Abgehört…


Um eines vorweg zu nehmen: Ich mag es nicht, Verrisse zu schreiben. Zum einen ist unser aller Zeit viel zu kurz für – freilich subjektiv empfunden – schlechte Musik. Zum anderen bin ich mir all der Mühe, die die jeweiligen Künstler in ihre zu Alben kumulierten Stücke haben fließen lassen, all der Zeit beim Schreiben und Proben der Songs, all dem Herzblut, die sie in vielen, vielen Stunden Studioarbeit haben einfließen lassen (ganz zu schweigen von den Kosten), durchaus bewusst. Wenn ein Stück, wenn ein Album irgendwann das Licht der Plattenläden erblickt, dann nur, weil die Künstler ihren Hörern wohl etwas zu sagen, etwas zu geben haben. Und nichts läge mir ferner, als sie, nur weil es eben nicht meine sprichwörtliche cup of tea ist, dafür zu kritisieren. Andererseits bin auch ich nur ein Fan, ein Hörer mit all seinen Erwartungshaltungen. Mag sein, dass man im Alter wählerischer wird und weniger offen für Neues. Mag sein, dass die Hürden beim Hören, beim Gefallen und Nichtgefallen mit der Zeit – auch bei mir – höher angesetzt worden sind. Umso trauriger ist es, wenn einen dann einstige Lieblingskünstler immer wieder aufs Neue herb enttäuschen. Also muss es wohl sein… here we go!

 

 

The Good Life – Everybody’s Coming Down (2015)

GD30OB2-N.cdr-erschienen bei Saddle Creek/Cargo-

Einer dieser Allzeit-Lieblingskünstler war (und ist) Tim Kasher. Nicht nur ist der Ü40er seit den Neunzigern eine der stetigen kreativen Triebfedern des renommierten US-Indie-Labels Saddle Creek, über die Jahre hat der Mann mit dem dritten, 2004 erschienenen Album „Album Of The Year“ seines Zweitprojekts The Good Life ANEWFRIENDs potentielles All-Time-Fav-Werk abgeliefert, ohne das es diesen Blog vielleicht nie gegeben hätte – zumindest würde er nicht diesen Namen tragen (mehr dazu eventuell in Zukunft). Obwohl: Zweitprojekt? Das war ja bei Kasher nie so klar. Mal veröffentlichte der Musiker unter dem Namen Cursive (acht Alben bis dato), mal unter dem The-Good-Life-Deckmantel (fünf Alben), mal wieder solo (zwei Alben) – alles in mehr oder minder kurzen Abständen. Und wo Kasher drauf stand, war freilich am Ende auch sehr viel Kasher drin. Den Herren, Jahrgang 1974 und waschechter Omaha’laner (genauso wie sein Herzenslabel Saddle Creek), erkannte man schon immer an seinem windschiefen *hust* Gesang und den wortgewaltigen Texten. Die wurden denn mal von Ausbrüchen, gepflegten Disharmonien und Post-Hardcore mit Hang zum überkandidelten Konzept umrahmt (Cursive), mal von ruhigen, melancholischen bis depressiv-nachtschwarzen Momenten (The Good Life) oder von einem zwischen den Stühlen changierenden Singer/Songwriter mit Lust auf kleine elektronische Experimente (solo). Über die Jahre sprangen so mindestens eine Handvoll toller Alben heraus (etwa „Black Out“ oder das bereits erwähnte „Album Of The Year“ von The Good Life, „The Ugly Organ“ oder „Happy Hollow“ von Cursive oder Tim Kashers Solo-Einstand vor fünf Jahren, „The Game Of Monogamy“), mit denen Kasher und seine jeweiligen Mitmusiker ihre Nische gefunden hatten, die die Orientierungslosigkeit (vom Endzwanziger bis zum Ü40er) in einer immer verworrener erscheinenden Welt als stetes Sujet hatte – auch etwas, was nicht nur mich durch schwere Tage und Nächte gerettet hat.

Mit dem neusten The Good Life-Werk „Everybody’s Coming Down“ verhält es sich nun anders. Zwar ist Tim Kasher noch immer nicht der himmelhoch jauchzende Rosarotmaler (der er freilich nie war). Zwar dominieren noch immer die Gitarren. Aber The Good Life klingen so gar nicht mehr nach der Band, die da einst, auf dem bereits stattliche acht Jahre zurückliegenden letzten Album „Help Wanted Nights„, musizierte und so wunderbar melancholische Barschemel-Musik zustande brachte. Vielmehr haut Kasher anno 2015 alle Haupt- und Nebenschauplätze seiner Kreativität – Cursive, The Good Life, Soloaktivitäten – gleich in einen Topf. Das wäre natürlich nicht weiter schlimm, denn bei Borussia Dortmund würden sich wohl auch nur die Wenigsten beschweren, wenn ihr Verein plötzlich wie der verhassten Bayern aus München spielen, solange man(n) nur Spiele gewinnt. Das Problem ist nur (um einmal bei dieser Analogie zu bleiben): „Everybody’s Coming Down“ fährt keineswegs den Sieg oder die drei Punkte ein…

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Stattdessen schlagen die zwölf neuen Stücke eine Brücke vom Cursive-Krach zum Solo-Pop – und reißen diese in Sekundenbruchteilen mit exorbitant windschiefen Melodien wieder ein. Manch einer mag bei Stücken wie „Everybody“ an Pavement denken, klar. Und gegen die ein oder andere eingestreute Disharmonie mag auch gar nichts zu sagen sein. Allerdings klingt der Großteil der Stücke auf „Everybody’s Coming Down“ derart schräg nach unfertigen Proberaum-Demos, dass man sich wünscht, dass der ein oder andere Song auf ewig dort geblieben wäre. Elektronische Experimente (das Interlude „Happy Hour“) nerven, von hinten aufgezogene Stücke („Flotsam Locker Into A Groove“) gehen komplett nach hinten los. Ganze zehn Songs als sichere Skip-Kandidaten – einzig das gemächliche „The Troubadour’s Green Room“ und der Abschluss „Midnight Is Upon Us“, in welchem Kasher verpassten Gelegenheiten nachtrauert, erinnern im Ansatz an einstige geliebte Großtaten.

Wieso Tim Kasher „Everybody’s Coming Down“ unter dem Deckmantel von The Good Life veröffentlicht hat (außer der Tatsache, dass Schlagzeuger Roger L. Lewis, Gitarrist Ryan Fox und Bassistin Stefanie Drootin-Senseney daran beteiligt waren), wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben – ebenso wie die Tatsache übrigens, dass diese Stücke überhaupt durch seine Qualitätskontrolle kommen konnten. Wo sind die tollen Melodien, wo die majestätischen Refrains, wo die feinen Books und Wendungen? Nervöse Widerhaken und Stacheldrahtriffs statt bekömmlicher Folk-Atmosphäre. Es scheint fast so, als würde sich beinahe jeder Song des aktuellen The Good Life-Werks der Hörbarkeit verweigern. Und das wäre selbst für die Widerspenstigkeit von Cursive bei Weitem zu wenig. „I’m singing for show and tell / I’m singing for a spot on your record shelf“ – hiermit wohl kaum…

 

 

 

Ben Folds – So There (2015)

bf-sothere-72dpi-erschienen bei New West/Rough Trade-

Ganz ähnlich verhält es sich bei Ben Folds. Wie auch Tim Kasher kann der heute 48-jährige Musiker auf eine lange Diskographie in den verschiedensten Formation und Variationen zurückblicken, welche bis Mitte der Neunziger zurückreicht. Mal spielte er mit seiner Stammband Ben Folds Five, die 2012 – nach schlappen 13 Jahren Veröffentlichungsauszeit – ihr viertes Studioalbum „The Sound Of The Life Of The Mind“ in die Plattenläden stellten, mal – und vor allem – solo (drei Alben, von denen das letzte, „Way To Normal„, 2008 erschien), mal gemeinsam mit Ben Lee und Ben Kweller als „The Bens“. Nebenbei verdingte sich der US-Musiker noch als Produzent (etwa für William „Captain Kirk“ Shatner, Regina Spektor oder Amanda Palmer), vertonte Nick-Hornby-Texte (das 2010 veröffentlichte Album „Lonely Avenue„) oder als passabler Fotograf. Doch wenn man ehrlich war, so liegt das letzte richtig gute Ben-Folds-Werk („Songs For Silverman„) schon ganze zehn Jahre zurück. Ganz zu schweigen vom Ben Folds Five-Meilenstein „Whatever And Ever Amen„, der 1997 erschien…

So gesehen hätte er mit „So There“ einiges gut zu machen. Doch wer Ben Folds kennt und dessen Karriere aufmerksam verfolgt, der weiß, dass der gewitzte Songwriter Billy-Joel’scher Couleur sich einen feuchten Kehricht um derlei Erwartungshaltungen schert. Stattdessen hat Folds sich für sein neustes Album mit dem New Yorker Klassik-Sextett yMusic zusammen getan.

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Klassik? Nun ist auch das nichts Neues in Folds‘ Betätigungsfeld, immerhin hatte der Mann schon seit jeher einen Hang zum Getragenen, Sentimentalen. Und: auch Streicher fanden bereits des Öfteren den Weg in seine Songs – ob nun bei Ben Folds Five, auf Solo-Werken oder auf Tournee (siehe die Live-DVD „Ben Folds and WASO Live in Perth“, die ein gemeinsames Konzert mit dem West Australian Symphony Orchestra dokumentiert). Nun also stellte er sich ein Klassik-Sextett zur Seite, um mit diesem acht neue Songs sowie ein dreiteiliges, zwanzigminütiges „Concerto For Piano And Orchestra“ einzuspielen und nebenbei die ein oder andere seiner oft so tollen, gewitzten, hintergründigen Geschichten zu erzählen. Gelungen ist das leider nur teilweise.

Dabei mangelt es – wie so oft – nicht an den Texten. Ben Folds weiß, wie er den Hörer zu Lachen, zum Weinen bringen kann (siehe das ewig große „Brick“ oder die große Elliott-Smith-Hommage „Late„). Ben Folds weiß, wie er Stücke mit doppelten Böden, zeitgeistigen Hakenschlägen und offen sezierten Gefühlsenden schreibt. Nur hört man all das auf „So There“ leider viel zu selten. Klar, „Capable Of Anything“ mag recht flott einleiten, „Phone In A Pool“ (fast) an den „alten“ Ben Folds erinnern, der Songreigen-Abschluss „I’m Not The Man“ (welches, den Gerüchten nach, tatsächlich für den Soundtrack des Al-Pacino-Films „Danny Collins“ gedacht war, von den Filmmachern jedoch abgelehnt wurde) fein sentimental ausfallen. Sonst bleibt jedoch von „So There“ (der Witz steckt hier bereits im Titel!) kaum etwas hängen – Klassik hin oder her. Festzustellen bleibt auch: Betrachtet man 20 Jahre Ben Folds, so fällt auf, dass er immer dann am besten war, wenn er die Balance zwischen rumpelnder Ätze und väterlicher Milde hielt. Stücke wie „Song For The Dumped“, „Rockin’ The Suburbs“ oder „Landed“ zogen ihre Stärke nicht nur aus der Form, sondern auch aus dem Inhalt. „So There“ bietet viele Fingerübungen, jedoch wenig Konkretes. „I stopped caring what you think about me“ – sieht ganz so aus. Schlagfertig geht definitiv anders. Und Ben Folds ohne Schlusspointe funktioniert einfach nicht.

 

 

Rock and Roll.

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3 Gedanken zu „Abgehört…

  1. […] Songs ab- beziehungsweise auffallen, herausstellt. So geschehen im vergangenen Jahr bei „Everybody’s Coming Down„, dem fünften Werk von The Good […]

  2. […] denn angebracht sein sollte (und das war es beim bisher letzten The-Good-Life-Werk „Everybody’s Coming Down“ – leider), auch nicht mit Kritik am Werk vom Kasher-Tim spare. Denn in den letzten […]

  3. […] hatte ich zuletzt kaum noch. Dafür war vor allem das letzte, 2015 erschiene The-Good-Life-Album „Everybody’s Coming Down“ einfach zu mies, und auch die 2013 beziehungsweise 2017 veröffentlichten letzten Alleingänge […]

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