Das Album der Woche


 Villagers – {Awayland} (2013)

Villagers - Awayland (Cover)-erschienen bei Domino Records/GoodToGo-

Sollte die Musikwelt einen „neuen Conor Oberst“ brauchen – sie würde ihn in Irland finden. Oha, das ist jetzt zu weit her geholt? Oder mache ich es mir mit der plakativen Einschätzung gar zu einfach? Mitnichten!

Denn zwischen dem ewigen US-Songwriter-Wunderkind Oberst, welcher solo, mit seiner Hauptband Bright Eyes sowie – kurzzeitig wiedervereinigt – mit seinem schönen Lärmprojekt Desaparecidos unterwegs ist, und Villagers-Frontmann Conor O’Brien gibt es haufenweise Parallelen: da wären zum Ersten – Ja, da soll noch einer an Zufälle glauben! – der gemeinsame Vorname und dieser zuweilen hilflose Hundewelpenblick, welcher Oberst zu Zeiten seines Durchbruchs mit „LIFTED or The Story is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground“ noch umgab und der dem 1984 geborenen O’Brien noch immer umgibt, der die Knie jeder Dame im Publikum mir nichts, dir nichts in Wackelpudding verwandelt und zu sagen scheint: „Hilf‘ mir! Drück‘ mich! Nimm‘ mich in den Arm, mit nach Hause, und mache mir dort eine Tasse Kakao warm!“ Beide starteten ihre Musikkarrieren außerdem in frühen Jahren – Conor Oberst im zarten Alter von 14 Jahren mit Commander Venus, Conor O’Brien mit The Immediate -, und nutzen ihre ersten Bands gleichzeitig als Schutzschild und Sprungbrett. Beide machten auf Solopfaden zuerst mit zerbrechlichen, introspektiven Songwriterstücken auf sich aufmerksam, zeigten jedoch schon bald ihr Gespür für’s Bandkonstrukt und die große Instrumentierung. Beide agieren stets nach der Devise: „It’s the song, not the singer.“ – Klar habe ich hier bedeutsame Dinge mitzuteilen, doch muss es dabei nicht ausschließlich um mich gehen… Ob nun Oberst oder O’Brien, Omaha, Nebraska im Niemandsland des US-amerikanischen mittleren Westens oder das irische Dublin – beide haben in ihren jungen Jahren bereits großartige eigene Alben zu Buche – respektive: im Musikregal – stehen, von beiden sind auch noch einige Veröffentlichungen in einer ähnlichen Güteklasse zu erwarten, beiden sollte man unbedingt zuhören.

Doch genug der Vergleiche. Denn schon die Musik von Conor No. 2 – also Conor O’Brien – lohnt sich. Und die Musikszene staunte nicht schlecht, als da Ende Mai 2010 ein junger Mann mit seinem Debütalbum „Becoming A Jackal“ von Platz Eins der irischen Album-Charts gleichzeitig ungläubig und besonnen auf die verdutzte geschlagene Konkurrenz herabblickte. Denn ferner vom (leider viel zu oft erfolgreichen) Plastik-Pop konnte die Veröffentlichung kaum sein. Fragile Songwriter-Miniaturen, Orchesterpassagen, ein wenig Bandkonstrukt, süßlicher 60s-Pop und irisch nachgebauter Soul – und über allem Texte, in welchen ein Endzwanziger schmachtet, leidet, hadert und träumerisch seinen Sehnsüchten nachhängt, nur eben nicht mit einem juvenil-naiven, sondern einem altersweisen Herzen. All das brachte Conor O’Brien, welcher seit dem Ende seiner ersten Band The Immediate unter dem Moniker „Villagers“ musiziert, bereits 2010 eine Nominierung für den prestigeträchtigen Mercury Prize ein… kein schlechter Einstand!

Conor O'Brien, 2010

Und diese abgeklärte – und doch höchst zerbrechliche – Art, die schon zu großen Teilen den Reiz der Songs des Debüts ausmachte, ist auch den Stücken des neuen Albums „{Awayland}“ zu eigen. Versucht hier jemand, seinen lucky punch zu wiederholen und scheut Veränderungen? Keineswegs! Denn Neuerungen im Klang der zur festen fünfköpfigen Band gewachsenen Villagers gibt es zuhauf. Klar gibt O’Brien noch immer den Ton an, und mitsamt seiner zerbrechlichen Stimme auch die Richtung, aber er wagt sich jetzt beinahe durchgängig da, wo er vor zwei Jahren noch unsicher in die Saiten seiner Akustikgitarre griff, einige Schritte mehr ins Scheinwerferlicht, und überlässt in kurzen Momenten auch schon mal seinen Bandkumpanen die Show. Und wo er auf „Becoming A Jackal“ noch aller Zivilisation und Liebe entsagen wollte, stellt er die elf Songs auf „{Awayland}“ unter die Thematik der kindlichen Unschuld, des befreiten Entdeckens eines Neugeborenen, der in eine Welt voller wundersamer Wirren geworfen wird. Dabei beginnt beim Opener „My Lighthouse“ noch alles gewohnt reduziert. Ganz sacht und behutsam steigt Conor O’Brien zur Akustikgitarre in seinen neusten Songreigen ein: „You are needing a friend / For to follow, for to fend / And I haven’t got a clue / If I’m getting through to you / My lighthouse“ – ich habe zwar wenig Erfahrung in dem, was ich da gerade tue, aber ich halte dich. Ich bin dein Leuchtturm, sei‘ du meiner. Schon der nächste Song, „Earthly Pleasure“, ist da um Einiges komplexer: Band und Orchester stoßen dazu, O’Brien erzählt Geschichten von Wiedergeburt, Träumen, Schuld, Sühne und einfachen weltlichen Freuden im Kleinen. Die Vorabsingle „The Waves“ sorgte im Zuge ihrer Veröffentlichung im Oktober 2012 noch für reichlich Verwunderung (zumindest bei mir), präsentiert sie die Villagers doch erstmals in einem bisher ungewohnten, dezent elektronischen Gewand. In den Albumkontext jedoch fügt sie sich, auch der Abwechslung wegen, wunderbar ein. Zu leichtfüßiger, Marimba-unterstützter Instrumentierung lässt sich O’Brien – auch textlich – in Südeseegewässern treiben und genießt die Ruhe der Natur, dort wo das Azorenblau des Himmels mit dem Herum verschwimmt, ehe der Song in Ufernähe euphorisch Fahrt aufnimmt und am Ende implodiert. Die eingeschlagene leicht klaustrophobische Stimmung greift „Judgement Call“ nahezu nahtlos auf: „No, we don’t need to think for ourselves / No, we don’t need to think at all / When the screen says go, we go / It’s a judgement call, it’s a judgement call“. Zu früh wird schon den Jüngsten die Unschuld geraubt, und mit althergebrachten Dogmen, Sinnbildern und Vorschriften ersetzt. Und doch stehen uns immerzu Türen offen, denn alles ist eine Ermessensfrage, die wir stets selbst beantworten können. Das nachfolgende „Nothing Arrived“ hält dann die wahrscheinliche catch phrase des Albums bereit – „I waited for something, and something died / So I waited for nothing, and nothing arrived“ – und ist der erste rundum perfekte Indie-Popsong des Jahres, der im Nichts endet: „I guess I was busy when nothing came“. Nach der dezenten Italo-Western-Hommage „The Bell“ (mit Trommelwirbel am Ende!) und dem orchestralen Instrumetaltitelstück – welches laut O’Brien zu seinen liebsten Stücken der Platte zählt – schlagen dann „Passing A Message“ und „Grateful Song“ in eine ähnliche gesellschaftskritische Kerbe: da die Leere der modernen Zivilisation („I was carving my name out / Of a giant sequoia tree / I was blind to its beauty / Now its all I can see / See I’ve learned how to listen / To the folks on TV / They are passing a message / That means nothing to me“ – „Passing A Message“), hier die meditative Dankbarkeit im Angesicht der drohenden Apokalypse („Grateful Song“), welche den Hörer O’Briens Stimme im Mittelteil nur noch seltsam elektronisch verfremdet und wie Auge eines Orkans vernehmen lässt – welcher dann auch in Form von Band und Orchester über das Stück hereinbricht. Nur gut also, dass mit dem anschliessenden „In A Newfound Land You Are Free“ eine sanfte Klavierballade, die ein Neugeborenes auf der Welt begrüßt, Ruhe bietet („How heavy you are, my newborn child / So viciously free, so careless and wild / With the eyes of a saint / And the soul of a thief / And a newfoundland“). Das das Album beschließende „Rhythm Composer“ dient Conor O’Brien und seinen Villagers noch einmal zur Zusammenfassung – der Frontmann und seine Akustische, die ganze Band, die Elektronik, ja selbst das Orchester und ein Chor haben sich mit ins Studio gezwängt, um dem Kind zu versichern: Hab‘ keine Angst, alles wird gut. Sollten die „schwarzen Hunde des Lebens“ auch noch so groß und bedrohlich wirken – mach‘ dir keine Sorgen, denn allein du bist für dein Leben und den wilden Schlag deines Herzens verantwortlich („That old black dog is on your back / And all you’re getting is a bottomless pit / But don’t mind it / ‚Cause you’re a rhythm composer“).

Villagers, 2012

 

„So I sit down at my desk with a blank sheet of paper, a headful of ferrys and a small collection of half-written songs and all I want to do is to stretch my imagination as far as it can go. I sure as hell don’t want to lose any intimacy in the music, but I need to take this intimacy into a more vibrant place. The furrowed-brow vocal seriousness which I used to engage with has no place here. 
And the musicianship is better than ever. My fellow bandmates make the songs sound as beautiful as they could possibly be. It’s a diverse album. It takes you on a trip through a musical landscape, as a tribute to your sense of wonder. It travels through space and time and leaves you back for dinner. It might take a few gobbles. Maybe try it on headphones first, without interruption. I hope you enjoy.“ (Conor O’Brien)

 

Die zwei Jahre, welche sich Conor O’Brien Zeit ließ, um an neuen Stücken zu arbeiten und diese aufzunehmen, haben sich gelohnt. Einen besseren Nachfolger zum Ausrufezeichen namens „Becoming A Jackal“ hätten die Villagers kaum aufnehmen können. „{Awayland}“ besticht durch einen dichten Bandsound, der Conor O’Briens zögerliche, brüchige Momente nun mit noch mehr Leben füllt, dem Frontmann jedoch zu keiner Zeit zu nahe auf die Pelle rückt. Stattdessen geben ihm die neuen Songs noch einen zusätzlichen innerlichen Kraftschub, um noch selbstbewusster als 2010 zu musizieren. „{Awayland}“ ist weder die Wiederholung eines Erfolgsrezeptes noch die Abkehr von diesem. „{Awayland}“ verweigert sich zwar vielen in O’Brien gesetzten Erwartungshaltungen, tut dies jedoch mit einer Menge Abwechslung und Faszination, ähnlich der von Arcade Fire. “Vielleicht hört man es erst mal über Kopfhörer, ohne Unterbrechung“, rät der Sänger – und weiß doch längst, dass seine Villagers bald größere Clubs bespielen werden, und die Band nur noch im Kopfhörervarieté einem allein gehören wird. Doch das ist schon okay, denn Platten wie „{Awayland}“ machen die Welt – und sei es auch nur für 42 Minuten Spieldauer – zu einem besseren Ort. Die Welt, dieser grausame, dieser wunderschöne Moloch, noch einmal durch die Augen eines Kindes sehen. „My dear sweet nothing, let’s start anew / From here on in it’s just me and you.“

Villagers, 2012 (#2)

 

Ähnlich großartig wie „Nothing Arrived“ – also der Song selbst – ist auch das dazugehörige Video mit dem schönen Titel „A Day in the Life of Terrence Bliss“: ein 08/15-Erdenbürger lässt eine sich ihm unverhofft bietende einmalige Chance verstreichen, weil dies das Verlassen seiner comfort zone, seines Hamsterrades bedeuten würde…

 

Im Albumkontext spannend, für sich allein immer noch gewöhnungsbedürftig: die bereits 2012 veröffentlichte Vorabsingle „The Waves“. Mit dem Video verhält es sich ähnlich…

 

Aber auch die in den vergangenen Jahren veröffentlichten Stücke können sich hören lassen, wie der Titelsong zum Debütalbum „Becoming A Jackal“…

 

…der Fan- und Kritikerliebling „The Meaning Of The Ritual“ (inklusive der schönen Zeile „My love is selfish / And it remembers everything“)…

 

…oder diese Liveversion des Songs „Memoir“.

 

Wer mehr über das aktuelle Album „{Awayland}“ wissen möchte, dem bietet dieser siebenminütige Beitrag einige Infos…

 

…ebenso wie diese „live at Attica“ aufgenommenen Versionen der neuen Songs „Nothing Arrived“…

 

…und „My Lighthouse“:

(Diese beiden Liveversionen sind übrigens, neben den von drei weiteren Stücken, welche auch während der Live-Session mitgeschnitten wurden, auf der „iTunes Deluxe Edition“ zu finden.)

 

Rock and Roll.

Getaggt mit , , , , , , , , , , , , , , , , ,

7 Gedanken zu „Das Album der Woche

  1. taktgefuehle sagt:

    Finde ich richtig gut!

  2. […] Villagers, die auf ANEWFRIEND mit ihrem zweiten Album “Awayland” unlängst das “Album der Woche” ablieferten, einen Tourstop in den Hallen der Maastrichter Timmerfabriek ein. Unbedingt […]

  3. […] Arrived”, zweifellos eines der Highlights des aktuellen, zweiten Villagers-Albums “{Awayland}“, Schritt für Schritt warm zu spielen. Denn, abgesehen einmal vom fragilen Kleinod “My […]

  4. […] Und doch warten die neusten bewegten Bilder zum zweiten, ganz hervorragenden Villagers-Album “{Awayland}“, für die sich die Regisseure Smith & Werber verantwortlich zeichnen, mit allerlei […]

  5. […] bereits mit Songs wie “The Waves” vom im vergangenen Jahr veröffentlichten Album “{Awayland}” eingeschlagen hatten: große Melodien, dezente Tanzbarkeit und ein multiples Spiel mit […]

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