Das Album der Woche


La Dispute – Rooms Of The House (2014)

la-dispute-rooms-of-the-house-erscheint bei Better Living/Big Scary Monsters/Alive-

Kinders, was war das für ein Bohei damals, im Herbst 2011. Die nicht eben für markige Schnellschussaktionen unbekannte VISIONS rief im Titel „Die Zukunft des Harcore“ aus und legte dem Ganzen dann gleich noch – wie als Beleg – das komplette (!), in Deutschland bis dato unveröffentlichte zweite Album einer noch recht jungen Band aus Grand Rapids/Michigan bei. Irre? Nur im ersten Moment (verbuchen wir’s unter „im Eifer für die Musik“). Vorschnell? Nope, keineswegs. Denn „Wildlife„, eben jenes Album der fünf bleichen Schlakse von La Dispute, war zwar im Gros ähnlich laut, drängend und stürmisch wie die Platten der Bands, mit denen sie, der Einfachheit der Kategorisierung halber, oft in einen Topf mit der markigen Aufschrift „The Wave“ geworfen wurden (Touché Amoré, Defeater, Pianos Become The Teeth oder Make Do And Mend, um nur ein paar zu nennen), aber irgendetwas… nein: vieles war – zumindest in meinen Ohren – so anders als bei den Alben der „Genre-Konkurrenz“. Und auch, wenn „Wildlife“ (bei mir) einige Zeit mehr benötigte, um vollends im Hörerherzen zu zünden, so schaffte es La Disputes zweites Werk doch wie wenige vor ihm (und keine danach – bislang), sich ebenso im Herzen wie in den Gehörgängen und Hirnwindungen festzusetzen. Warum nur? Immerhin boten die 14 Songs innerhalb der knappen Stunde Spielzeit doch – oberflächlich betrachtet – vor allem: Krach, Melodiehatz, gebrabbelte Erzählungen und Geschrei. Und da ich im Grunde nicht dem Hörertypus angehöre, der sich in seiner raren Freizeit freiwillig anschreien lässt, mussten schon gute – richtige gute! – Gründe für meine rückhaltslose Verliebtheit in „Wildlife“ her. Die waren freilich da und konnten beim Namen genannt werden: Frontmann Jordan Dreyer. Der milchbubihafte Anfangszwanziger machte bei La Dispute den gewissen Unterschied aus, erwies sich in den Stücken von „Wildlife“ als aufmerksamer Beobachter seiner direkten Umwelt, sammelte größtenteils schmerzhaft wahre Geschichten aus dem Leben auf (der Krebstod eines kleinen Jungen, der Amoklauf eines schizophrenen Kindes, die Shoot’n’Ride-Verfolgungsjagd eines Jugendlichen) und verpackte diese atemlosen Stories in Songs zwischen zwei und sieben Minuten, bei welchen er von seiner Post-Hardcore-Kapelle mal leise, mal im wilden Überschlag begleitet wurde. Das Gesamtergebnis ließ vor zwei, drei Jahren wohl jeden, der sich vollends darauf einließ, mit ähnlich weit gen Boden geklappter Kinnlade zurück und so schnell auch nicht mehr los. Schreibt es der zutiefst menschlichen Lust am Schlüsselloch-Voyeurismus zu, dem Geifern nach großen Emotionen oder der Faszination an packenden Erzählungen. Lyrisch ebenso feinsinnige, auf scheinbar überflüssige Details bedachte und dabei gleichsam fesselnd erzählende Musiker wie Jordan Dreyer muss man im aktuellen Musikgeschäft zweifellos lange suchen – mir fallen so ad hoc höchstens die großen Erzähler John K. Samson (The Weakerthans) oder Mark Kozelek ein. Und in lauteren Gefilden sitzt Dreyer, der für solch ein Niveau auch noch so verdammt junge US-Amerikaner, seit „Wildlife“ eh auf einem einsamen Thron…

La Dispute

Wie also soll man als Band an ein Album (noch dazu erst das zweite!) mit einem Intensitätslevel wie auf „Wildlife“ anknüpfen? Klar, man könnte es wie weiland Jeff Magnum machen, der unter dem Deckmantel seiner Band Neutral Milk Hotel in den Neunzigern mit „In The Aeroplane Over The Sea“ der bewegenden Biografie des jüdischen Mädchens Anne Frank ein überlebensgroßes (musikalisches) Denkmal setzte, um sich darauf vollends aus dem Musikgeschäft zurück zu ziehen (erst 2013 sollte die Band für ein paar Konzerte wieder zusammen finden). Oder es die US-Landsmännern von Brand New gleichtun, die 2006 mit „The Devil And God Are Raging Inside Me“ einen – in klanglicher wie lyrischer Hinsicht – ebenso brachialen wie fesselnden Intensitätsbrocken hinrotzten, und sich drei Jahre darauf mit ihren bislang letzten Album „Daisy“ dann vollends quer gegen alle großen Erwartungen zu stellen. Sicher, all das wäre möglich… Doch La Dispute gehen keinen dieser Wege. Und das Beste: Nicht einmal Stagnation liegt der Band. Wo zur Hölle also will Album Nummer drei dann hin?

La Dispute #1

Einen eventuell befürchteten krassen klanglichen Tapetenwechsel drei Jahre nach „Wildlife“ sucht man schon im Eröffnungsstück „HUDSONVILLE MI 1956“ vergebens: „There are bridges over rivers / There are moments of collapse / There are drivers with their feet on the glass / You can kick but you can’t get out / There is history in the rooms of the house“ – was Erzählfrontmann Jordan Dreyer (als „Gesang“ ließe sich sein mal zu sinistrer Ruhe, mal zu leicht hysterischem Überschwang tendierender Sprech-und-Geschreifluss auch anno 2014 nur schwerlich betiteln) da so in medias res einführt und mit scheinbar nebensächlichen Beobachtungen wie „After dinner / Do the dishes / Mother hums / The coffeemaker hisses on the stove / The steam a crescendo / The radio emergency bulletins and / Everywhere wind“ fortführt, soll die Grundlage für die folgenden 42 Minuten von „Rooms Of The House“ bilden, die bei genauerer Betrachtung eben doch Unterschiede zum Vorgänger offenbaren. Denn anders als noch in „Wildlife“, dessen Geschichten Dreyer so wirklich – mehr oder minder – im Dunstkreis seiner im Nordosten der USA gelegenen 200.000-Einwohner-Heimat Grand Rapids aufschnappte, beweist der Mittzwanziger beim dritten Album seiner Band mehr Mut zur Abstraktion und wagt in den elf neuen Stücken einen fiktiven Streifzug durch die emotionalen Zimmer einer in den Seilen hängenden Beziehung, um darauf nach deren tief sitzendem Dachschaden im gemeinsamen Oberstübchen zu suchen – denn der liegt auch hier in den kleinen, längst verschüttet geglaubten Dramen. Und so kann man in den miteinander konkurrierenden Schilderungen von scheinbar Abseitigem und Alltäglichem – die Gedanken kurz vorm Einbrechen ins Eis in „First Reactions After Falling Through The Ice“, die Szenerien von Autounfällen in „SCENES FROM HIGHWAYS 1981-2009“ oder „35“, die Einsamkeit nach einem Schneesturm in „Extraordinary Dinner Party“, die Beziehungskrisen in „For Mayor in Splitsville“, das familiäre Todschweigen über eine Todgeburt in „THE CHILD WE LOST 1963“ – auch gut und gern tiefere Ebenen vermuten, die Dreyer unter einer Menge allgemeingültigen Gefühlen versteckt. Und: La Dispute, die sich für den Schreibprozess zum neuen Album gemeinsam mit Produzent Will Yip (u.a. Polar Bear Club, Title Fight) in eine Holzhütte mitten ins Nirgendwo der Wälder von Michigan verzogen, gehen dabei auch noch ausgesprochen clever zu Werke, setzen der hinterrücks durchgezogenen Streifzug-Attacke ihres Frontmanns eine Instrumentierung entgegen, die zwar im Grunde schon noch an jene refrain- und strukturfreien Haudrauf-Momente von „Wildlife“ erinnert (etwa im ersten Vorab-Song „Stay Happy There“), oft genug jedoch die Maxime „Weniger ist manchmal mehr!“ walten lässt. So fahren an vielen Stellen nur noch ein, zwei spröde Gitarrenspuren unter Dreyers Worte, halten Drum Computer, direkt pumpende Basslines und beinahe luftiges Alternative-Rock-Gitarrenpicking, das an den experimentellen Elan der Red Hot Chili Peppers zu deren besten Zeiten gemahnt, Einzug ins Klangbild von La Dispute (in den Lufthol-Momenten von „Woman (in mirror)“ und „Woman (reading)“ – letzteres übrigens benannt nach einem Gerhard Richter-Gemälde). Vielleicht liegt hier auch der größte Trumpf der Band verborgen: in der Erkenntnis, dass man „Wildlife“ weder eine Krone on top setzten kann noch muss. Stattdessen schlagen La Dispute auf „Rooms Of The House“ tausend neue Wege ein und fesseln dabei mit nicht minder wenigen emotionalen und musikalischen Fassetten, die 2014 zwar weiter gefächert und eventuell imaginativer um die Ecke biegen, das Quintett, welches zu Teilen mittlerweile auf komplett anderen Kontinenten beheimatet ist (Frontmann Jordan Dreyer wohnt noch immer in Grand Rapids, während es Gitarrist Brad Vander Lugt der Liebe wegen nach Australien verschlagen hat), jedoch vor der drohenden Genre-Sackgasse bewahren. Freilich bietet „Rooms Of The House“ nicht die großen, mächtigen Drama-Explosionen wie „King Park“ oder „Edward Benz, 27 Times“, die noch 2011 beinahe alle anderen Song-Kumpane auf „Wildlife“ in den Schatten zu stellen drohten. Nein, für Wiederholungen sind La Dispute zu gewieft, zu talentiert! Stattdessen setzt die Band den Fokus beim dritten Album auf die grauen Wolken, die ab und an den Blick auf vielsagende Alltäglichkeiten freigeben. Und wenn Jordan Dreyer in der abschließenden Stillleben-Beschreibung „Objects in Space“ all seine Habseligkeiten und Andenken auf dem Fussboden ausbreitet, dann hat man längst aufs Neue sein Herz an diesen jungen Nostalgiker mit der spitzen Feder verloren…

“You have all these ordinary things in your life that develop their own history in the memories you share with another person, and once you lose that person all of those things continue to remain. The album started out being about a fictional couple and then over time it developed into more of a sweeping narrative about common space and history and about the history of objects. What happens to them after things dissolve, how they end up being reappropriated into something else.” (Jordan Dreyer)

la-dispute-rooms-of-the-house

 

 

„Rooms Of The House“ steht HIER noch immer in voller Länge im Stream bereits, die Texte findet ihr sowohl auf dem YouTube-Kanal der Band als „Lyrik Videos“ als auch auf La Disputes Homepage. Und wer den grandiosen, drei Jahre zurückliegenden Vorgänger „Wildlife“ bislang noch nicht gehört hat, der kann – und sollte! – dies via Bandcamp nachholen.

Wer neben der akustischen auch noch eine optische Komponente benötigt, der kann anhand des Musikvideos zum neuen Song „For Mayor in Splitsville“…

 

…und dieser gut 40-minütigen Live Session, welche La Dispute im März 2012 für das Online-Musikportal Audiotree in Chicago einspielten, seinen Vorlieben nachgehen:

 

Auch soll keinesfalls verschwiegen werden, dass die Band in den kommenden Wochen für einige Konzerte nach „good ol‘ Europe“ kommt. Hier die Termine für Deutschland:
27.04.14… München – Strom
28.04.14… Leipzig – Conne Island
29.04.14… Dresden – Beatpol
30.04.14… Köln – Palladium
01.05.14… Hamburg – Markthalle
03.05.14… Bochum – Matrix
04.05.14… Stuttgart – LKA Longhorn
05.05.14… Schweinfurt – Stattbahnhof *NEU
06.05.14… Wiesbaden – Schlachthof
07.05.14… Trier – Exhaus
08.05.14… Hannover – Musikzentrum
09.05.14… Berlin – Magnet

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

2 Gedanken zu „Das Album der Woche

  1. […] Wave“-Bands wie La Dispute oder Pianos Become The Teeth ein, deren aktuelle Alben („Rooms Of The House“ beziehungsweise „Keep You„) ja auch schon einen Schritt weg vom dumpfen […]

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