Mein Senf: Wilkommen in der Gruft


The Dope Show“! „The Beautiful People“! „Antichrist Superstar“! „Rock Is Dead“! Hach, selig waren die Zeiten…

All das war und ist, gefasst in die Alben „Smells Like Children„, „Antichrist Superstar“ und „Mechanical Animals„, ein kleiner Teil des ewig jung in der Erinnerung scheinenden Soundtracks meiner Jugend. Ein Mann namens Brian Hugh Warner war damals in den Neunziger Jahren oft genug Stein des Anstoß für Medien und konservativ-gestrige Moralapostel. Kein Wunder, benannten er und seine Bandkollegen sich doch mit Vornamen nach Starletts und entliehen ihre Nachnamen Massenmördern, wurden somit als nächstbeste Sündenböcke des Littleton-Amoklaufs, bei welchem sich picklig-pubertäre Außenseiter vor dem finalen Shootout auf Warner und Band als Inspirationsquelle beriefen…

Heute lockt Marilyn Manson freilich kaum noch einen Kritiker hinter dem Ofen vor. Und wenn, dann nur, um festzustellen, dass sich der mittlerweile 43-Jährige spätestens seit seinem 2000 erschienen „Holy Wood (In the Shadow of the Valley of Death)“ musikalisch kaum noch weiterentwickelt habe. Eine Behauptung, die so falsch nicht ist. Harte, irgendwo zwischen Industrial, Metal und Alternative Rock zu verortende Klänge, Texte, die gezielt auf Provokation und Reibung abzielten. Dazu ein optischer Auftritt, welcher an einen Verkehrsunfall von Travestietruppe, Rocky-Horror-Ultras und Geisterbahndarstellern erinnerte. Damals – und vor allem für mich als Teenager! – war das ungewohnt, unkonventionell, unangepasst. Anhand dieser Musik konnte ich meinen Unmut zum Ausdruck bringen, freilich ohne zu wissen, gegen was genau ich eigentlich war. Und so saß ich stolz mit meinem Marilyn-Manson-T-Shirt (vorn sein diabolisches Konterfeit, auf der Rückseite die provokante These „Sex Is Dead“) im Religionsunterricht und lieferte mir einen wilden Schlagabtausch mit meiner Lehrerin. Memories…

Doch, erschreckend ähnlich dem Werdegang eines gewissen Vincent Damon Furnier (aka. Alice Cooper), nutzten sich auch Maske und Musik von Marilyn Manson ab, denn schließlich ist für den Jugendlichen Provokation nur solang attraktiv, wie die zu provozierende(n) Person(en) auch wirklich ernsthaft dran Anstoß nehmen. Und die merkten recht bald, dass der sich ehemals mit Scheren auf der Bühne selbst blutig ritzende und im US-amerikanischen Süden offen Bibel zerreißende Metal-Clown nicht beißen, sondern lediglich ein bisschen keifen und insgeheim geliebt werden wollte. Bald schon wandte sich Manson „höheren“ Künsten zu, etwa den 20er und 30er Jahren und ihrer Mode, der Absinthherstellung und der Malerei. Er ehelichte standesgemäß die ebenso wenig konventionelle Burlesquetänzerin Dita van Teese (eine Ehe, der freilich keine allzu lange Zukunft beschieden war, aber: nur keine PR ist schlechte PR), zerstritt und versöhnte sich mit Bandmitgliedern, die Musik selbst verkam immer mehr zum Nebenschauplatz. Und hört man „Eat Me, Drink Me“ (von 2007) oder „The High End of Low“ (von 2009), so wundert das kaum. Klar, keins der Album ist so richtig schlecht (wobei ich das auch durch die verklärt-rosarote Jugendheld-Brille sehen mag), doch eben auch nicht: von Belang. Marilyn Manson spult seit seinem 1994 erschienenen Debüt „Portrait of an American Family“ mehr oder minder ein und denselben Gruselfilm ab. Hieß es früher „Children get down on your knees / Time for cake and sodomy“, so dichtet der frühere Musikjournalist heute „Hey cruel world, you don’t have what it takes, we don’t need your faith, we’ve got fucking fate“ und scheint sogar Rammstein als Backing Band zu brauchen, um auch nur im Ansatz für so etwas wie einen „Skandal“ – oder sollte man es „Aufmerksamkeit nennen? – zu sorgen. Nur hat das Publikum die Schauertricks seines Gruselkabinetts längst enttarnt und hat sich nun etwa Lady Gaga und all ihren ach-so-verrückten Kostümen zugewandt (freilich nur so lange, bis findige PR-Berater die nächste erstaunliche Pop-Sau aus dem Marketing-Ärmel zaubern).

Was bleibt, und auch durch Mansons diese Tage erschienenen neunten Studiostreich „Born Villain“ wieder deutlich wird, ist, dass hier ein Künstler seinen Horizont merklich überschritten hat. Klar agiert er immer noch auf vergleichsweise recht hohem künstlerischem Niveau, doch fallen ihm kaum neue Tricks ein. Wer einmal den kompletten Orient-Express auf offener Bühne verschwinden lässt, der sollte stets das Taj Mahal in der Hinterhand haben, nicht wahr, Herr Coppefield?

„Born Villain“ bietet den verblieben Fans gewohnte Manson-Standards, elektronische Spielereien – mal mehr, mal weniger laut bzw. melodiös. Und beim letzten Song, einem Cover des Carly Simon-Songs „You’re So Vain“, einen gewissen Johnny Depp an Gitarre und Schlagwerk. Ein Mann, dessen Lebenslauf dem des Herrn Warner beinahe komplett diametral erscheint. Aber das ist eine andere Geschichte…

Bleibt mir nur, in seligen Jugenderinnerungen zu schwelgen und, nach längerer Zeit, etwa wieder „Mechanical Animals“ auf- bzw. einzulegen. Hat übrigens nichts von seiner Qualität eingebüßt – muss man auch erst einmal schaffen.

Hier noch Mr. Mansons neustes Video zu „No Reflection“, bewährt in Szene gesetzt:

 

Rock and Roll.

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