herzschmerz, verlassen und betrogen werden – wie viele Lieder es darüber gibt… Da ist es nicht leicht, aus der riesigen musikalischen Kiste voller gebrochener, ach so wunder, ach so blutroter Herzen herauszustechen. Doch Stu Larsen ist das mit „Marigold“ durchaus gelungen. Klar, man hört – vor allem textlich – seinen Liebeskummer, aber er klingt dabei nie (zu) kitschig, jammerig oder klischeehaft. Die Texte sind persönlich, kurze Liebesgeschichten, an mancher Stelle auch Anti-Liebesgeschichten. Wie im tollen Streichermeer-Lamento „Wide Awake & Dreaming„, das beinahe an die großen Oden eines Damien Rice heran reicht, oder im Abschluss „Phone Call From My Lover“, in dem der Musiker zu feinem Finger-Picking davon singt, dass seine Freundin ihn zwar noch lieben würde, aber erst einmal allein reisen möchte, um sich selbst zu finden – Abschiedsschmerz galore.
„Everything will be just fine…“ (aus „We Got Struck By Lightning“)
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis: „Marigold“ ist dabei keineswegs ein deprimierendes Album, das einen beim Hören runterzieht – im Gegenteil. So ist „We Got Struck By Lightning“ ein geradezu genüsslicher Auftakt vom Stile des Gitarren-Slackers Kurt Vile, im darauf folgenden „Hurricane“ klingt eine Ahnung von „Sultans Of Swing“ der Dire Straits an, „Wires Crossed“ ist ein country’esker Slow Motion-Fußwipper, „Where Have All The Leaves Gone?“ eine unaufdringliche melancholische Ballade, dazu haben Songs wie „The Loudest Voice„, bei denen manche wohlmöglich an den britischen Wunder-Singer/Songwriter Ben Howard denken mögen, eine durchaus positive und motivierende Strahlkraft. Gerade in der aktuellen Zeit, in der die Corona-Pandemie in vielen Momenten unser gesamtes Leben dominiert, sind es Alben wie dieses, die das Herz erwärmen, die einen dazu einladen, den sonnigen Spätsommer für kleine Roadtrips mit heruntergelassenen Fensterscheiben zu nutzen, durch die die Wärme die Nasenspitze kitzeln darf. Stu Larsen emphiehlt gerade jetzt, das Handy öfter mal in den Flugmodus zu schalten und mehr Musik zu hören. Er würde das auch tun, sagt er, mit seiner neuen alten Freundin. Aha? Richtig! Dieselbe Dame, die ihn verlassen hatte und über die er ebenjenes Album geschrieben hat. Und das, liebe Freunde der guten Töne, ist mal ein amtlicher Twist von einem Happy End!
Hier gibt’s obendrein einen YouTube-Livestream, bei dem Stu Larsen alle Songs des Albums in akustisch-reduzierten Varianten spielte (während man auf seinem YouTube-Kanal einige der Stücke an Orten wie London, München, Istanbul oder Gaborone dargeboten findet):
Rock and Roll.