Ganze fünf Jahre hat sich Niels Frevert Zeit gelassen, um seinem letzten Album „Paradies der gefälschten Dinge“ ein neues Werk zur Seite zu stellen. Am vergangenen Freitag war es denn soweit – das „Putzlicht“ ging an. Was ist also zu erwarten von einem, der zeitwährends seiner nun fast dreißigjährigen Künstlerkarriere zwar (beinahe) stets vom Feuilleton hofiert und milde goutiert wurde, während auch 2019 auf Tournee noch immer die kleineren Indie-Schuppen bespielt werden (sprich: man getrost anderen beim schnöden Reibachmachen zusehen darf)?
Zunächst einmal darf festgestellt werden: Nach zehn Studioalben, sieben nun davon als Solokünstler, hat sich Niels Frevert weiterentwickelt, und dabei sogar noch irgendwie elegant neu erfunden. Gerade im Vergleich zu den sieben und fünf Jahre zurückliegenden Vorgängern „Zettel auf dem Boden
“ und „Paradies der gefälschten Dinge
“ klingen die neuen Stücke deutlich offener, treibender, und auch textlich ist der Meister der herzerweiternden Wortgirlanden und heimlichen Hits konkreter und zugänglicher geworden. Man höre etwa die erste Vorab-Single „Leguane„: ein dunkel groovender Song, dem eine brummend verzerrte Elektrische sein melodiöses Hauptthema spendiert und so kraftvoll, groß und verheißungsvoll schimmern lässt. Oder „Immer noch die Musik„, dem ersten Titel nach dem Prelude, in welchem Frevert – zugegebenermaßen haarscharf an der Grenze zum Kitsch – die Halt gebende Wirkung von Musik in dunklen Zeiten besingt. Oder das Stück mit dem zweifelsfrei sperrigsten Titel der neuen Platte, „Ich suchte nach Worten für etwas, das nicht an der Straße der Worte lag“. Wie ebenjene 57 Buchstaben bereits erahnen lassen, handelt der Song (welcher in der Akustik-Variante sogar noch toller geraten ist) von seiner Schreibblockade und der damit verbundenen mühseligen Suche nach Worten für seine Texte. „Ich hatte das Gefühl, als hätte ich meine Sprache verloren„, blickt der mittlerweile 51-jährige Hamburger Liedermacher in einem dpa-Gespräch zurück. Fragt einer nach der schönsten Zeile des Albums, die gleichzeitig am besten verdeutlicht, wie verwundbar Frevert sich anno 2019 präsentiert? Der begegnet man in „Als könnte man die Sterne berühren„, bei dem der Liedermacher zu Trompeten-Klängen mit Nachdruck betont: „Man wird für seine Stärken bewundert, aber geliebt, geliebt wird man für seine Schwächen„. Diese Erkenntnis stamme von „einer Wahrsagerin„, die in seinen „Handinnenflächen“ gelesen habe. Manchmal kommt die Inspiration fürs Textliche also von ganz allein…
Das wohl größte Highlight des neuen Albums, bei dem mit Produzent Philipp Steinke (BOY, Revolverheld, Andreas Bourani, Bosse) jemand die Regler bediente, der eben auch haargenau weiß, wie man deutsche Popmusik perfekt in Szene setzt, ist jedoch „Putzlicht“, das titelgebende Stück. Während das Wort selbst jenen Augenblick umschreibt, wenn in jeder Disco, jeder noch so kleinen Spelunke früh morgens die gleißenden Lampen angehen und allem der letzte somnambule Restreiz geraubt wird, erzeugt der mit warmer Stimme vorgetragene Text melancholische Kopfkinoszenarien von den resttrunkenen ersten Stunden des Tages und aus Sicht des Heimgehenden, während Niels Freverts Begleitband – wie beim Großteil der neuen Songs – mit GitarreSchlagzeugBass und Bläsern gleichsam kraftvoll wie groß aufspielt. Feine Sache, das. Und irgendwie ja auch ein Heimspiel, schließlich gilt der frühere Nationalgalerie-Frontmann seit eh und ja als Spezialist für Party-Endszenarien.
Was also ist Frevert mit den elf neuen Stücken von „Putzlicht“ gelungen? Ein freundschaftlicher Verweis auf den ohnehin sehr oft – und genauso oft auch absolut zurecht – als Referenz herangezogenen großen Gisbert zu Knyphausen (die allgegenwärtige, Hoffnung schöpfende Melancholie im Text, der knackige Bandsound im Klang)? Mag man gern so sehen, obwohl man Frevert nach beinahe drei Karriere-Dekaden doch das ein oder andere Alleinstellungsmerkmal zugestehen darf. Ein großes Spätwerk, das an Wehmut ebenso wenig spart wie an Zuversicht und in manchem Moment Rückschlüsse auf das tolle 2008er Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ wagt? Dafür wäre der Norddeutsche mit seinen 51 Lenzen wohl noch etwas (zu) jung. Im Zweifel ist „Putzlicht“ einer der wohl besten und schönsten Deutsch-Pop-Platten des Jahres – mit dem Feuilleton als besten Kumpel und den Indie-Clubs als idealer Bühne.
—- Niels Frevert – „Putzlicht Tour“ 2019 —-
09.10.2019 Essen – Zeche Carl
10.10.2019 Köln – Clubbahnhof Ehrenfeld
11.10.2019 Frankfurt – Nachtleben
12.10.2019 Münster – Gleis 22
13.10.2019 Bremen – Radio Bremen
16.10.2019 München – Kranhalle
17.10.2019 Dresden – Scheune
18.10.2019 Berlin – Heimathafen
19.10.2019 Hamburg – Mojo Club
—- „Putzlicht akustisch Tour“ 2019 —-
02.12.2019 Freiburg – Jazzhaus
03.12.2010 Stuttgart – Im Wizemann Studio
04.12.2019 Augsburg – Soho Stage
05.12.2019 Ulm – Roxy
06.12.2019 Mannheim – Alte Feuerwache
07.12.2019 Hannover – Pavillon
08.12.2019 Oldenburg – Wilhelm13
09.12.2019 Leipzig – die naTo
12.12.2019 Rostock – Helgas Stadtpalast
13.12.2019 Magdeburg – Moritzhof
Rock and Roll.