The National – Trouble Will Find Me (2013)
-erschienen bei 4AD/Beggars/Indigo-
Auch wenn ich mich mit dieser Behauptung heftigst versteigen sollte: The National sind der BVB des gefühligen Indierocks. Denn genauso wie der (leider!) frischgebackene westfählische Champions League-Zweite zählt das 1999 in Cincinnati, Ohio gegründete – und mittlerweile in der Metropole New York beheimatete – Quintett seit Jahren zu den Kritikerlieblingen. Denn genauso wie Borussia Dortmund wird auch The National seitens ihrer Fans eine frenetisch bejubelte innige Liebe zuteil, und eine gefühlte Bedeutung, die – im Bereich der populären Musik – wohl sonst nur Stadionattraktionen wie U2, Muse oder Coldplay besitzen dürften. Sänger und Frontmann Matt Berninger trägt dazu einen Jürgen Klopp-Gedächtnisvollbart zur Schau, und auch bei ihm scheint irgendwo hinter der mal grimmig dreinschauenden, mal süffisant lächelnden Miene stets ein weiterer genialer Hintergedanke aufzublitzen. Doch der ganz große Wurf, der Nummer-Eins-Hit, ist The National bisher noch nicht gelungen. Denn wie der BVB gingen sie mit ihren bisherigen fünf Alben – das erste, das selbstbetitelte Debüt, erschien 2001, das letzte, „High Violet
„, erschien 2010, und brachte der Band die redlich verdiente internationale Beachtung – eben auch ihren ganz eigenen Weg – in der Überzeugung, genau das Richtige zu tun…
Um nun endgültig in der Stadionrock-Liga anzukommen, hätte es wohl eines Albums bedarft, dass die eingängigen Stücke von „High Violet“ noch mehr, noch direkter auf Instant Hit getrimmt hätte. Und doch waren The National nie diese Art von Band. Ihre Alben waren stets Grower. Bei aller Schönheit war da selten ein Song, der den Hörer sofort packte. Nein, ihre Alben musste man sich zwar keinesfalls schönhören – denn Schönheit war stets im Überfluss vorhanden -, aber: erarbeiten. Und hatte man einmal die magische Schwelle überschritten, so wurden sie zu beständigen Begleitern, zu umarmenden akustischen Freunden. Zu Gesamtkunstwerken, denen man auch nach jahrelanger Heavy Rotation noch nicht überdrüssig wurde. Und die so beinahe alles von U2, Muse oder Coldplay mit spielerischer Klasse überdauern werden…
Noch krasser und offensichtlicher fällt dem Hörer diese insgeheime Verweigerungshaltung gegen den letzten Schritt zum endgültigen Durchbruch auf dem neuen, dem sechsten Album „Trouble Will Find Me“ auf. Eine getragene Ballade als Einstieg, die sich in Trägheit bedächtig nur um sich selbst drehen mag? Klar doch! Matt Berninger gibt dazu im gewohnt tollen Bariton schon in den ersten Minuten den reuigen Sünder: „I should live in salt for leaving you behind“. Anders macht es im Anschluss auch „Demons“ nicht, in dem Berninger tagträumend und gedankenverloren durch den morgendlichen Big Apple zu huschen scheint: „When I think of you in the city / The sight of you among the sites / I get this sudden sinking feeling / Of a man about to fly / Never kept me up before / Now I’ve been awake for days / I can’t fight it anymore / I’m going through an awkward phase / I am secretly in love with / Everyone that I grew up with“. Erst in „Don’t Swallow der Cap“ kommt zu den rhythmischen Schlagzeugschlägen von Bryan Davenport so etwas wie Fahrtwind auf – und doch mag Berninger auch hier nicht von der Henkeltasse der bittersüßen Melancholie lassen: „Everything I love is on the table / Everything I love is out to sea / I have only two emotions / Careful fear and dead devotion / I can’t get the balance right / Throw my marbles in the fight“. Wüsste man es als langjähriger Begleiter der Band nicht besser, man müsste sich ernsthaft Sorgen um die psychische Gesundheit des Sängers machen… „Fireproof“ ist darauf The Nationals Würdigung des 2003 verstorbenen Singer/Songwriters Elliott Smith – allerdings wird dies eher indirekt und anhand von halbkryptischen Zeilen wie „You’re a needle in the hay / You’re the water at the door / You’re a million miles away / Doesn’t matter anymore“ und der Erwähnung einer „Jennifer“, womit gut und gern Smiths letzte Freundin Jennifer Chiba gemeint sein könnte (der damals 34-Jährige soll sich nach einem Streit mit ihr das Leben genommen haben), offensichtlich. Die aktuelle Single „Sea Of Love“ dürfte wohl eines der Highlights auf „Trouble Will Find Me“ darstellen. Zu antreibendem Schlagzeugpoltern gibt Berninger zwar auch hier den liebeskranken Tresenbruder – und dem Album in den Zeilen „If I stay here trouble will find me / If I stay here I’ll never leave / If I stay here trouble will find me / I believe“ seinen Titel -, aber: hey, wie könnte man das Piano, die Mundharmonika und den Hintergrundchor, wie könnte man süffisant tönende Zeile wie „I see you rushing now / Tell me how to reach you / I see you rushing now / What did Harvard teach you?“ denn bitte nicht lieben? In den darauf folgenden Stücken verliert sich die Band weiter in ihren stillen Kleinoden aus Gitarre, Bass, Piano, dezenter Percussion und kleinen Hintergrundsoundsperenzchen, bei denen jeder Ton an seinem Platz scheint, die ihre Stimmung nur in Nuancen variieren, und Berninger mehr als einmal mehr die nahezu perfekte Basis für dessen lyrische Glanzleistungen bereiten. Weitere Beispiele gefällig? Na, aber gern! „I don’t need any help to be breakable, believe me / I know nobody else who can laugh along to any kind of joke / I won’t need any help to be lonely when you leave me“ (aus „Slipped“), „And all the L.A. women / Fall asleep while swimming / I got paid to fish her mind / And then one day I lost the job“ (aus der leicht gehetzten Westküstenmär „Humiliation“), „I’m so surprised you want to dance with me now / I was just getting used to living life without you around / I’m so surprised you want to dance with me now / You always said I held you way too high off the ground / You didn’t see me I was falling apart / I was a white girl in a crowd of white girls in the park / You didn’t see me I was falling apart / I was a television version of a person with a broken heart“ (aus der sehnsüchtigen Liebesfantasie „Pink Rabbits“). Jedoch sollte – nein: muss! – „I Need My Girl“ hier noch einmal exponiert erwähnt werden, einfach, weil es eines der simpelsten und schönsten, eines der reduziertesten und berührendsten Liebeslieder der letzten Jahre ist. Weil ich The National für solche – man entschuldige mir eine gewisse Simplifizierung, aber es ist nunmal so – schönen Stücke seit Jahren innigst liebe! Magie, hier hast du dich versteckt! A propos „Magie“: die fängt die New Yorker Band im abschließenden „Hard To Find“ noch einmal für gut vier Minuten ein. Und einen versöhnlicheres Ende hätte Berninger auch kaum wählen können: „What I feel now about you then / I’m just glad I can explain / You’re beautiful and close and young / In those ways we were the same / There’s a lot I’ve not forgotten / I let go of other things / If I tried they’d probably be / Hard to find „. Die Liebe, sie siegt – wenn auch nicht ohne Komik, Tragik und Wirrungen. Wenn auch nicht ohne bittersüße Fußnoten…
Natürlich: „Trouble Will Find Me“ dürfte auf den ersten Blick – respektive: beim ersten Hören – wohl das vermarktungstechnisch ungünstigste Album sein, dass The National hätten machen können. Zu wenige der insgesamt dreizehn Stücke stechen für den großen Hit genug durch den wohlig düsteren Nebel, zu wenig Uptempo-Nuancen bilden sich hierfür heraus. Liebend gern wird man ein Album wie dieses wohl auch im kommenden Herbst hervor holen – doch für den Sommer, der sich bisher nicht so recht einstellen mag, scheinen diese Songs zuerst einmal gänzlich ungeeignet (noch einmal: ich schreibe hier ausdrücklich über den Erfolg bei der „breiten Masse“!). Und doch ist gerade „Trouble Will Find Me“ The Nationals „Wein-Album“, mag wohl kein anderes Getränk besser zum Gehalt dieser Stücke passen als ein gutes Glas Merlot. Und wie ein guter Tropfen benötigen die neuen Songs Zeit – zum Reifen, zum Atmen, zur Entfaltung ihrer Wirkung. Matt Berninger stellt dabei einmal mehr seine Klasse als lyrischer Feingeist unter Beweis, während seine Bandkumpane, das jeweilige Geschwisterdoppel aus Aaron und Bryce Dessner (Gitarren) sowie Bryan (Schlagzeug) und Scott Davenport (Bass), ihrem Frontmann stilsicher den Rücken freihalten und erneut für den ganz eigenen Bandsound sorgen (wobei Bryan Davenport hier erneut zu erwähnen ist, denn einmal mehr stellt er sich als feinsinnig aufspielender und rhythmisch versierter Schlagzeuger heraus). Dass hier eine ganze Armada an Gesamtmusikern wie Sufjan Stevens, Annie Clark (aka. St. Vincent), Sharon Van Etten, Richard Reed Perry (Arcade Fire), Doveman oder Nona Marie Invie (Dark Dark Dark) im Hintergrund mitmischt? Geschenkt, denn so schön diese Auf- und Abtritte auch als Randnotizen sein mögen, so sehr diese Infos auch den Stellenwert, den The National mittlerweile selbst im Kollegenkreis innehaben mögen, unter Beweis stellen, so unwichtig sind diese doch auf einem Album wie „Trouble Will Find Me“, das erneut von den Dessner-Brüdern selbst produziert wurde.
Mit ihrem sechsten Album, das im Booklet Kunstwerken von Freunden, Bekannten und Verwandten eine stilechte visuelle Bühne bietet, machen es sich The National zwar keineswegs einfach(er). Jedoch kann man ein Werk wie „Trouble Will Find Me“, das Klasse ganz klar vor die schnelllebige Masse stellt, gar nicht genug loben. Auch das neuste Album der Band aus dem Big Apple, die kürzlich für eine New Yorker Kunstausstellung ihr Stück „Sorrow“ (vom Vorgänger „High Violet“) ganze sechs (!) Stunden am Stück zum Besten gaben, ist ein Grower sondersgleichen. Freilig wurden Matt Berninger und Co. auch nun wieder mit einhelligem Kritikerlob überhäuft, denn wen dieses Album, dass den Hörer unter eine wohlige Decke aus melancholischen Großstadtgänsehautgeschichten packt, ganz und gänzlich kalt lässt, der muss ein tumber Stein sein. Matt Berninger gibt derweil wieder den Jürgen Klopp und grinst verschmitzt in sich hinein. Denn auch er weiß: Mag die Entwicklung seines „Herzensprojektes“ auch zwei, drei Jahre länger dauern – sein Weg ist der schönste. Sein Weg ist der beständigste. Sein Weg ist der beste.
Hier gibt’s noch einmal das neuste The National-Video zum wohl eingängigsten Stück des Albums: „Sea Of Love“…
…sowie eine Live Version des zweiten, stillen Albumhighlights „I Need My Girl“, welches sich bereits seit Jahren im On/Off-Liverepertoire der Band befindet (diese Version stammt von 2011):
Außerdem kann man sich hier das Stück „Don’t Swallow The Cap“ anhören:
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