Kristian Harting – Float (2014)
-erschienen bei Exile On Mainstream Records-
Im Jahr 2001 kämpfte sich ein Mann namens John Frusciante mit der Veröffentlichung seines gefühlten Solodebüts „To Record Only Water For Ten Days“ seinen höchst privaten Weg zurück ins Leben. Zwei Jahre zuvor hatte der saitenvirtuose On/Off-Gitarrist mit seiner damaligen Stammband, den Red Hot Chili Peppers, und dem gemeinsamen – und bis heute wohl qualitativ unerreichten – Album „Californication
“ bereits die Rückkehr auf die großen Rockbühnen der Musikwelt gefeiert. Und doch war es die fünfzehn Stücke jenes „To Record Only Water For Ten Days“, dessen Titel mit Meditationsbildern tief stapelt, mit denen der damals 31-Jährige aus den rockstar-liken Drogensümpfen der todgeweihten Neunziger endlich wieder bei sich selbst ankam. Als Mittel zur Findung des inneren Gleichgewichts wählte der scheue Freigeist die Einsamkeit und nahm lediglich seine geliebten Gitarren, ein paar Effektgeräte und Sampler mit. Heraus kam eine 43-minütige klangliche Tour de Force, der man zu jeder Zeit ihre windschiefe Dringlichkeit anhörte, während Frusciante um sein Leben spielte. Freilich: nahezu perfekt sollte erst der in den kommenden Jahren (bis 2005) veranstaltete Veröffentlichungsmarathon aus Alben, EPs und allerlei Kollaborationen geraten. Doch derart zu Herzen ging bei vielen Hörern nur „To Record Only Water For Ten Days“.
Warum ich über eine Spanne von mehr als zehn Jahren derart aushole? Nun, der aus Kopenhagen stammende Däne Kristian Harting scheint in seiner jüngeren Biografie eine nicht unähnliche seelische Tour de Force durchlebt zu haben. Eine schwere Zeit, um die der zurückhaltende Musiker auch heute noch lieber weniger Worte machen möchte. Da er das Gefühl hatte, damit allein und für sich selbst klarkommen zu müssen, ließ er seine damalige Stammband, DreamJockey, kurzerhand links liegen, packte seine Siebensachen, nur das Nötigste, seine Gitarre, einen Moog-Synthesizer und ein paar Effektgeräte zusammen und verzog sich in die Einsamkeit. Erst als Harting das aufkeimende Gefühl der innerlichen Gesundung beschlich und er ausreichend Songs für sein Solodebüt beisammen hatte, trat er zurück ins Leben. Mit „Float“ gewährt er dem Hörer nun Einblick über die Klippen physischer wie psychischer Abgründe hinaus. Doch was sich für den Moment ließt wie die klangliche Anleitung zur gepflegten Depression, ist am Ende wohl kaum so wild. Dabei strahlt bereits das in Schwarz-weiß gehaltene Cover, welches das Gesicht des Musikers in frontaler Direktheit zeigt, eines aus: Es wird ernst. Ein Widerspruch? Natürlich, denn „Float“ erzählt vom Leben…
„Soul Collector“ eröffnet mit spärischen Gesängen, die mehr und mehr durchs Feedbackraunen brechen, bevor sich die Akustikgitarre und Hartings glockenhelle Stimme ihren Platz erkämpfen: „Anything that comes to mind / Anything that comes from the heart / Anything that comes from the mind / Anything that goes to the heart / Have faith / Faith is blind / See nothing tear us apart“ – ohne Umschweife nimmt einen bereits das erste Stück mit ins Herz der Nacht. Im darauf folgenden „Feathered Ghosts“ bildet denn auch Frusciantes „To Record Only Water…“ einen sicheren Referenzhafen, wird doch auch hier mit minimalen LoFi-Mitteln (eindringliche Stimme, Hall und Akustische) sowie allerlei Effektgeräten gespenstisch Großes erzeugt: „I wanna make friends with my ghosts / I wanna know all that they know“. In ähnliches Fahrwasser schlagen auch der Momentstampfer „Queen Of The Highway“, das zu The Shins-Folk schippernde und beinahe unerhört poppige „Sole Dancer“, die mit massig Endzeitlichkeit á la Thom Yorke (der Solo-Yorke, nicht der Radiohead-Yorke!) und einprägsamen Textteilen („You breathe / But do you live?“) ausgestattete „Kamikaze“ – Kristian Hartings Stücke fußen ganz traditionell auf Gitarre und Stimme, denen mal hier mit leichten Hallhöhen Weite verliehen wird, bevor Moog-Sythesizer und ein kleines Arsenal an Effektgeräten den Songs experimentelle Noten und – im besten Fall – individuellen Glanz verleihen. Dem stehen auch das knapp zweiminütige Zwischenspiel „Walk With Thor“, wenn man so will die dänische Auslegung des Tim Buckley-Evergreens „Song To The Siren“, die von Loop-Schleifen getragene Abarbeitung an den Wirren der Zweisamkeit, „First Applause“, und das beinahe Beatle’eske „Balance“ in nichts nach. Wenn Harting im Quasi-Abschluss des Titelstücks mit nahezu meditativer Gleichmütigkeit und der Grabestimmlage eines Mark Lanegan „All I want is to float like this / All I want is to float like oil from sinking ships… onto the sea“ singt, Effekte immer wieder Schiffshörner ins Gedächtnis rufen und die Akustikgitarrennoten gegen Ende der knapp fünf Songminuten an raunende Riffe schlagen, dann wird wohl so manches Herz schwer vor Melancholie. Und im Grunde könnte nun Schluss sein. Harting schickt jedoch noch das puristische „Precious Freedom“ nach: „Don’t really want your precious freedom / It’s a mental vacuum / It’s a lie / All it ever made me was slay / I drift on a dark tide away / Don’t really need your recognition / Your sad little fiction / Your dreams / As golden and rich they may seem / As loud you may, as loud you may scream / All I wanna do is give love, give love to you / All I need to do is give love to you / And save them all“ – innerlich zerrissen ist dieses Werk bis zum Ende hin. Und trotzdem wird schon alles. Und trotzdem, trotzdem wird alles gut.
„Float„, das Solodebüt des singenden Bassisten (in den Bands DreamJockey, Siku und The Yes Wave) Kristian Harting, führt den Hörer auf eine 33-minütige spirituelle Reise ins Herz der Nacht. Dass man den Dänen der im Grunde recht traditionellen Arrangements, der Vorliebe für melancholische Gefilde und – klar! – seiner Herkunft wegen schnell in der Nähe von „Scandinavian Cowboys“ wie Kristoffer Åström oder Christian Kjellvander verorten mag, ist dabei ebenso Plattitüde wie Ehrung. Doch auf den zehn Stücken des Albums klingen ebenso Folk-Meister wie Bonnie ‚Prince‘ Billy, Cat Stevens oder Glen Hansard an, während in experimentelleren Passagen gar Avantgardisten wie Sonic Youth oder die Tindersticks ums Eck lugen. Dabei ist „Float“ zwar das wahrhaft existenzialistische Werk eines Drüblers, Einzelgängers und Zweiflers, jedoch keinesfalls eine pessimistische Einbahnstraße ohne Ausweg. Im Grunde musste hier einfach etwas raus: „In diesem ganzen privaten Chaos gab es letztlich nur einen Ausweg: ich musste wie Wasser sein – einfach fließen. Nicht nachdenken, nicht versuchen, irgendwas zu organisieren oder zu kontrollieren. Einfach fließen, nichts brechen, mich nicht gegen etwas stemmen, das Feuer langsam verlöschen lassen, statt zu versuchen, es auszublasen. Es war eine spirituelle Reise. Ein Test.“ An dessen Ende steht auch für Kristian Harting noch immer eine Gewissheit: „Wo Schatten ist, ist auch Licht.“ Und wie könnte man all diese Review besser beschließen als mit Worten wie diesen: „Mein Wunsch ist, dass jeder, der dieses Album hört, die Hoffnung spürt, die ich damit ausdrücken will – so hart die Zeiten auch waren, in denen es entstanden ist.“ Der Rest ist Lauschen, Rauschen, Fließen…
Hier kann man sich das Album in voller Länge zu Gemüte führen…
…während man sich anhand dieses Mitschnitts einen kurzen Eindruck von Hartings Live-Qualitäten holen kann:
Rock and Roll.
[…] vor wenigen Wochen präsentierte ANEWFRIEND “Float“, das Solo-Debüt des dänischen Singer/Songwriters Kristian Harting, als “Album der […]
[…] den frühen Neunzigern in Bands von Trash Metal bis Noise Pop, bis er 2014 sein Solodebüt „Float“ veröffentlicht. Inzwischen beim dritten Album „The Fumes“ angelangt, glaubt […]