Flimmerstunde – Teil 17


Cosmopolis (2012)

Eric Parker (Robert Pattinson) braucht einen Haarschnitt. Was bei 99,9 Prozent der Weltbevölkerung im Nu erledigt wäre, stellt ihn allerdings vor eine Reihe von Problemen…

Problem eins: der favorisierte Frisör hausiert am anderen Ende der nicht eben kleinen Großstadt. Problem zwei: Eric ist zwar erst 28 Jahre jung, jedoch bereits zigfacher Milliardär. Und da Geld bekanntlich die Zahl der falschen und halben Freunde sowie der Neider exponentiell erhöht, schwebt er zwar latent, aber permanent in Gefahr. Problem drei: der Präsident ist in der Stadt, und die eh schon engen und taxigelblich vollgestopften Straßen der Millionenmetropole New York werden somit für Erics Stretch-Limousine noch um einiges beengter. Doch all das stört ihn keineswegs. Welcher Präsident? Ach, der der Vereinigten Staaten! Macht nix. Und so macht sich der wie aus dem Ei gepellte Geschäftsmann samt motorisiertem Gefährt und hypernervöser Bodyguard-Entourage im elendig langsamen Schritttempo auf, um sich seine perfekt sitzende Scheitelfrisur noch ein wenig perfekter richten zu lassen. Überhaupt scheint diese futuristisch eingerichtete Limousine mehr Lebensmittelpunkt denn Fortbewegungsmittel für den kalt berechnenden, selbsterklärten Visionär und Kosmopoliten zu sein – er steigt nur zu kurzen Tête-à-têtes – etwa mit seiner gleichsam unterkühlten Ehefrau, mit der er die Möglichkeiten des lieblosen ehelichen Beischlafs abwägt – aus der blütenweißen Luxuskarosse aus, lässt lieber Bedienstete zusteigen: halbkindliche Berater, gestresste, durchschwitzte Sekretärinnen, den Arzt zur täglichen Prostatauntersuchung (!), mittelalte Mätressen (toll: Juliette Binoche) für ereignislosen Sex… Er ist selten allein, verzieht keine Miene, analysiert, diagnostiziert, ist dem Gegenüber nicht selten einen Schritt voraus und ummantelt sinnfrei kreisende Dialoge scheinbar stets mit Metaebenen. Dass um den Wagen herum der Globalisierungsgegnermob in Zerstörungswut tobt, scheint Parker ebenso wenig zu interessieren (geschweige denn: beunruhigen), wie die Worte, die seine einerseits exquisit erlesenen, auf der andere Seite jedoch gnadenlos austauschbaren Begleitpersonen von sich geben, denn der steinreiche Schönling hat nur Augen für sich selbst. Und: er ist schrecklich gelangweilt. Doch gibt es noch Leben am Rande des Geldes? Wie probt man den Ausbruch aus einem selbstgeschaffenen, teuer erkauften und hermetisch abgeriegelten Kokon? Und: wer sind diese Leute, die mit toten Ratten um sich werfen?

Die Ausgangssituation für „Cosmopolis„, David Cronenbergs (u.a. A Dangerous Method, A History Of Violence, Die Fliege) neusten Film, mag nicht die schlechteste sein, immerhin darf er hier den gleichnamigen, 2003 erschienenen Bestseller-Roman von Don DeLillo verfilmen. Und trotzdem hat er ein Problem: Robert Pattinson. Zwar mag der durch seine Rolle als „Twilight„-Vampir weltberühmt gewordene Engländer nach Außen und auf den ersten Blick der passende Darsteller für den gefühlskalten, ständig analysierenden Business-Zombi sein, doch bringt er die Zerrissenheit, die latente innere Panik, die DeLillos Figur zwischen den Zeilen innewohnt, zu keinem Moment auf der Leinwand herüber. Während sich die Limousine wie ein technoider Bandwurm auf finanziellem Trauermarsch durch die beengten Straßen des Millionenmollochs quält, bleibt von Pattisons Mienenspiel oft nicht mehr als Zynismus, Arroganz und Gleichgültigkeit. DeLillos bissiger, nur knapp 200 Seiten kurzer – und, bedenkt man das Datum der Veröffentlichung, auch recht visionärer – Abgesang an den New-Economy-Hype gerät zur 123-Minuten-Qual, an dessen Ende man sich fragt, ob diese gefühlte Verschwendung an Zelluloid und Lebenszeit wirklich notwenig war. Dann sollte man sich doch lieber die gelungenere Romanvorlage zu Gemüte führen (kann hier leider selbst weder zustimmen noch widersprechen, da ich sie bisher nicht gelesen habe). Oder Aldous Huxleys 1932 (!) erschienen Klassiker „Brave New World„. Oder, wenn es denn schon bewegte Bilder sein müssen, sich von Christian Bale als Business-Psychopath Patrick Bateman im ähnlich angelegten „American Psycho“ vormachen lassen, wie man es richtig macht. Alles an „Cosmopolis“ mag sich schrecklich wichtig nehmen. Jedoch hat man all das schon tausendfach gesehen. Nur besser.

Wie bereits erwähnt, werden hier spannende Ausgangsmaterialen – Roman, Thema, Drehort – von einem Hauptdarsteller gekonnt versenkt, der selbst als misantropher Antisympath so glaubhaft ist wie ein Ku Klux Klan-Anhänger im Gospelchor. Und da man kaum ernsthaft annehmen darf, dass Cronenberg bei einem Film mit derart gehobenem Sujet vorhatte, hysterische „Twilight“-Screamager ins Kino zu locken, kann man sich nur allzu lebhaft vorstellen, wie der 69jährige kanadische Regisseur seine Wahl inmitten der Dreharbeiten alsbald selbst bereut haben mag (zuerst war Gerüchten zufolge Colin Farrell für die Hauptrolle vorgesehen, dieser zog es jedoch vor, im Remake von „Total Recall“ den Ersatz-Schwarzenegger zu spielen). Denn erst hier verwandelt sich Pattinson in den wahren, bieder-bleichen Vampir und saugt mit bedrohlicher Talentfreiheit als Geheimwaffe den Zuschauern die Lebenszeit aus. Jedoch: die Frisur sitzt. Herrje, schöne neue Welt…

 

 

Rock and Roll.

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