Ein Konzert am All Hallows‘ Eve? Wer spielt? Die im Rückspiegel leidlich lustig wirkende Schockrock-Kröte Alice Cooper, dessen Neunziger-Jahre-Update Marilyn Manson (dessen Karikatur sich mittlerweile ebenfalls selbst überholt haben dürfte), meinetwegen auch das leblose Popmusikmarketinggesamtkunstwerk Lady Laga oder – wer’s platter und mit höherem Gossip-Faktor mag – das so pussierlich wie krampfhaft und verzweifelt gegen ihr einstiges Disney-Image ankämpfende Sternchen Miley Cyrus wären da durchaus passend… Aber Herrenmagazin?
Glücklicherweise schert sich das aus dem norddeutschen Hamburg stammende Quartett wohlmöglich wenig um irgendwelche irischen Bräuche, und so dürfte wohl am ehesten der planmäßige Zufall des Tourneeablaufs Deniz Jaspersen (Gesang, Gitarre), König Wilhelmsburg (Gitarre), Paul Konopacka (Bass, Gesang) und Rasmus Engler (Schlagzeug, und bitteschön in keinerlei Verwandtschaft zum sagenumwogenen Pur-Frontmann Hartmut Engler stehend) samt Instrumenarium in die Katalomben des Aachener „Musikbunkers“ gespült haben. Glücklicherweise hatte sich die seit 2004 gemeinsame Sache machende Band den kleinsten der Bunker-Konzerträume für ihr insgesamt zweites Aachen-Gastspiel (der letzte Besuch fand vor zwei Jahren statt) ausgesucht, in dem die Ein-Mann-Vorband EAIS (aka. der ebenfalls aus Hamburg mitgereiste Julian Schäfer, der im Anschluss praktischerweise den Merchstand betreute) pünktlichst kurz vor 21 Uhr begann, das allmählich zahlreicher aus der abendlichen Herbstluft hereinströmende Publikum mit seiner melancholischen Indie-Folktronica warm zu spielen. Schön anzuhören, das Ganze – doch trotz markanter, recht angenehmer Stimmfarbe nutzte sich die mal mit Elektronikloops und -schleifen, mal mit Gitarrenakkorden versetzten Stücke Schäfers während seines halbstündigen Sets, im Zuge dessen Herrenmagazin-Stimme Jaspersen sogar schon einmal als Gastsänger glänzte, doch etwas schnell ab…
Dann jedoch: Herrenmagazin! Sie bahnten sich ihren Weg durch den mit vielleicht 50, vielleicht 60 Besuchern bereits pickepackevollen kleinen „Bunker“-Saal, griffen sich ihre Instrumente – und nahmen bereits mit dem Eröffnungsstück „Erinnern“ das Publikum im Sturm. Zugegebenermaßen: Die anwesenden Damen und Herren, die dem Anschein nach vom Bankangestellten bis zum Rockfan mittleren Alters (sogar einige Leute aus den benachbarten Niederlanden waren – deutschsprachigen Texten zum Trotz – angereist), vor allem jedoch aus der örtlichen AJZ-Stammkundschaft akquirierten, machten es Deniz Jaspersen & Co. auch wahrlich leicht – beinahe jede Textezeile wurde der Band lauthals entgegen geschrien, die vorderen Reihen tanzten und hüpften ausgelassen, bevor die feuchtfröhlichen Bierpunks eine kurze Pogo-Einlage in der Mitte des Publikums starteten. Eigentlich schon komisch, so eine Stimmung bei einer Band, die seit Erscheinen ihres Debüts „Atzelgift“ vor fünf Jahren mit pinkfarbenem Hamburger Schule-Indierock und Textzeilen wie „Ich glaube daran, dass alles vorbeigeht / Ich glaube, dass sich die Waage hält / Ich glaube ja doch an die Hoffnung / Aber nicht an eine bessere Welt / Ich glaube an das schlechte Gewissen / Ich glaube an den Untergang / Ich glaube, man sollte über alles lachen / Worüber keiner lachen kann“ („In den dunkelsten Stunden“), „Die Träume, die Du sammelst, sind nur Müll / Doch das merkst Du nicht“ („Geröll“) oder „Deine Gedanken sind lebhaft / So wie Frösche im Sprung / Doch bleibt ihre Heimat / Ein stinkender Sumpf“ („Frösche“) als zum Meckern und Ankreiden neigendes Sympathenkollektiv von sich Reden macht – muss wohl diese viel beschworene juvenile „Verbrüderung gegen den Rest der Welt“ sein… Jaspersen und seine drei Bandkumpels jedenfalls liessen sich ohne Umschweife von der guten Aachener Laune anstecken, grinsten in einer Tour einander an und zurück ins Publikum, überbrückten mit herrlich unbeholfen ins Nirgendwo laufenden Kommentaren etwaige Instrumentstimmpausen – und machten vor allem eines: sie rockten! Denn egal, ob nun gerade ein Song vom Debütalbum, vom Nachfolger „Das wird alles einmal dir gehören
“ (2010) oder vom neusten, diesen März veröffentlichten Werk „Das Ergebnis wäre Stille
“ anstand – die Stücke kamen durchgängig mit einem Tick mehr an Spielfreude, Verve und Energie aus den Boxentürmen. Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Keines der drei Alben ist an sich schlecht oder lahmarschig in der Hüfte – nur steht diese rohe, präzise auf Indie-Kellerclub getrimmte Präsentation Stücken wie „Krieg“ oder „In toten Hügeln“ eben tausendmal besser als das letztendlich doch kalt abgemischte Studioambiente… Die Band jedenfalls war sichtlich stolz auf ihren „fünften Mann“, der sich als überraschend textsicher erwies und Herrenmagazin nach etwa 70 Minuten von der Bühne verabschiedete. Und siehe da: In der Mitte des Konzerts, beim Song „Gespenster“, bekam der Auftritt doch noch seine unverhoffte Halloween’sche Berechtigung: „Die Kadaver auf den Seitenstreifen / Und Gespenster in den Autos / Die ganze Welt gepflastert mit Leichen / Wir steigen drüber und lachen laut los…“
Konzertimpressionen? Bekommt ihr hier:
Und da Töne immer noch mehr sagen als tausend wirre Worte, gibt’s hier die Musikvideos zu „Frösche“…
…und „Landminen“, welche beide auf dem aktuellen Album „Das Ergebnis wäre Stille“ zu finden sind:
Wer gern wissen möchte, wiezurhölleverdammich denn Herrenmagazin im rein akustischen Gewand klingen würden, der sollte mal eben hinüber zu TV Noir wechseln, denn im Rahmen der Konzertreihe haben Deniz Jaspissen & Co. bereits mehrfach selbstgewählt den Stecker gezogen…
Und natürlich soll auch die Ein-Mann-Vorband nicht zu kurz kommen: Hier könnt ihr euch drei Stücke von EAIS‘ Demo-EP anhören:
Rock and Roll.