Das Album der Woche


Besser spät als nie – nachdem ich durch das gestrige Dillon-Konzert in Leipzig (mehr dazu eventuell noch hier) in Verzug gekommen bin, es aber wieder einmal Freitag, und damit Zeit für ein neues „Album der Woche“ ist, möchte ich euch selbiges selbstverständlich nicht vorenthalten…

Kettcar – Zwischen den Runden (2012)

-erschienen bei Grand Hotel Van Cleef-

Es ist schwer, in Würde zu altern. Man ist Mitte Vierzig, hat vieles von dem, wovon man mit Mitte Zwanzig noch träumte, erreicht: Frau, Kind und Eigenheim, ein einigermaßen geregeltes Einkommen. Das Che Guevara-Shirt von damals liegt immer noch im Schrank, muss nun aber immer öfter dem Poloshirt weichen. Einige Freundschaften von „damals“ werden noch in Abständen gepflegt, andere haben den Test der Zeit, aus vielerlei Gründen, nicht bestanden…

Auch Kettcar können mittlerweile ein Lied davon singen… Wurde man noch 2002, als ihr Debüt „Du und wieviel von deinen Freunden“ erschien, zusammen mit Bands wie Wir sind Helden oder den Labelmates von Tomte von Presse und Publikum zur „Speerspitze des neuen deutschen Rocks“ erkoren, muss man sich nun, 10 Jahre später, den Vorwurf gefallen lassen, müde zu werden und sich auf dem Erreichten – meint: mehreren Top 5-Alben und dem Einstieg in die Playlisten von Formatradiosendern – auszuruhen. Nun, dass „die da unten“ (Bands wie 1000 Robota oder Adolar) über „die da oben“ (Tomte oder eben Kettcar) lästern, sei der Jugend vorbehalten, denn so war es schon immer, auch zu Zeiten, als Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch noch in der Punkband …But Alive spielte und Songs sang wie „Ich möchte Ilona Christen die Brille von der Nase schlagen“ oder „Im Rockstadion trifft sich das schlechte Gewissen“. Und doch greift es zu kurz. Denn als Wiebusch Kettcar 2001 zusammen mit Bassist Reimer Bustorff (Ex-Rantanplan), Gitarrist Erik Langer, seinem für Keyboards und Background Vocals verantwortlichen Bruder Lars Wiebusch und dem Drummer Frank Tirado-Rosales, welcher 2010 seinen Platz räumte und die Stöcke an Christian Hake weiterreichte, gründete, war keine Plattenfirma bereit, das Debütalbum zu veröffentlichen. Mit vielen Ideen im Kopf und einer Menge hanseatischem Idealismus im Herzen gründeten Wiebusch und Bustorff also zusammen mit Tomte-Sänger Thees Uhlmann ein eigenes Label namens Grand Hotel Van Cleef. Der Rest ist deutsche Musikgeschichte… Im Jahr 2012 genießt Grand Hotel Van Cleef einen ausgezeichneten Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus, sogar Veröffentlichungen international bekannter Bands wie Death Cab For Cutie oder den Weakerthans hat man vorzuweisen, alle Tomte-Alben sind hierüber erschienen, genau wie das letztjährige Thees Uhlmann-Solodebüt oder eben das mittlerweile vierte Kettcar-Album „Zwischen den Runden“ (das Live-Album „Fliegende Bauten“ mal außen vor).

Beim ersten Hören könnten die Unterschiede zum vor vier Jahren erschienen Vorgänger „Sylt“ kaum größer sein: wurde damals mit bitterem Unterton und stellenweise deutlichen Worten hart mit der Gesellschaft ins Gericht gegangen, stellt „Zwischen den Runden“ nun im Großen und Ganzen eine deutlich persönlichere Bestandsaufnahme dar. Klar, die Jalousien zur Außenwelt bleiben stets einen Spalt geöffnet, wie in Songs wie „Im Club“ oder dem tollen „Schrilles, buntes Hamburg“, welches mit dezenten Elektronik- und Banjo-Einschüben den musikalischen Kosmos der Band im positiven Sinne erweitert. Und doch wandert der Blick hier öfter zum eigenen Umfeld. Im Albumeinstieg „Rettung“ geht es etwa darum, die „Liebe des Lebens“ auch dann noch in gleichem Maße zu lieben, auch wenn er/sie nach einer durchzechten Nacht kotzend über der Kloschüssel kauert… In „Nach Süden“ holt ein Mann seinen Bruder nach langer Zeit aus dem Krankenhaus ab und bringt in zurück in die Heimat. Im wohl besten Song des Albums, „Zurück aus Ohlsdorf“, erzählt Bustorff, der sich auf „Zwischen den Runden“, erstmals die Text-Credits gleichberechtigt mit Wiebusch teilt, von der viel zu frühen Beerdigung eines guten Freundes, welchen er lange nicht mehr gesehen hatte. Es darf den Gedanken nachgehangen („Schwebend“) oder vom Meer geträumt werden („Erkenschwick“). Musikalisch nimmt sich die Band, im Vergleich zu den Vorgängern, oft deutlich zurück, was wohl auch den durch das 2010 live aufgenommene Akustik-Album „Fliegende Bauten (Live)“ gesammelten Erfahrungen „geschuldet“ ist. Da dürfen es an der einen oder anderen Stellen, wie etwa in „In deinen Armen“, auch schon mal Streicher sein… Man muss zugeben, dass Kettcar während der 52 Minuten (gemeint ist natürlich die Deluxe Edition mit 15 Songs und ausführlichem Booklet) ein ums andere Mal haarscharf am Kitsch vorbei schrammen und nicht auf allen Songs ein durchgängig hohes Niveau halten können, trotzdem sind Vorwürfe, Kettcar würden sich nun per „Befindlichkeitsrock“ ans Formatradio verkaufen oder in eine Indie-Variante von Pur verwandeln, Unsinn. Hier wirkt nichts auf Krampf zurechtgebogen oder gestellt. Und wer den Werdegang der Band seit den Anfangstagen verfolgt, der kennt Wiebuschs dezenten Hang zur Überhöhung – was wohl einfach seine persönliche Art ist und oft dazu beträgt, gewisse Sachverhalte deutlicher zu machen. Wie sang Thees Uhlmann einst: „Du nennst es Pathos, ich nenne es Leben.“ Und genau um jenes Leben geht es hier. Wer erwartet denn ernsthaft, dass Kettcar auf ewig Dränger-Hymnen wie „An den Landungsbrücken raus“ schreiben? Kleine Revolutionen wurden bereits besungen, die Band wiederholt sich glücklicherweise nicht, sondern entwickelt sich weiter. Der Straßenkampf bleibt der Jugend vorbehalten (und im musikalische Sinn gibt es da ja auf nationaler Ebene einige hoffnungsvolle „neue“ Bands und Künstler). „Zwischen den Runden“ ist ein Album vom Innehalten und Älterwerden. In Würde.

Wie bereits erwähnt, haben Kettcar zu jedoch der 12 regulären Albumsongs ein Video anfertigen lassen. Hier könnt ihr euch nun alle Titel mit den dazugehörigen bewegten Bildern zu Gemüte führen:

1.  Rettung

2.  Im Club

3.  Schwebend

4.  R.I.P.

5.  Kommt ein Mann in die Bar

6.  Weil ich es niemals so oft sagen werde

7.  Schrilles, buntes Hamburg

8.  Nach Süden

9.  In deinen Armen

10. Der apokalyptische Reiter und das besorgte Pferd

11. Erkenschwick

12. Zurück aus Ohlsdorf

 

Ab dem 23. Februar sind Kettcar auf Tournee, bei Interesse findet ihr hier alle Termine und Infos.

 

Rock and Roll.

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3 Gedanken zu „Das Album der Woche

  1. […] “Zwischen den Runden“, welches ANEWFRIEND kürzlich als “Album der Woche” würdigte, erschienen. Und natürlich haben zehn Jahre auch bei Kettcar einiges verändert. Die eigenen […]

  2. […] ist: Kettcar melden sich fünf Jahre nach dem letzten Album „Zwischen den Runden“ und drei Jahre nach „Konfetti„, dem Solodebüt ihres Frontmanns Marcus Wiebusch, […]

  3. […] sieht auch die Band selbst es so ehrlich: Mit dem 2012 erschienenen Album „Zwischen den Runden“ war – zumindest vorerst – die Luft […]

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