Schon rein optisch ist Sarah Lesch eine ungewöhnliche Frau, die auffällt – zierlich, blonde, lange Dreadlocks (zumindest trug sie diese noch bis vor Kurzem), Tattoos und Lippen-Piercing. So ein Outfit fällt auch 2019 – zumindest außerhalb der hippen Szene-Viertel urbaner Großstädte mit all ihren Bio-Märkten, Montessori-Einrichtungen, Jutebeutel-mit-Sinnspruch-Trägern und Mate-Tee-Trinkern – schnell ins Auge. Bekannt wurde Lesch jedoch vor vier Jahren mit etwas anderem…
2015 veröffentlichte die heute 33-jährige Liedermacherin das Stück „Testament„, welches die gelernte Erzieherin ihrem damals elfjährigen Sohn widmete und mit dem sie unter anderem 2016 den in Wien ausgetragenen „Protestsongcontest“ und beim Hermann-Hesse-Festival in Calw den zweiten Platz des „Panikpreises“ gewann. In den sozialen Netzwerken wurde der Song, der sich gegen tumbes Angepasstsein und unbedachten Konsum richtet sowie gegen einen Staat, der seine Freigeister frisst, schnell zu einem viralen Klick-Hit. Und: er wurde leider – Protestlertum olé! – auch von und auf Seiten geteilt, die rechtspopulistisch oder offen rechtsextrem sind.
Sie selbst musste natürlich erst lernen, mit dieser ungewohnten Situation umzugehen: „Ich war wütend und sehr traurig auch und habe halt gedacht, das ist schade, weil ich ja keinen Menschen ausschließen möchte aus dem, was ich da erzähle. Natürlich finde ich die Gemeinsamkeit schön, dass sich da Leute angesprochen fühlen. Aber wenn es natürlich für so etwas benutzt wird, ist es für mich schlimm und nicht das, was ich wollte. Das ist ganz klar. Interessant finde ich, was ich daraus gelernt habe. Ich habe ganz viel in so einer Blase gelebt, wie ich habe natürlich auch auf meiner Internetplattform immer nur das gesehen, was ich like und habe daher gar nicht gewusst, dass es Bewegungen da draußen gibt, die mittlerweile gar nicht so leicht zu erkennen sind als rechts oder rassistisch, sondern dass sich das so fein gesponnen in der Gesellschaft mittlerweile bewegt, dass man gar nicht mehr richtig sagen kann: ‚Ah, okay schwarz und weiß.‘ Und das fand ich sehr, sehr spannend und habe mich viel damit beschäftigt.“
Schlussendlich entschied sich die gebürtige Thüringerin, die im schwäbischen Tübingen aufwuchs und mittlerweile in Leipzig lebt (wie auch ihr Vater, der Musiker Ralf Kruse), wohl dazu, die positiven Seiten der ungeahnten Aufmerksamkeit für sich zu nutzen – und veröffentlichte 2017 ihr drittes Album „Da draußen„.
Und auch wenn nicht jedes der Stücke darauf so schwer und bedeutungsschwanger gerät wie „Testament“, schreibt Lesch zu Akustikgitarre, Ukulele und Mundharmonika kluge Texte, die nahe bei Kolleginnen wie etwa Dota Kerr, Alin Coen oder Judith Holofernes stehen und die viel Empathie, aber manchmal auch eine gehörige Portion augenzwinkernden Sarkasmus in sich tragen. Von Liebe und Verlust, von den kleinen und großen Helden des Alltags, von Ausbeutung und Ignoranz handeln die ihre Lieder. Feministisch-hippie’eske Protest-Lyrik mit Herz und Hirn, wenn man so mag.
Ganz ähnlich tönt auch Sarah Leschs neustes musikalisches Lebenseichen: die fünf Songs starke EP „Den Einsamen zum Troste„, ein hommagener Knicks vor einigen mal mehr, mal weniger bekannten Ikonen der deutschsprachigen Liedermacherszene wie Konstantin Wecker, Gerhard Schöne, Bastian Bandt, Dota Kehr oder Georg Danzer.
Von letzterem, Georg Danzer, ein österreichischer Liedermacher, der 2007 im Alter von 60 Jahren verstarb, stammt das Stück „Die Freiheit“, dessen Original zwar bereits satte vierzig Jahre jung sein mag, dessen Botschaft jedoch umso zeitloser und universeller ist: die „Freiheit“ mag zwar selbst in der am besten geölten Demokratie gewissen Einschränkungen unterliegen (ob das nun Mauern, Verbote oder schlicht Gesetze sein mögen), sie zählt jedoch zu den höchsten ideellen Gütern menschlichen Lebens. Und gerade deshalb lohnt es, diesen verwundbaren Begriff vor Ideologen und Populisten zu schützen. Komme, was wolle.
„Die Freiheit ist flüchtig. Wer sie einsperrt, blickt am Ende auf einen leeren Käfig, denn sie ist nicht mehr da. Georg Danzers kluge Bemerkung ist auf traurige Art zeitlos, man denke an die schwierige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in diesen Zeiten. Ist die Freiheit den Einsamen ein Trost, oder ist es nicht gerade die Verlorenheit in der unermesslichen Weite, die den Einsamen ein viel perfiderer Käfig ist?
Und welche Rolle spielt die Angst? Es ist die Angst vor der Freiheit, die den Käfig will, egal woraus dieser am Ende gemacht ist. Schlimmstenfalls bleibt hinter’m Gitter gerade nur noch die Einsamkeit übrig, ganz besonders, wenn die Käfige bequemer Art sind. Im besten Fall aber gewinnen wir – die Vereinsamten – wenn wir die Angst überwinden und auf Entdeckungsreise gehen, gerade die Freiheit, die es zum gelingenden, einander zugewandten Miteinander braucht.
In deinen Liedern lebst du weiter. Danke Georg, für dieses wunderschöne Stückchen Kunst.“
(Sarah Lesch)
Die Sonne schien, mir war ums Herz so froh
Vor einem Käfig sah ich Leute stehn
da ging ich hin, um mir das näher anzusehen
Da ging ich hin, um mir das näher anzusehenNicht füttern stand auf einem großen Schild
Und bitte auch nicht reizen, da sehr wild!
Erwachsene und Kinder schauten dumm
Und nur ein Wärter schaute grimmig und sehr stumm
Und nur ein Wärter schaute grimmig und sehr stumm
Ich fragte ihn, wie heißt denn dieses Tier?
Das ist die Freiheit, sagte er zu mir
Die gibt es jetzt so selten auf der Welt
Drum wird sie hier für wenig Geld zur Schau gestellt
Drum wird sie hier für wenig Geld zur Schau gestellt
Ich schaute, und ich sagte, lieber Herr
Ich seh ja nichts, der Käfig ist doch leer
Das ist ja grade – sagte er – der Gag!
Man sperrt sie ein, und augenblicklich ist sie weg
Man sperrt sie ein, und augenblicklich ist sie weg
Die Freiheit ist ein wundersames Tier
Und manche Menschen haben Angst vor ihr
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein
Denn nur in Freiheit
Kann die Freiheit
Freiheit sein
Denn nur in Freiheit
Kann die Freiheit
Freiheit sein“
Rock and Roll.