Dass ich auf ANEWFRIEND keineswegs zum ersten Mal über Musik, Film und Kultur schreibe, dürfte dem Einen oder der Anderen bereits bekannt sein. Dennoch werden die wenigsten unter euch die ganze Geschichte kennen. Und welch‘ besseren Anlass als der einjährige Geburtstag dieser kleinen Seite gäbe es, um davon zu erzählen?
Mein Teil der Geschichte von „Driftwood“ geht einher mit dem Ende einer Freundschaft. Eine Freundschaft, die groß und stark und mächtig schien. Die Alltagsfallstricke überdauerte, die von Herzen kam. Und: die ebenso abrupt wie bitter enden sollte.
Alex und ich kannte uns bereits seit Schultagen. Trotz seines strohweißen Haars und dem reichlich infantilen Spitznamen „Schneekoppe“ war er – ganz verwöhntes Einzelkind – stets der, der immer bei den coolsten Typen auf dem Pausenhof mitmischen durfte, während ich den stillen Beobachter, den abwartenden Außenseiter gab und mein Rowdytum eher als explosive Momentaufnahme präsentierte. Und trotzdem wurden wir Freunde. Gründe gab es mannigfaltig, jedoch kristallisierte sich, je älter wir wurden, zunehmend einer heraus: die Musik. Erst waren es die ultracoolen Possen des Hip Hop, später Gitarrentöne in so ziemlich jeder Spielart, die uns anzogen. Er war das „Stones-Kind“, welches von seinen Eltern instinktiv die Einfachheit eines satten Licks aufgezeigt bekam, ich wurde von meinem Vater – glücklicherweise – bereits früh mit den Beatles oder Queen beschallt – und besitze so bis heute eine ausgeprägte Affinität für Harmonien, egal ob simpel oder komplex. Und obwohl hier nun eine so brennende wie ausweglose Diskussion der Marke „Beatles vs. Stones“ stehen könnte, waren wir doch meist süchtig nach den gleichen Musikern und Bands – wobei man bedenken muss, dass in dieser Zeit – also um das Jahr 2000 herum – Musik noch keineswegs in dem heutigen Maße verfügbar war. Hatte man freundlicherweise den Tipp für eine neue, potentiell großartige Band bekommen, so konnte man sich deren Album nicht einfach innerhalb weniger Minuten über mehr oder minder legale Wege aus den unendlichen Weiten des weltweiten Netzes saugen. Nein, dann hieß es, dieses auf Vinyl oder Plastik gebannte neue Klangkleinod via Mailorder – denn natürlich war das Ding in Deutschland nur als Import erhältlich! – zu bestellen… Und zu warten. Oder man nutzte einen Trip in die deutsche Hauptstadt, um sich in den unterirdischen Hallen des Saturn am Alexanderplatz stapelweise mit musikalischen Leckerbissen einzudecken, denn die hatten – zumindest was meine Einschätzung betrifft – einen unvergleichlich fein erlesenen Mix aus Standards und Raritäten zu bieten. Und so saßen wir auch nach Schulschluss, der für mich alsbald durch einen Wechsel in anderen Gemäuern stattfand, sehr oft zusammen, lauschten ehrfürchtig neuen Errungenschaften und tauschten diese – erst auf Kassetten, dann dank der CD-Brenner unserer Eltern auf Rohlingen – untereinander aus. Wir lasen die gleichen Musikzeitschriften, unternahmen einen gemeinsamen Trip nach London, während dem wir von Plattenladen zu Plattenladen zu Second Hand-Shop zu Plattenladen zogen, so kaum je das Tageslicht sahen und mit reicher Beute nach Deutschland zurückkehrten. So oft wir konnten, trafen wir uns auch nach dem Ende unserer Schulzeit – die ich mit Ach und Krach in den „regulären“ 12 Jahren schaffte, während Alex ein Jahr nachsitzen durfte – und während des Studiums auf Konzerten, fuhren im Sommer gemeinsam nach Südfrankreich (im Tapedeck: je eine Kassette von No Doubt, Philip Boa & The Voodooclub und Manu Chao – 14 Tage lang!) sowie zu Festivals. Und auch alle Hochs und Tiefs wurden mit dem Anderen geteilt – lag mal wieder Stress mit der Freundin in der Luft, so musste keiner von beiden lange überlegen, wen er anrufen und so nächtelang die Ohren heiß reden konnte. Und nie lange warten, bis der Andere mit einem „Trösterkasten“ Bier und dem eigens und eilig angefertigten „Aufbaumixtape“ vor der Tür stand…
Irgendwann hatten wir – wahrscheinlich aus einer prächtigen Bierlaune heraus – die Idee, es nicht wenigen selbstberufenen Schreiberlingen gleichzutun und die Außenwelt an unserer Leidenschaft teilhaben zu lassen: „Ein Fanzine? Ey, Alex, klar! Lass uns das machen!“ Und so besorgte Alex sich in seiner Studienheimat Chemnitz – ganz old school – eine DDR-Schreibmaschine, während ich mit Schere und Leim PC-Ausdrucke als Collagen verfremdete. Jeder von uns hatte (s)einen ureigenen Stil, Alex holte noch ein, zwei Studienkollegen mit ins Boot – „Driftwood“, resultierend aus unzähligen Denksportstunden wohlklingend benannt als Hommage an Cursives tolles Album „The Ugly Organ“, war geboren. Nach etlichen Nachtschichten, Absprachesitzungen und zwei kompletten Wochenenden, die Alex und ich sortierend, faltend und tackernd vor dem Kopierer in der Firma, in welcher sein Vater zu dieser Zeit Chef war, verbrachten, war im Herbst 2004 die erste, etwa 100 Exemplare starke Ausgabe unseres eigenen Fanzines fertig – und wir stolz wie Bolle! Und obwohl wir selbst nicht wenig Geld in die Fertigung und Fertigstellung besteckt hatten, verteilten wir „Driftwood“ idealistisch „for free“ an unseren Unis – ich in Dresden, er in Chemnitz – sowie in allen möglichen Plattenläden und Clubs. Die Resonanz? Anfänglich schleppend. Und doch machten wir – nun angefixt – weiter, fanden bald kleinere Sponsoren und einen geeigneten Copyshop und mussten uns nun nicht mehr ein Wochenende im Monat die Knie wund scheuern. Alles schien perfekt zu laufen: erste GRATIS-Bemusterungen (das Himmelreich eines jeden Musiknerds!) von Plattenlabels trudelten bei uns ein, der Name „Driftwood“ fand sich auf den Gästelisten von Konzerten, wir führten gar erste Interviews (hier noch einmal ein dickes „Entschuldigung“ an alle professionellen Musiker, die gegebenenfalls unter unserer semi-professionellen Blauäugigkeit zu leiden hatten!).
Und doch kam die Veränderung schleichend. Alex veränderte sich zunehmend, je mehr er in Chemnitz in Kreise aus profilgeilen Hobbylinken und neurotischen, von seligen DDR-Zeiten träumenden Paradiesvögeln, die sich auch einmal gern den Künstlernamen „DJ Rudi Dutschke“ gaben, hineinkam. Eine Anbiederung, die ich so und aus der Distanz nicht mehr mitbekam. Dabei hätte es mir durchaus auffallen können: vorher hatten wir mindestens ein- bis zweimal die Woche telefoniert, um uns über neue Artikel, neue Musik und unsere Leben auszutauschen. Nun passierte das nur noch gut alle zwei Wochen… Alex hing mehr mit der modelinken Chemnitzer Szeneelite ab und betete bereitwillig deren Idealvorstellungen vor. Es hing ein seltsames Gefühl in der Luft, das jedoch keiner von uns beiden ansprechen wollte oder konnte. Stattdessen versuchten wir es totzuschweigen und weiterhin auf unsere gemeinsame Liebe zur Musik zu bauen. Und doch – oder gerade deshalb – kam es nach Ausgabe fünf und einem höchst tragisch verlaufenen Geburtstag von Alex im Herbst 2005 zum Bruch. Und ich erhielt nur eine knappe E-Mail von ihm, in der er mir für die gemeinsame Zeit dankte, mich unangenehm aus der Redaktion von „Driftwood“, welches ja und vor allem auch mein „Baby“ war, und seinem Leben entfernte. Und obwohl der offizielle Grund, eine politisch eben nicht linke, jedoch keinesfalls verfängliche Äußerung im „Schlussakkord“, der mir vorenthaltenen Abschlusskolumne der „Driftwood“ (Alex hatte das Editorial für sich beansprucht), in welcher ich im Zuge der anstehenden Bundestagswahl lediglich zum eigenständigen Denken aufgefordert hatte, auf der Hand lag, wusste ich genau, dass er sich final an seinen neuen, potentiell oberflächlichen Freundeskreis angebiedert hatte. Von einem Tag auf den anderen brach er den Kontakt zu mir ab. Und obwohl ich mir vorstellen kann, dass ihn das Schreiben dieser E-Mail einiges an Überwindung gekostet haben muss, bleibt bis heute ein menschlicher Makel. Ich habe ihn danach nur noch einmal vor Gericht wiedergesehen (eine andere Geschichte). Einmal, seitdem nie mehr. Was er heute macht? Wie es ihm geht? Keine Ahnung…
Das plötzliche Ende tat weh, denn es war auch und vor allem das Ende einer großen Freundschaft, die mir sehr viel bedeutet hatte. Dass all dies in einer Zeit, in der auch weitere Freunde „wegbrachen“, mein Studium zunehmend in eine Sackgasse geriet und meine große Liebe zu neuen Ufern aufbrach, stattfand, verlieh der Situation noch eine höchst unnötige zusätzliche Tragik.
Und doch denke ich, heute rückblickend, vor allem an eine schöne Zeit zurück. An tolle gemeinsame Momente, an viel Ehrlichkeit, an viel Herzblut und Druckerschwärze. An Ideale, Träume, Hoffnungen, und den Tod eines guten Teils des eigenen Idealismus‘. Wir sind gewachsen, nur eben in unterschiedliche Richtungen. Und irgendwo mittendrin sind aus zwei verrückten Jungen Männer geworden…
(Nicht mit Bitterkeit, sondern mit Wehmut schaue ich zurück. Denn all das hat mich zum heutigen Tag gebracht, hierher.)
Rock and Roll.
[…] Fanzines (was ich mit ein paar Freunden tatsächlich tat – die Geschichte dazu gibt’s hier), tierisch aufgeregt, kontrollierte mein Aufnahmegerät zig Mal, überlegte, was ich denn fragen […]