Yeah Yeah Yeahs – Mosquito (2013)
-erschienen bei Polydor/Universal-
Niemand kann behaupten, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein…
Immerhin feiern die Yeah Yeah Yeahs, jenes sehr New York’sche Trio um Frontfrau Karen O, in diesem Jahr das dreizehnte Jubiläum ihres Bestehens. Und was war das damals, Anfang des neuen Jahrtausends, für ein Getöse um all diese jungen, aufstrebenden Bands aus den Künstlervierteln des „Big Apple“: The Strokes, TV On The Radio, The Hold Steady – all diese hippen, frischen, aufregenden Bands drohten England, dem Mutterland von Pop’n’Rock, plötzlich den Rang abzulaufen (ein im Grunde unnötig angeheizter Wettstreit, der jedoch dem ständigen Neuerungsgedanken der Musikszene nur dienlich sein konnte). Wer angesagt und dabei sein wollte, den zog es in den kommenden Jahren konsequent nach Brooklyn oder Williamsburg, wo fortan Mieten und neue Proberäume fröhlich hochgezogen wurden. Gitarrist Nick Zinner, Schlagzeuger Brian Chase und ihre charismatische Frontchanteuse Karen O waren als – mindestens – Langzeit-New Yorker natürlich mittendrin im Geschehen. Und die drei hätten zu dieser Zeit auch kaum einen besseren Startplatz finden können, schließlich stießen bereits ihre ersten, 2001 beziehungsweise 2002 veröffentlichten EPs (die „Yeah Yeah Yeahs“ EP und die „Machine“ EP) auf dermaßen neugierige Ohren, dass ihr 2003 auf den dürstenden Musikmarkt geworfenes, von TV On The Radio-Chefsoundtüftler David Andrew Sitek produziertes Debüt „Fever To Tell“ quasi nur ein indie-öffentlichkeitswirksamer Start-Ziel-Siegeszug werden konnte. Zu recht? Nun, allein Songs wie „Date With The Night“, „Cold Light“ oder „Y Control“, in denen die Yeah Yeah Yeahs den Punkrock mit all seinem Schweiß, Dreck und Rotz von den schäbigen Miefclubs und Garagenproberäumen direkt auf die mittelgroßen Bühnen von Los Angeles, Berlin oder Tokyo transportierten, sollten für sich sprechen. Ganz nebenbei zeigte sich Miss O wie selbstverständlich auch von ihrer verletzlichen Seite – und brachte mit „Maps“ einen dieser großen Dreieinhalbminüter an den Start, deren zeitloser Intensität man wohl nie überdrüssig wird. Überhaupt: Karen O – er muss ihr wohl im halb koreanisch- (Mutter), halb polnischstämmigen (Vater) Blut liegen, dieser beinahe sekundenschnelle Wechsel von fauchendem Biest zu introvertiertem Liebchen. Und sollte man sich je fragen, wo der kreisende Stilzeiger der Yeah Yeah Yeahs gerade steht, so muss man sich nur den aktuellen Look der 35-Jährigen anschauen. Waren zum Debüt noch punk’sche Lederkluft, Schlabbershirt und zerrissene Jeans angesagt, so wurde Karen Os Look immer verspielter, schriller, mutiger – ja: selbstbewusster. Denn von Album zu Album wuchsen die innere wie äußere Sicherheit der Yeah Yeah Yeahs stetig, verwandelte sich Karen O von der rotzenden Rockröhre zur stilsicher den Trends vorauseilenden Indie-Ikone, die sich gern auch auf musikalischen Nebenschauplätzen abseits ihrer Hauptband betätigte (etwa beim Soundtrack zur Spike Jonze-Kinderbuchadaption „Where The Wild Things Are“ oder beim gemeinsamen Covern des LedZep-Klassikers „Immigrant Song“ mit Trent Reznor und Atticus Ross, welches auf dem Soundtrack zu „The Girl With The Dragon Tattoo“ zu finden ist). Und: ja, dies sollte erwähnt werden, denn mit diesem Wissen ergeben die Nachfolger zum weltweit mehr als eine Million Mal über die Ladentische gewanderten „Fever To Tell“ erst richtig Sinn… Schlich sich die Band mit dem 2007er Zweitwerk „Show Your Bones
“ noch heimlich aus den Punkschuppen und öffnete ihren Stil langsam für mehr Eingängigkeit und Vielfalt, wurde bereits auf dem 2009 veröffentlichten „It’s Blitz!
“ ausgiebig mit Synthesizern und großen, fiesen Diskokugelhymnen experimentiert. Dem bedauerlichen Fakt, dass dabei für einen Moment ebenso der Gitarrenvirtuose Nick Zinner wie auch Karen Os ohnehin beständig faszinierende Textkunst in den Hintergrund gedrängt wurden, darf man wohl zugute halten, dass sich die Yeah Yeah Yeahs stets auf die Bandfahnen geschrieben haben, Stillstand oder Wiederholungen tunlichst zu vermeiden. Löblich, allemal.
Und auch das neue, vierte Album „Mosquito„, bei dem neben den beiden Stammproduzenten Nick Launay und David Andrew Sitek erstmal Ex-LCD Soundsystem-Chef James Murphy hinter den Reglern saß, weicht nicht vom Kurs des stetigen Neuerungswillens von Karen O & Co. ab, denn auch hier steckt hinter beinahe allem noch ein zweiter, größerer Hintergrundgedanke. Das fängt bereits beim Coverartwork an, das wohl auch in der Endabrechnung 2013 zum gleichsam Hässlichsten wie Faszinierendsten zählen wird, was in diesem Jahr ein Plattencover „zieren“ durfte: die Grafik des südkoreanischen, in Los Angeles lebenden Künstlers Beomsik Shimbe Shim, kurz „Shimbe“ genannt, zeigt ein herzzerreißend schreibendes Baby, das gerade noch von einem grellgrünen Brei genascht hat, und dessen Fuß sich nun im Griff eines Moskitos befindet, der soeben zum fiesen Stich in den kleinkindlichen Allerwertesten ansetzt. Darunter der Schriftzug der Band, der nicht zufällig an den des Ekel-Kultfilms „Garbage Pail Kids“ erinnert. Von Karen O stammen die Ideen, Karen O beaufsichtigte die Ausführung, Karen O und ihre Jungs hatten das letzte Wort. Und so absurd dieses Frontgebilde anmuten mag, so herrlich muten die die 48 beiliegenden Musikminuten an. „Fallen for a guy, fell down from the sky / Halo round his head / Feathers in a bed / In our bed, in our bed / It’s sacrilege, sacrilege, sacrilege, you say“ – Knallt der Opener „Sacrilege“ dem Hörer noch unvermittelt sündige Textzeilen zu Indierockgitarren und einem mächtigen Gospelchor vor den Latz, hält das darauf folgende „Subway“ bereits direkt unter einer gotischen Kathedrale – schlurfende Beats und herrlich mulmige Melancholieschwälle inklusive. Doch auf Gitarrenwände sollte man sich auf „Mosquito“ nicht allzu sehr einschießen, denn auch hier setzen die Yeah Yeah Yeahs ihren unbedingten Willen zum Experiment fort, mischen mal gemäßigte („Always“), mal derbe Elektronikwände („Under The Earth“) in ihren Bandsound, oder bitten in „Buried Alive“ Rapper Kool Keith (oder dessen alter ego Dr. Octagon) ins Studio – ein Versuch, der leider nur mäßig gelungen ausfällt, und umso mehr an jene Rap-meets-Punk-Gehversuche der Neunziger Jahre erinnert. Dass die Yeah Yeah Yeahs tatsächlich noch Punk können, zeigt das von Gitarrist Zinners „Area 51“-Besuch inspirierte „Area 52“ (sic!), dass rotzfrech riffend aus dem Boden gestampft wird, und bei dem Karen O lautstark fleht: „I wanna be your passenger / Take me as your prisoner! / I wanna be an alien! / Take me please, oh alien“. Dass bei allen Gegenläufen manche Songs einfach nur richtig gut sein wollen (und können!), zeigt „Despair“. Und dass sich das Trio stets mindestens ein großes Stück fürs Ende aufhebt, beweist „Wedding Song“, welches in fünf Minuten flirrend leicht gen Himmel aufsteigt. „In flames I sleep soundly / With angels around me / I lay at your feet / You’re the breath that I breathe“ – Karen Os Stimme begleitet uns hinfort, bis von Fern nur noch das selige Läuten der Kirchenglocken zu vernehmen ist…
Auch mit ihrem vierten Album „Mosquito“ gelingt es den Yeah Yeah Yeahs zwar nicht, ein zwingend kohärentes Album fertig zu stellen, jedoch fragt sich der Kenner der Vorgänger und Bandhistorie berechtigtermaßen, ob dies je die Absicht des Trios war. Denn wie schon in der Vergangenheit machen Karen O, Nick Zinner und Brian Chase nichts anderes, als ein Potpourri aus Stilen und Einflüssen zu einem großen Ganzen zusammenzufassen. Und auch wenn „Mosquito“ beileibe kein zeitloses Album sein mag, so ist es doch umso zeitgemäßer, selbstbewusster und unterhaltsamer. Die Yeah Yeah Yeahs schaffen damit etwas, was New York-Rockwellen-Zeitgenossen wie den Strokes mittlerweile abhanden gekommen scheint: sie bleiben als Band stilsicher zeitgemäß, ohne sich in Retro-Schleifen zu wiederholen (beim neuen Album von Julian Casablancas & Co. mag zwar irgendwo eine Band anwesend sein, sie tritt jedoch reichlich seelenlos auf). „Mosquito“ ist schlussendlich wie ein spätsommerlich schwüler Abend in New York: brodelnd, faszinierend, anziehend, abseitig und gefährlich. Mit Hochhäusern und Türmen und Schluchten und fiesen, kleinen Moskitos. Nicht jeder Song sticht hier – aber wenn, dann tut’s so schön höllisch weh. Niemand kann behaupten, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein…
Da einem großen Song meist auch ein großes Video nicht schaden kann, darf Schauspielerin Lily Cole in den bewegten (respektive: bewegenden) Bildern zu „Sacrilege“ als äußerlich unschuldige femme fatale allen (!) Bewohnern einer bigotten US-Kleinstadt den Kopf verdrehen. Prädikat: großartig.
Für alle, die tiefer in den Klangkosmos und Backkatalog der Yeah Yeah Yeahs eintauchen möchten, hat ANEWFRIEND einen bewusst subjektive, knapp zweistündige Werkschau der besten Stücke von 2002 bis 2013 zusammengestellt, welche ihr euch anhand der nachfolgenden Tracklist gern nachbasteln dürft:
1. Maps
2. Y Control
3. Modern Romance
4. Sacrilege
5. Down Boy
6. Heads Will Roll
7. Isis
8. Sealings
9. Sheena Is A Punk Rocker
10. Subway
11. Machine
12. Cold Light
13. Miles Away (John Peel Session)
14. Date With The Night
15. Despair
16. Countdown
17. Gold Lion
18. Cheated Hearts
19. 10×10
20. Runaway
21. Wedding Song
1. Little Shadow
2. Turn Into
3. Tick (live session version)
4. Let Me Know (demo)
5. Hyperballad (live)
6. Diamond Sea (iTunes Live Session)
7. Hysteric (acoustic version)
8. Cheated Hearts (iTunes Live Session)
9. Runaway (iTunes Originals version)
10. Maps (iTunes Originals version)
Song 11 (CD 1) – von der „Machine“ single (2002)
Songs 1-3, 12, 14 (CD 1) – von „Fever To Tell“ (2003)
Songs 13, 16 (CD 1) – von der „Maps“ single (2003)
Songs 17, 18 (CD 1) + 2 (CD 2) – von „Show Your Bones“ (2006)
Songs 6, 20 (CD 1) + 1 (CD 2) – von „It’s Blitz!“ (2009)
Songs 5, 7, 19 (CD 1) – von der „Is Is EP“ (2007)
Song 8 (CD 1) – vom „Spiderman 3“ Soundtrack (2007)
Song 7 (CD 2) – von der Deluxe Edition von „It’s Blitz!“ (2009)
Songs 4, 10, 15, 21 (CD 1) – von „Mosquito“ (2013)
Song 4 (CD 2) – von der „Gold Lion“ single (2006)
Songs 6, 8 (CD 2) – von der „iTunes Live Session“ (2006)
Songs 9, 10 (CD 2) – von der „iTunes Originals“ Session (2009)
Und da wohl jeder Artikel über die Yeah Yeah Yeahs ohne das tränenreich tolle Video zum Evergreen „Maps“ unvollständig erscheinen würde, gibt’s hier das Video…
(Hintergrundgeschichte: Karen Os damaliger Freund Angus Andrew sollte beim Videodreh anwesend sein. Als dieser jedoch nicht erschien und die Band das Video in dessen Abwesenheit drehen musste, brach die Sängerin vor laufender Kamera – songdienlich – in Tränen aus… „Wait… they don’t love you like I love you“)
…sowie die nicht minder feinen Kamerawerke zu den Singles „Heads Will Roll“…
…und „Y Control“:
Rock and Roll.
Wow. Cooler Artikel, Respekt.
Wenngleich ich für mich noch nicht so ganz entschieden bin bezüglich „Mosquito“..
Viele Grüße aus Wien!
Moin guthörer!
Danke für’s Gefallen und deine Meinung!
Klar entschieden bin ich – falls das nicht in der Review rüber gekommen sein sollte – auch selbst nicht bei „Mosquito“, wie auch bei den Vorgängern schon… Jedoch finde ich den Abwechslungsreichtum und den Willen der Band, sich beständig weiterzuentwickeln, klasse. Und da ich auch „Mosquito“ eben NICHT durchgängig toll finde, gibt’s eben diesen Versuch einer Werkschau, die zum einen einen guten Querschnitt des bisherigen Schaffens der Yeah Yeah Yeahs darstellen soll, zum anderen jedoch auch den einen oder anderen (subjektiven!) „Füller“ außen vor lässt…
Bleib‘ ANEWFRIEND treu,
Grüße aus Maastricht!
Rock and Roll.
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[…] – wenn die kurzweilig geratene Platte, der man neun Jahre nach dem letzten Langspieler „Mosquito“ durchaus das „Comeback“-Label anheften darf, mit solchen Nachtgedanken ihr Ende […]