Animal Flag – EP1 + EP2 (2014/2015)
-erschienen im Selbstvertrieb-
Kinder, wie die Zeit vergeht… Indiz No. 1: Die Veröffentlichung von „LIFTED or The Story is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground“, dem vierten Album von Conor Obersts damaliger Haupt- und Herzensband Bright Eyes, liegt bereits mehr als dreizehn Lenze zurück. (Wirklich so lang schon? Ja, so lang schon!) Indiz No. 2: Morgen jährt sich zum ersten Mal der Tag, an dem ANEWFRIEND ein Band gewordenes Ein-Mann-Projekt „auf den Radar“ schob: Animal Flag. Der regelmäßige Leser diesen bescheidenen Blogs (oder die mit ausgeprägt gutem Erinnerungsschatz… oder die, die um die Funktionalität eines Links wissen) ahnt es ja bereits: da besteht durchaus ein Zusammenhang.
Und natürlich lässt das nahezu entsetzte Räuspern der Conor-Oberst-Jünger bei Vergleichen mit ihrem „Messias“ nicht lang auf sich warten. Götzenschindluder! Blasphemie! Übertreibung! Anmaßung! Wer sich jedoch die Zeit und Ruhe nimmt, genauer hinzuhören, der wird in der Tat so allerhand Parallelen entdecken. Versprochen? Versprochen.
So hat auch Animal Flag, das aus Boston/NY stammende Bandprojekt von Frontmann Matthew „Matt“ Politoski, – ganz ähnlich wie Bright Eyes – seit seinen ersten (digitalen) Gehversuchen im Jahr 2009 so einige Wandlungen vollzogen, die mal lo-fi-instrumental verspielt (das Albumdebüt „Flood of Sunlight„), mal singer/songwriter-mäßig und in Bright Eyes’scher Tradition verhaftet (das Album „Everything Will Be Okay“ von 2012 – manch einer mag auch Elliott Smith raushören), mal wie eine folkloristische Variante von Sufjan Stevens mit einigen elektronischen Versatzstücken (das Album „The Sounds of Sleep“ von 2013) ausfielen. (S)Ein letztes Update erfuhr der Bandsound mit der Veröffentlichung der beiden „Animal Flag EPs“ (Teil eins erschien im September 2014, Teil zwei im November diesen Jahres), auf welcher Politoski und seine Bandkumpane – ordentlich produziert und abgemischt – den indierockenden Livesound von Animal Flag in den Fokus stellen. Einfache Begründung: „Mein Ziel bei der EP war es, etwas herauszubringen für die Leute, die zu unseren Shows kommen und danach noch etwas mit nach Hause nehmen können, das das Erlebnis während der Show repräsentiert. Für eine ganze Weile kamen Menschen zu unseren Auftritten und sahen da diese laute Rockband, oder wie auch immer du es nennen magst, und kauften eine CD von einem Folk- oder Elektronik-Album, die wir in der Vergangenheit aufgenommen haben, von denen wir jedoch keinerlei Songs gespielt haben.“.

Foto: Nick DiNatale / Facebook
Mehr Parallelen gefällig? Gern! Man nehme nur Matt Politoskis Gesangorgan, das dem von Conor Oberst erstaunlich nahe steht. Oder dessen Texte, die mal zwischen Melancholie und Außenbetrachtung, mal zwischen Hoffen und Bangen, Lieben und Leiden pendeln, und auch – dies dürfte wohl Politoskis religiösem Elternhaus geschuldet sein – die ein oder andere nicht unkritische Glaubensmetapher nicht aussparen. Wer’s bei Conor Oberst und all seinen Haupt- und Nebenprojekten (solo, Bright Eyes, Desaparecidos, Monsters Of Folk) kritisch sieht, der darf gern behaupten, dass nicht wenige von Politoskis Songs die Qualität liefern, die der 35-Jährige (also Oberst) seit Jahren zu selten hinbekommt. Klar sollte man von einem Thirtysomething – obendrein glücklich verheiratet und Familienvater – nicht dieselben Teenage-Angst-Hymnen der Jugend erwarten. Klar verändern sich mit den Jahren Geschmäcker wie Weltsichten. Aber trotz allem ließen vor allem Obersts letzte (Solo-)Veröffentlichungen der letzten fünf Jahre – von „Outer South“ bis „Upside Down Mountain“ – den Schwung vermissen, den früher noch beinahe jedes Stück um die Ecke brachte (die letzten Bright-Eyes- und Desaparecidos-Alben waren glücklicherweise weitaus besser). Abschreiben sollte man Conor Oberst ja ohnehin nie. Aber wenn das eine Triebwerk versagt, so ist es durchaus legitim, sich Ersatz zu besorgen, oder?
Und den bieten Animal Flag in der Tat in adäquater Weise, vereinen sie doch spätestens mit ihrem jüngst komplettierten EP-Doppel so ziemlich alle Klangwelten des großen (potentiellen) Vorbilds: Oberst Singer/Songwriter-lastige Alt.Folk-Ausflüge (der Anfang von „Borrowed Bones“ und das von Streichern getragene „Mercy“ auf EP1), der derb ausfransende Hauruck-Rock der Desaparecidos (der Großteil der EP2), die tiefe, stille Melancholie, die etwa dem zehn Lenze jungen Bright-Eyes-Werk „Digital Ash In A Digital Urn“ innewohnte („Prone“, das Schlussstück der EP2). An allen Ecken und Enden haben Politoski und seine Band Haken und Ösen versteckt, die jedes der zehn Stücke interessant machen – der Fahrtwind, den bereits „St. Cecilia’s“, der Opener der ersten EP, aufnimmt, vollmundige Bandchöre wie bei „Sensation“ oder „Mercy“, den Wandel vom Pedal-Steel-Alt.Folker zum Gitarrensolo-Brecher, welchen etwa „Borrowed Bones“ innerhalb seiner knapp fünf Minuten nimmt, die zehnminütige Stop-and-Go-Karthasis von „Cathedrals“, den stillen Ausklang mit „Prone“. Ausfälle? Fehlanzeige. Und auch für die, die Wert auf feines Textgut legen, hat Politoski Einiges an Bord, wie etwa in „St. Cecilia’s“ („Iʼve over heard a number of conversations / Of people bitching about the rain / So Iʼve learned to love the storm clouds and hazy weather / Cause Itʼs just another thing we canʼt change / Iʼve been listening to prophets, the broken hearted / Iʼve been learning something new everyday / And thereʼs a lesson thatʼs been ringing for weeks in my head / Donʼt ever trust a heart you canʼt break“) oder in „Cathedrals“ („I’ve been a slave for most of my life / To the things that I want, I am chained tight / It’s true that the punishment must fit the crime / Some call this living, I’m just doing time“).
Innerhalb der zusammengefasst ordentlichen Langspielerlänge einer Dreiviertelstunde decken Animal Flag damit eine gehörige klangliche Bandbreite ab und mausern sich mit diesen zwei EPs wohl endgültig von Politoskis Ein-Mann-Schlafzimmer-Projekt zur vollwertigen Band, die vor allem auf der zweiten EP Referenzen wie Manchester Orchestra näher steht als Conor Oberst. Aber lassen wir noch die Vergleiche – verstecken müssen sich Animal Flag mit diesen Songs nämlich keinesfalls.
Auf der Bandcamp-Seite von Animal Flag kann man sich beide EPs in Gänze anhören…
…und für Freunde des schmalen Geldbeutels hält die Band alle Veröffentlichungen – die zweite EP einmal außen vor – im „Pay what you want“-Prinzip zum Download aufs heimische Abspielgerät parat.
Wer sich auch einen optischen Eindruck machen möchte: hier gibt’s das offizielle Musikvideo zur Eröffnungsnummer von EP1, „St. Cecilia’s“…
…und eine Live Performance von „Sensation“:
Rock and Roll.
[…] beziehungsweise 2015 veröffentlichten Mini-Alben für gelungen genug, um sie gemeinsam als „Album der Woche“ […]
[…] zuvor auf zwei EPs erschienen (diese wiederum wurden, im Doppelpack, anno 2015 ANEWFRIENDs „Album der Woche„), quasi „restverwertet“ und als Langspieler – teils neu aufgenommen, teils […]